Kreis Segeberg. Verfassungsschutzbericht beschreibt Aktivitäten der „Nationalsozialisten Bad Segeberg“ und des „Aryan Circle“ in der Region.
Eine Bushaltestelle in Berlin, am 20. März 2021, gerade ist eine Kundgebung von Rechtsextremisten aus dem gesamten Bundesgebiet zu Ende gegangen. Ein Sticker prangt an einer Glasscheibe, der Aufkleber weist auf Bad Segeberg hin – und weist das Kürzel NSBS aus. Das steht für: „Nationalsozialisten Bad Segeberg“. Das Foto, dokumentiert vom antifaschistischen Netzwerk „Berlin gegen Nazis“ und veröffentlicht auf Twitter, ist ein Indiz dafür, dass sich die Segeberger Neonazi-Szene längst nicht nur auf den Kreis beschränkt, sondern sehr mobil zu sein scheint.
Längst werden die NSBS vom schleswig-holsteinischen Verfassungsschutz beobachtet. Dessen Bericht für 2020, in dieser Woche veröffentlicht, beschreibt die Aktivitäten der zwar mit etwa zehn Mitgliedern kleinen, aber ideologisch gefestigten Gruppierung. Sticker, Flugblätter, öffentlich getragene T-Shirts, gesprayte Schriftzüge an Hauswänden – die Rechten sind sichtbar. Dazu würden „klassische Neonazi-Aktivitäten an jährlich wiederkehrenden Veranstaltungsterminen“ durchgeführt, heißt es in dem Papier.
Bad Segeberg scheint Zentrum vieler Aktivitäten zu sein
Zwei Daten sind im rechtsradikalen Milieu etabliert. Am 13. Juli werden an Ortsschildern oder „markanten Plätzen“ schwarze Holzkreuze aufgestellt, die an deutsche Opfer von vermeintlich durch Ausländer verübten Gewaltverbrechen erinnern sollen. Und anlässlich des Volkstrauertags (15. November) führte der NSBS in Bad Segeberg eine Kranzniederlegung durch und stellte 63 Grablichter mit eigenen Aufklebern auf. Laut Verfassungsschutz werde dieser Tag „geschichtsrevisionistisch als Heldengedenken“ umgedeutet.
Welchen Ursprung hat der NSBS? Die Initiative „Segeberg bleibt bunt“ beobachtet die rechtsextremen Aktivitäten rund um die Kreisstadt genau. Im Abendblatt-Gespräch zieht ein Sprecher, der anonym bleiben möchte, eine Verbindung zwischen dem NSBS und dem „Aryan Circle“, der zweiten Gruppierung, die der Verfassungsschutz beobachtet. „Das sind eindeutig dieselben Gesichter.“ Der Aryan Circle war vor drei Jahren in Erscheinung getreten, als deren Kopf, der verurteilte Totschläger Bernd T., wieder in seine Heimatstadt gezogen war. „Sie haben auf Bedrohung und Einschüchterung gesetzt“, erinnert sich der Sprecher. In Sülfeld kam es zu einem körperlichen Angriff eines der Neonazis auf Bürger, die Aufkleber entfernten. In der Folge wehrte sich die Bevölkerung in der Region, es wurden Veranstaltungen und Demonstrationen gegen Rechts organisiert. „Wir haben angefangen, den öffentlichen Raum mit unseren Aktionen zu besetzen.“
Verdacht auf Bildung einer kriminellen Vereinigung
Dazu wurde die Strafverfolgung aktiv. Im März 2020 fanden unter anderem in Bad Segeberg Durchsuchungen statt, es wird auch heute noch wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt. „Aufgrund der Auswertungen umfangreicher Beweismittel dauern die Ermittlungen noch an“, sagt der zuständige Flensburger Oberstaatsanwalt Bernd Winterfeldt. Marcel S., eines der Mitglieder des Aryan Circle, wurde zudem im April 2020 wegen zahlreicher Straftaten, darunter Körperverletzung und die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, zu zwei Jahren und sieben Monat Haft verurteilt.
