Norderstedt. Die Stadt modernisiert das Verleihsystem und installiert Zählstellen. Dem ADFC ist das aber noch nicht genug.

Das Fahrrad – Klima- und Gesundheitsfreund. Und deswegen ist es sinnvoll, das Rad als Verkehrsmittel zu stärken. Das will auch Norderstedt. Die Stadt hat im Vorjahr ein Bündel von Maßnahmen realisiert und will in diesem Jahr weiter in den Ausbau des Radverkehrs investieren.

Doch während sich die Verwaltung in ihrer Bilanz auf die Schulter klopft, gibt es vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) nur mäßigen Applaus. Besser als nichts, lautet der Kommentar der Norderstedter Radlerinitiative. „Es fehlt Verwaltung und der politischen Mehrheit am Mut zum großen Wurf“, sagt ADFC-Sprecher Rolf Jungbluth.

Radverkehr in Norderstedt: Zahl der Radfahrer online ablesbar

Aber zunächst zum Fazit der Stadt, die im vergangenen Jahr insgesamt fünf Zählstationen im Stadtgebiet eingerichtet hat. Es sei sinnvoll zu wissen, wie viele Radfahrer wann und wo im Stadtgebiet unterwegs sind, um den Radverkehr gezielt zu verbessern.

Die Zahl der Radler, die die Induktionsschleifen an den Messpunkten Ochsenzoller Straße in Höhe des Willy-Brandt-Parks, Jägerlauf auf Höhe der Schleswig-Holstein-Straße, Ulzburger Straße auf Höhe des „Meilensteins“, auf der Veloroute 1 entlang der Bahngleise zwischen Richtweg und Marommer Straße und am Friedrichsgaber Weg auf Höhe der Engentwiete passieren, lässt sich tagesaktuell auf der Homepage der Stadt unter der Adresse https://www.norderstedt.de/Aktuelles-und-Service/Anreise-und-Verkehr/Radverkehr/ ablesen.

Im Januar haben die Zählstellen insgesamt 37.806 Fahrten registriert. Im August 2020 waren es sogar 120.085 Fahrten. Die meisten Radfahrer nutzen die autofreie Nord-Süd-Verbindung entlang der Bahnschienen. Für den August 2020 meldet die städtische Statistik für diese Strecke 43.414 Fahrten, für den Monat Januar 11.689. Am wenigsten Radler überqueren die Induktionsschleife am Friedrichsgaber Weg, im Januar waren es 4101. Eine genaue Auswertung der Zahlen steht noch aus.

Rot markierte Abbiegebereiche für radelnde Linksabbieger

Neben den Zählstellen hat die Stadt einen neuen, autofreien Weg von der Moorbekstraße, wo neue Wohnungen gebaut wurden, zur Veloroute 1 entlang der Bahn hergerichtet und an der Strecke 13 Bäume gepflanzt. „Radfahrer und Fußgänger haben nun die Möglichkeit, fernab vom Autoverkehr die Stadt zu durchqueren“, sagt Fabian Schindler, Sprecher der Stadtverwaltung.

Ebenfalls an dieser Veloroute, am Erlengang und an der Industriestraße, wurden Schutzflächen für Radler geschaffen, beispielsweise rot markierte Linksabbiegebereiche. „Damit sollen Lkw- und Autofahrer auf die Radfahrer aufmerksam werden, die Sicherheit soll erhöht werden“, sagt der Pressesprecher.

Außerdem hat die Stadt die Fahrbahnverschwenkungen in den vielen Tempo-30-Zonen so umgebaut, dass zwischen Verschwenkung und Fußweg ein Durchfahrtstreifen für Radfahrer vorhanden ist. Sie müssen nun nicht mehr den Gegenverkehr abwarten und vorbeilassen. Mehrere Hochborde wurden abgesenkt. Infrarotkameras erkennen Radler jetzt an den beiden Knotenpunkten Waldstraße/Friedrichsgaber Weg und Waldstraße/Ulzburger Straße und lösen Grün aus.

Seit August gibt es in eine Reparatur-Servicestation

Im Frühjahr ist das neue Nextbike-Verleihsystem gestartet. Die Räder wurden gegen leichtere Modelle ausgetauscht. Jedes Fahrrad hat einen GPS-Sender, der in Echtzeit die Standortdaten liefern kann. Das neue Hybridsystem umfasst nun 14 Stationen und sechs zusätzliche Flexzonen, an denen Räder an normalen Fahrradständern oder am Straßenrand ausgeliehen und zurückgegeben werden können. 110 Fahrräder sowie 24 Transporträder und 15 Transport-Pedelecs stehen zur Verfügung, ausgeliehen werden sie per App.

Seit Mitte August gibt es in Norderstedt-Mitte eine überdachte Reparatur-Servicestation, an der Radler Pannen beheben oder Luft nachfüllen können. Der Radweg an der Niendorfer Straße wurde auf 1,6 Meter, der Fußweg auf 1,9 Meter verbreitert. „Dadurch ist insbesondere zu den schulischen Stoßzeiten mehr Platz für die Kinder vorhanden, die Verkehrssicherheit hat sich erhöht“, sagt Schindler.

