Aumühle. Hütte im Sachsenwald ist angeblich Sitz von 21 Unternehmen, die dort relativ wenig Gewerbesteuer zahlen. Bismarck kassierte wohl Millionen.

Der Sachsenwald lässt die Kasse bei den Bismarcks regelrecht klingeln. Wie nun Zahlen belegen, kassiert Gregor von Bismarck, Urenkel des ersten deutschen Reichskanzlers, Steuereinnahmen in Millionenhöhe. Dank einer Sonderregelung, die noch aus der Zeit des Kaiserreichs stammt, kann Bismarck als Gutsbesitzer des gemeindefreien Gebietes die Höhe der Gewerbesteuer über einen von ihm eingesetzten Verwalter selbst festlegen – und so mit einem niedrigen Hebesatz sein Land als Unternehmenssitz attraktiv machen.

Dieses Steuerschlupfloch wollen CDU und Grüne im schleswig-holsteinischen Landtag jetzt schließen. Es bestehe „dringender Handlungsbedarf“, heißt es in einem gemeinsamen Antrag der Regierungsfraktionen. Die Landesregierung werde deshalb beauftragt, „umgehend Vorschläge zu erarbeiten, wie mit den historisch gewachsenen gemeindefreien Gebieten sowohl steuerrechtlich als auch kommunalverfassungsrechtlich umgegangen werden soll.“ Insbesondere müsse ausgeschlossen werden, dass diese Gebiete gegenüber herkömmlichen Kommunen besser gestellt sind.

Fall Bismarck: Schwarz-Grün will Steuerschlupfloch im Sachsenwald schließen

„Die rechtliche Sonderstellung der gemeindefreien Gebiete muss enden“, sagt Ole Plambeck, steuerpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion. Sie sei ein Relikt aus längst vergangenen Tagen, das nicht mehr in die heutige Zeit passe. „Wenn Unternehmen sich nur deshalb in diesen Gebieten ansiedeln, weil die Steuerhebesätze dort besonders niedrig sind, dann entspricht das nicht dem politischen Willen und erfordert es, dass wir tätig werden.“

Die einfachste Variante wäre es laut Plambeck, die gemeindefreien Gebiete aufzulösen und in andere Gemeinden einzugliedern. Ein entsprechender Versuch war allerdings bereits in den 1990er-Jahren gescheitert. Keine der umliegenden Kommunen wollte den rund 70 Quadratkilometer großen Sachsenwald aufnehmen. Wie genau eine Lösung am Ende aussehen könnte, möchten CDU und Grüne dem Innenministerium überlassen.

Finanzausschuss befasste sich auf Antrag von SPD und FDP mit dem Fall

Neben dem Sachsenwald gibt es noch ein weiteres gemeindefreies Gebiet in Schleswig-Holstein, den Forstgutsbezirk Buchholz im Kreis Segeberg, für den die gleichen Regeln gelten. Mit einem Unterschied: Forstgutsbezirk Buchholz befindet sich in Landesbesitz und dort sind auch keine Gewerbebetriebe angesiedelt.

Ole Plambeck, steuerpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, will das Steuerschlupfloch schließen.
Ole Plambeck, steuerpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, will das Steuerschlupfloch schließen. © Sönke Ehlers/CDU | Sönke Ehlers/CDU

Der Finanzausschuss des Landtags will sich auf Antrag von SPD und FDP am 14. November mit dem Fall Sachsenwald befassen. Ob die Kieler Landesregierung der Ansicht sei, dass dieses Verfahren ausreichend demokratisch legitimiert sei, will der FDP-Fraktionsvorsitzende Christopher Vogt in einer Kleinen Anfrage an das Innenministerium wissen. Die Antwort war „ja“, gleichwohl werde „derzeit geprüft, ob es zu Fortentwicklungen dieses Rechts kommen soll.“

Recherche von Böhmermann und „Frag den Staat“ legt Sonderregelung offen

Eine gemeinsame Recherche des „ZDF Magazin Royale“ von Jan Böhmermann und der Plattform „Frag den Staat“ hatte die skurrile Regelung Mitte Oktober aufgedeckt und damit auf den Schirm der Landespolitik gebracht. Die Nachforschungen ergaben, dass „mindestens 21 Unternehmen“ aktuell ihren Sitz in einer Holzhütte im Sachsenwald angemeldet haben, die Gregor von Bismarck gehört – mutmaßlich, ohne dort tatsächlich zu arbeiten.

Sie wollen offenbar ein an sich legales Steuerschlupfloch nutzen. Der Grund: der Gewerbesteuerhebesatz liegt in dem gemeindefreien Gebiet, das zum Großteil im Privatbesitz der Bismarcks ist, mit 275 Prozent wesentlich niedriger als im Umland. In Hamburg etwa beträgt er 470 Prozent.

Sachsenwald: Seit dem Jahr 2020 explodierten die Steuereinnahmen

Durch kleine Anfragen der SPD und der FDP wurde nun auch erstmals öffentlich, wie viel Geld aus Steuereinnahmen in den vergangenen Jahren an Bismarck geflossen ist. Trotz des niedrigen Satzes sind demnach allein im Jahr 2023 gut eine Million Euro Steuern in die Kasse des Gutsbezirkes Sachsenwald geflossen.

