Norderstedt. Nachdem Kriminelle rund 600 Schließfächer bei der Haspa in Norderstedt ausgeräumt haben, warten Kunden auf eine Entschädigung.

Wer sind die Täter? Wo ist die Millionenbeute? Wann können die Opfer des Norderstedter Schließfachraubes mit einer Entschädigung rechnen? Es sind Fragen, die sich viele seit dem spektakulären Diebstahl aus der Haspa in Norderstedt immer wieder stellen. Im Sommer drangen Unbekannte mit einem Kernbohrer durch die Decke in den Tresorraum der Filiale an der Rathausallee ein. Dort plünderten sie 600 Schließfächer.

Doch auch fast fünf Monate nach dem Schließfach-Coup gibt es wenig konkrete Antworten. Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln weiterhin in alle Richtungen. Die Öffentlichkeits- und eine „Aktenzeichen XY“-Fahndung erbrachten neue Hinweise. Aber bis heute gibt es weder einen Tatverdächtigen noch eine heiße Spur: Die Annahme, die Täter ließen sich dem berüchtigten Berliner Remmo-Clan zuordnen, der einen ähnlichen Einbruch in den Schließfach-Raum bei der Haspa in Altona vorbereitet haben soll, ließen sich anscheinend nicht erhärten. Nach Hausdurchsuchungen und Festnahmen vor wenigen Tagen in Berlin sind alle Verdächtigen wieder auf freiem Fuß.

Haspa Norderstedt weist Vorwürfe einer Hinhaltetaktik zurück

Unterdessen steigt bei Haspa-Opfern der Unmut. Bis heute wartet der Großteil der rund 600 Geschädigten auf Entschädigung. Viele fühlen sich hingehalten. Die Unsicherheit, wann und wie viel sie eines Tages bekommen werden, zerrt an den Nerven. Nach Angaben des Filialleiters Jan-Göran Schümann im Gespräch mit dem Abendblatt gibt das Geldinstitut alles, um die komplexe Aufgabe zu lösen, Tausende Dokumente und Gegenstände anhand von Stehlgutlisten und Fotos der geschädigten Kundinnen und Kunden manuell zuzuordnen, um eine schnelle und zufriedenstellende Lösung herbeizuführen.

Vorwürfe, die Haspa verfolge eine Hinhaltetaktik, um die Kunden zu zermürben, um womöglich den Preis für die Entschädigungen zu drücken, weist Schümann zurück. „Mit allen geschädigten Kundinnen und Kunden haben wir persönlich gesprochen und eine Bestandsaufnahme durchgeführt. Eine Task Force von 30 Fachleuten kümmert sich täglich in Gesprächen, Recherchen und beim Kategorisieren und Zuordnen von Gegenständen darum, dass die von Fall zu Fall sehr unterschiedliche Schadenshöhe ermittelt werden kann. Es dauert seine Zeit, wir wollen es gründlich machen.“

150 Besitzer geplünderter Schließfächer wurden bisher entschädigt

Bisher seien 150 Fälle reguliert, ergänzt Heike Rissmann, stellvertretende Leiterin der Haspa-Filiale Langenhorn, die bei der Aufarbeitung mitwirkt. Dabei handle es sich um eindeutige Fälle, die aufgrund der Aktenlage als erstes entschieden werden konnten. Bis Jahresende wolle man 200 Fälle regulieren. Wie lange es dauern wird, bis alle 600 Fälle erledigt sein werden, kann Schümann angesichts der „aufwendigen Plausibilitätsprüfungen“, bei denen neben einer Sparkassen-Mitarbeiterin auch ein öffentlich bestellter Gutachter mitwirkt, nicht sagen. Er versichert aber: „So schnell wie möglich.“ Opferanwälte vermuten indes, dass es Monate wenn nicht sogar Jahre dauern wird, bis alle Schäden reguliert sind.

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„Warum dauert das alles so lange? Der Tag hat acht Stunden. Was machen die da?“, fragt sich Nesrin Jahn (46), eine von 600 geschädigten Haspa-Kundinnen und Kunden. Die Erzieherin und Mutter von zwei erwachsenen Kindern ist nach der Trennung von ihrem Mann vor gut einem Jahr mit ihrer Tochter von Langenhorn nach Friedrichsgarbe gezogen – und eröffnete am 20. Oktober 2020 ein Schließfach bei der Haspa in Norderstedt. In dem landeten neben vier Sparbüchern ihrer Kinder den Angaben zufolge auch Erbschmuck ihres Vaters und eine niedrige fünfstellige Summe Bargeld. Bis der Einbruch geschah.

„Ich hatte vorher zehn Jahre lang ein Schließfach in Langenhorn. Und jetzt das“, sagt Jahn. Als sie über die sozialen Medien vom Bankraub erfuhr, wand sie sich an die Haspa. Eine Woche später wurde klar, dass auch ihr Fach betroffen war. Nesrin Jahn fertigte eine exakte Stehlgutliste an und übergab sie zusammen mit einer Fotodokumentation des Schmucks der Polizei.

"Wenigstens mein Geld hätte mir die Haspa erstatten können"

Aber nichts geschah. „Erst am 13. September bekam ich auf hartnäckiges Drängen hin einen Gesprächstermin bei der Haspa“, sagt die Norderstedterin. Bei dem Gespräch war ein Haspa-Mitarbeiter und ein Notar dabei. „Ich wunderte mich, dass im Wesentlichen nur die Stehlgutliste erörtert wurde. Die Fotos habe ich in Kopie der Haspa überlassen.“

Dann herrschte erneut Funkstille. Nesrin Jahn beschlichen Zweifel, ob alles seine Richtigkeit hat. Sie startete einen Facebook-Aufruf, um mit anderen Geschädigten ins Gespräch zu kommen, denen es ähnlich ergeht. Die Gruppe besteht aus 21 Personen. „Einige von ihnen hatten schon ein Zweitgespräch, entschädigt wurde bisher niemand.“ Ein Brief der Haspa, in dem um Geduld gebeten wird, landete versehentlich bei ihrem Ex-Mann.

Bisher sind ihre Schmuckstücke, die sie als 20-Jährige von ihrem Vater geschenkt bekam, nicht geschätzt worden. Nur die Sparbücher bekam sie zurück. „Wenigstens mein Geld hätte mir die Haspa erstatten können“, sagt die Norderstedterin. Die Trennung und der Raub haben ihr zugesetzt, sie wird psychologisch behandelt. Einen Anwalt kann sie sich nicht leisten. „Was nervt ist die Informationspolitik der Haspa. Die Unsicherheit, dass man nicht weiß, wann man etwas oder wie viel man bekommt.“