Verbaut wurden von der Stadt insgesamt 368.341,77 Euro. Zudem habe die Verwaltung zusätzliche Aufträge in Höhe von 361.770,26 Euro vergeben, die im Jahr 2020 noch nicht abgeschlossen worden seien. Für dieses Jahr plant die Stadt weitere Maßnahmen, um den Radverkehr zu stärken. So sollen an der Oadby-and-Wigston-Straße, im Bereich Harkesheyde, Am Exerzierplatz, beim Fried­richsgaber Weg/Schulzentrum Nord und an der Poppenbütteler Straße die Radwege ausgebaut und Lücken im Netz geschlossen werden. Die Mittelinsel am Kabels Stieg werde verkehrssicher umgebaut, heißt es aus dem Norderstedter Rathaus.

ADFC kritisiert, es fehle "der Mut für den großen Wurf"

Vom ADFC gibt es allerdings nur leisen Beifall für die Positiv-Bilanz der Stadtverwaltung: „Natürlich begrüßen wir jeden Fortschritt für den Radverkehr. Es fehlt aber der Mut für den großen Wurf“, sagt Rolf Jungbluth vom ADFC Norderstedt. Noch dominiere die Autostadt, hätten Radlerinnen und Radler keine Vorfahrt wie in anderen Städten.

Beispiel Ochsenzoll-Kreisel, aus Jungbluths Sicht von Beginn an eine Fehlkonstruktion, denn: Der Kreisverkehr bleibt Autofahrern vorbehalten. Radfahrer müssen über Rampen, einen Fahrstuhl oder Zebrastreifen ausweichen und minutenlange Umwege in Kauf nehmen. „Das ist nun alles andere als förderlich für den Radverkehr“, sagt der Norderstedter ADFC-Sprecher, der seine Kritik schon geäußert hatte, als der Kreisverkehr im November 2013 in Betrieb ging.

Jungbluth fühlt sich aktuell durch ein Renommierprojekt der Metropolregion bestätigt: Der Radschnellweg von der City Nord nach Bad Bramstedt wird über eben diesen Knotenpunkt verlaufen. Doch von „schnell“ könne angesichts der Umwege für Radler nicht die Rede sein. Wie es anders und vorbildlich gehen kann, zeigten die Niederlande: In Eindhoven schwebt eine kreisförmige Brücke im ersten Stock über dem Asphalt. Auf dem Hovenring bleiben die Radler unter sich, unter ihnen passieren Autos und Lkw den Knotenpunkt.

An der Marommer Straße fallen 40 Pkw-Stellplätze weg

In Norderstedt habe aber noch immer das Auto Vorrang. Stadtplaner dächten zuerst an Straßen und erst dann an Wege für Radler und Fußgänger. Das müsse sich ändern, Jungbluth plädiert für Flächengerechtigkeit. Noch immer halte die Stadt an Parkplätzen am Straßenrand fest und verenge dadurch den Platz für Radfahrer und Fußgänger. Zwar würden 40 Stellplätze für Pkw an der Marommer Straße wegfallen und den Radlern als Schutzstreifen zugeschlagen. Doch das sei nur eine, wenn auch begrüßenswerte, Ausnahme.

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An der Ochsenzoller Straße hingegen stünden die Autos nach wie vor an der Straße, Fußgänger und Radfahrer gerieten auf Kollisionskurs. „Noch besser als die Parkplätze zugunsten der Radler zu beseitigen, wäre es, die Straße zur Einbahnstraße zu machen und den Radfahrern Platz auf der Fahrbahn einzuräumen“, sagt Jungbluth.

ADFC: Radler sollen bei Grün als Erste losfahren dürfen

Auch an der Rathausallee sollten die seitlichen Parkplätze entfallen, fordert der ADFC. Die Pläne für den Umbau der Rathausallee böten die Chance, die Mobilitätswende weg vom Auto hin zu Rad, Bus und Bahn zu beschleunigen. Nur noch Busse und Lieferanten sollten auf die Fahrbahn dürfen, wobei die Zufahrt zu den Parkhäusern möglich bleiben müsse.

„Bettelampeln“ seien ein Hindernis für flottes und damit attraktives Radeln. „Wenn wir von der Harckesheyde die Schleswig-Holstein-Straße überqueren wollen, müssen wir immer warten“, sagt der ADFC-Sprecher. Die Ampel müsse im gleichen Rhythmus für Rad- wie für Autofahrer geschaltet werden.

Aufstellflächen an den Kreuzungen – auch das will der ADFC. Die Radler sollen sich vor den Pkw einreihen und bei Grün als Erste starten. „Dann müssen die Autofahrer eben warten“, sagt Jungbluth. Vorfahrt für den Radverkehr müsse es auch heißen, wenn Radler auf der Veloroute 1 entlang der Gleise den Buchenweg oder die Heidbergstraße überqueren. Wer wie jetzt stoppen und Autos durchlassen muss, verliere Zeit und Lust am Rad.