Daten über die Summen liegen erst seit 2017 vor. Bis 2019 waren dies nur etwas mehr als 3000 Euro. Doch dann explodierten die Zahlen förmlich: Im Jahr 2020 lag das Gewerbesteueraufkommen bei 671.083,96 Euro. Davon wurden rund 82.000 Euro an das Land und 35.000 Euro an den Bund abgeführt. Für den bismarckschen Forstgutsbezirk blieben 553.495,28 Euro übrig. In den Jahren 2021 und 2022 lag diese Summe bei rund 350.000 Euro. Insgesamt kassierte Bismarck knapp 2,3 Millionen Euro netto.

Hütte in Bismarcks Sachsenwald: Steueroase beschäftigt Politik in Kiel

Aus den Zahlen geht ebenfalls hervor, dass Gregor von Bismarck ordnungsgemäß etwa 230.459 Euro als Umlagen an Schleswig-Holstein und 139.277 Euro an den Bund abgeführt hat. Bis 2016 wurde demnach keine Gewerbesteuer erhoben und somit auch keine Gewerbesteuerumlage gezahlt.

Trotzdem hat die Steuerfahndung die Unternehmen, deren Briefkästen an der Hütte hängen, jetzt im Visier. Denn der niedrige Steuerhebesatz ist zwar rechtens, ebenso, dass Bismarck seine eigenen Unternehmen dort anmeldet und über Umwege quasi Gewerbesteuern an sein eigenes Gut zahlt, nicht aber, dass dort Fremdfirmen einen Sitz anmelden, ohne tatsächlich im Sachsenwald zu arbeiten. Dies legen die Recherchen von ZDF und der Plattform „Frag den Staat“ nahe. Gregor von Bismarck hat gegenüber unserer Redaktion dementiert, dass es sich um Briefkastenfirmen handelt.

Gregor Graf von Bismarck, Ururenkel von Otto Fürst von Bismarck, sagt, die am Stangenteich ansässigen Unternehmen, würden die Hütte im Sachsenwald als Büro nutzen.
Gregor Graf von Bismarck, Ururenkel von Otto Fürst von Bismarck, sagt, die am Stangenteich ansässigen Unternehmen, würden die Hütte im Sachsenwald als Büro nutzen. © NEWS & ART | Carsten Neff

SPD und FDP drängen seit Bekanntwerden der Recherche auf Aufklärung. „Dass Herr von Bismarck als Gutsbesitzer die Gewerbesteuer nicht nur selbst festlegen kann, sondern außerdem noch an sich selbst abgibt, berührt bei vielen Menschen wohl mehr als ‚nur‘ das Gerechtigkeitsempfinden“, sagt die finanzpolitische Sprecherin der Sozialdemokraten, Beate Raudies. „Wir sehen die Landesregierung in der Pflicht, der Sache auf den Grund zu gehen und gegebenenfalls auch gesetzgeberisch tätig zu werden.“

„Kleines Wirtschaftswunder“ im Sachsenwald: „Äußerst befremdliches“ Steuermodell

Christopher Vogt, Fraktionschef der FDP, sagt in einer ersten Reaktion auf die Ausführungen des Ministeriums, das die Entwicklung der Gewerbesteuern als „sehr dynamisch“ umschreibt: „Bei der Entwicklung der gezahlten Gewerbesteuern muss man fast schon von einem kleinen Wirtschaftswunder im Sachsenwald sprechen.“

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Der Liberale fordert weitere Aufklärung von der Landesregierung: „Es ist skurril, dass in einem gemeindefreien Gebiet auf diese Weise Steuern erhoben werden können, die dann größtenteils an eine private Forstgutsverwaltung fließen. Dies kann so nicht von der Landesregierung gewollt sein.“

Christopher Vogt
Der liberale Christopher Vogt kritisiert das grüne Finanzministerium. © FDP-Fraktion Schleswig-Holstein  | FDP-Fraktion Schleswig-Holstein 

Vogt kritisiert: „Das grüne Finanzministerium wusste nicht nur von dem bemerkenswerten Sonderstatus des Sachsenwaldes, sondern auch von den zuletzt auffällig sprudelnden Steuereinnahmen bei den Bismarcks.“ Er sei sehr überrascht, dass man sich daran bislang offenbar nicht weiter gestört habe.

Wegen Steueroase im Sachsenwald: Kritik am grünen Finanzministerium

Dem Finanzministerium sei es ein hohes Anliegen, sämtlichen Steuervermeidungspraktiken entschieden entgegenzuwirken und Steuerhinterziehung zu bekämpfen, erwidert dieses auf die FDP-Anfrage. Dies gelte auch für Gestaltungen unter Verwendung von Briefkastenfirmen zur Minimierung der Gewerbesteuer.

Zunächst steht das Thema am Donnerstag, 14. November, auf der Tagesordnung des Finanzausschusses in Kiel, bevor der Landtag laut Plambeck Ende November über den Antrag von CDU und Grünen zur Schließung des Steuerschlupflochs entscheiden soll. „Ich rechne anschließend mit einer schnellen Umsetzung“, sagt der CDU-Politiker.