Laut „Segeberg bleibt bunt“ sei Marcel S. in einem Onlineforum als „NSBS-Sektionsführer“ aufgetreten, was ebenso direkte Verbindungen nahelegt. Dazu passt, dass der Aryan Circle seine öffentlichen Aktivitäten laut Verfassungsschutz weitgehend eingestellt hat. „Die sind in die Opferrolle gegangen“, so der Sprecher von „Segeberg bleibt bunt“, zudem würden die Neonazis versuchen, sich „bürgerlich zu geben“. Und haben sich möglicherweise umbenannt. Auch der Verfassungsschutz weist auf die auffällige „direkte räumliche Überschneidung“ hin.
Anwalt von Bernd T. wurde wegen Geldwäsche verhaftet
Gegen Bernd T. läuft derzeit ebenso ein Verfahren, er muss sich vor dem Amtsgericht Bad Segeberg wegen mehrerer Delikte, darunter Körperverletzung, verantworten. Ein dritter Verhandlungstag platzte allerdings im März. „Es musste ausgesetzt werden, weil der Verteidiger nicht mehr zur Verfügung stand“, sagt Oberstaatsanwalt Henning Hadeler von der Staatsanwaltschaft Kiel.
Es geht um Dirk Waldschmidt, der als Anwalt auch schon Marcel S. vertreten hatte. Waldschmidt wurde im März wegen des Verdachts auf Geldwäsche verhaftet – der Jurist soll enge Verbindungen zu einer rechtsextremistischen Organisation in Thüringen haben, die in Drogenhandel und Prostitution verwickelt ist. Mit dem Geld soll Dirk Waldschmidt Ralf Wohlleben unterstützt haben, der im Prozess gegen die Rechtsterroristen des NSU wegen Beihilfe zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden war, mittlerweile aber wieder auf freiem Fuß ist.
Henstedt-Ulzburg: Noch keine Anklage gegen Pick-up-Fahrer
Auch die Ereignisse rund um die AfD-Veranstaltung in Henstedt-Ulzburg am 17. Oktober 2020, als ein 19-Jähriger mit einem Pick-up nahe des Bürgerhauses in Gegendemonstranten gefahren war und diese teils schwer verletzt hatte, finden beim Verfassungsschutz Erwähnung. Allerdings in einem anderen Kontext. „Die linksextremistische Szene griff diesen Vorfall wie erwartet auf, um Kritik an dem Vorgehen der Polizei sowie dem Staat zu äußern und wiederholt deutlich zu machen, dass sie auf dem rechten Auge blind seien.“ Es sei in der Auseinandersetzung mit diesem Vorfall zu zahlreichen Sachbeschädigungen gekommen. Häufig sei der Slogan „Henstedt-Ulzburg, das war kein Unfall“ genannt worden. Der Fahrer war in der Folge online mit vollem Namen genannt worden, er hatte damals mit einer Gruppe unter anderem Sticker geklebt, die eine Nähe zur rechtsextremistischen Verein „Ein Prozent“ vermuten lassen.
Der Kieler Rechtsanwalt Alexander Hoffmann, der einen Geschädigten vertritt, hatte gegenüber dem Abendblatt im Februar von einem „versuchten Tötungsdelikt“ gesprochen und dass der Fahrer den Tod der Antifa-Aktivisten in Kauf genommen habe. Möglich ist aber auch, dass es die Staatsanwalt bei gefährlicher Körperverletzung belässt. Inwieweit ein politisches Motiv nachgewiesen werden kann, ist bislang offen. Oberstaatsanwalt Hadeler hatte ebenso im Februar von einer „situativen, spontanen Tat“ gesprochen. Mittlerweile haben alle Verfahrensbeteiligten Akteneinsicht erhalten. „Die polizeilichen Ermittlungen sind abgeschlossen“, so Hadeler. In den nächsten Wochen werde über das weitere Vorgehen, also gegebenenfalls die Anklageerhebung, entschieden.