Schwarzenbek/Lübeck. Unfallfahrer zieht vorm Landgericht Lübeck Berufung zurück und akzeptiert seine Haftstrafe. Was ihn plötzlich zum Umdenken bewegt hat.

Der Stimme der erfahrenen Richterin Dr. Wiebke Dettmers war ihre emotionale Aufgewühltheit deutlich anzumerken, als sie am Mittwochnachmittag, 11. September, im Revisionsverfahren vor dem Landgericht Lübeck an den 34-jährigen Angeklagten Laurentiu P. aus einem Dorf bei Schwarzenbek appellierte, auf Rechtsmittel gegen das harte Urteil des Amtsgerichts Ratzeburg wegen eines von ihm verursachten tödlichen Unfalls auf der B207 zu verzichten.

„Das Urteil ist in Ordnung, ich sehe keine verminderte Schuldfähigkeit. Es wäre ein Signal an den Sohn der beim Unfall verstorbenen Mutter, dass das Urteil endlich rechtskräftig wird“, betonte die Juristin. Der mittlerweile 15-jährige Sohn Jonas saß bei dem Unfall auf dem Beifahrersitz und lebt heute bei seinem Vater. Er hat trotz der Erlebnisse eine Lehre als Mechaniker im Kfz-Betrieb seines Vaters begonnen und trat im Prozess als Nebenkläger auf.

Tödlicher Unfall auf B207: Berufung gegen dreijährige Haftstrafe in der Revision zurückgezogen

In der Kreisstadt war der Rumäne im Mai dieses Jahres zu einer Haftstrafe von drei Jahren und einem Monat verurteilt worden. Grund: Er hatte mit einem VW Crafter am 6. Dezember 2022 einen schweren Unfall auf der B207 zwischen Schwarzenbek und Breitenfelde verursacht, bei dem eine 39-Jährige ums Leben kam und ein weiterer Mensch schwer verletzt wurde. Sein Rechtsanwalt Martin Bartsch war zu dem Ergebnis gekommen, dass möglicherweise eine verminderte Schuldfähigkeit vorliegen könnte. Deshalb ging P. in die Berufung, die er gestern auf Anraten seines Anwalts zurückzog.

Der Unfallfahrer hat im Prozess am Landgericht Lübeck seine Berufung zurückgezogen.
Der Unfallfahrer hat im Prozess am Landgericht Lübeck seine Berufung zurückgezogen. © Susanne Tamm | Susanne Tamm

Denn Rechtsmedizinerin Dr. Nadine Wilke-Schallhorst vom UKSH widersprach dieser These nach eingehender Befragung des Angeklagten vehement. Nach den Untersuchungsergebnissen, die sie auch anhand der Blutanalyse ausgewertet und mit Toxikologen besprochen hat, ergebe sich „in keinster Weise eine Steuerungsunfähigkeit“, so die Rechtsmedizinerin. Es handele sich bei dem Angeklagten um einen „hochgradig erschöpften Menschen“. Der Konsum von Medikamenten, Cannabis und Kokain haben vermutlich keine Auswirkungen auf sein Handeln gehabt. Nach Angaben des Rumänen lag der Kokainkonsum zwei Wochen vor dem Unfall, einen Joint habe er eine Woche davor geraucht. „Der Zeitraum dürfte anhand der gemessenen Werte im Blut eher kürzer zurückliegen“, so die Medizinerin. Die Drogen hätten aber keine Wirkung mehr gezeigt.

Rechtsmedizinerin sieht in „keinster Weise Steuerungsunfähigkeit“

Der Unfallfahrer hatte allerdings über mehrere Tage diverse Medikamente gegen sein hohes Fieber – bei ihm wurden nach der Unfallaufnahme 40 Grad Körpertemperatur gemessen – eingenommen. Die Tabletten wiederum hatte er von der Ehefrau seines Chefs bekommen, um arbeitsfähig zu bleiben. Die Firma hatte Termindruck, noch am Unfalltag musste der gesundheitlich stark angeschlagene Mann Dachfolie bei Frost und Nieselregen verlegen.

„Das ist schon ein dickes Ding, dass der Angeklagte nicht nach Hause geschickt wurde, sondern Medikamente bekam“, so die Richterin. Aber es habe auch in seiner Verantwortung gelegen, sich krankzumelden und vor allem nicht mit dem Auto zu fahren. Spätestens als er mehrfach bei seiner Schlangenlinienfahrt von der Aral-Tankstelle in Schwarzenbek nach Breitenfelde die Kontrolle über das Fahrzeug verlor, hätte er anhalten müssen. Das hat er aber nicht. Deshalb blieb es bei dem Urteil wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahrens ohne Fahrerlaubnis und fahrlässiger Körperverletzung.

Nach dem Prozess ging es gleich zurück in die JVA Lübeck

Nach dem Ende des Verfahrens wurde Laurentiu P. wieder zurück in die JVA Lübeck gebracht, wo er nun seine Reststrafe verbüßen muss. Er hatte mit der Berufung auf ein milderes Urteil gehofft.

Zur Erinnerung: Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der 34-jährige Angeklagte aus dem Kreis Herzogtum Lauenburg am Nikolaustag 2022 mit dem Kleintransporter einer Dachdeckerfirma die B207 aus Schwarzenbek in Richtung Breitenfelde befahren hat, obwohl er nicht im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis gewesen ist. Er war zu diesem Zeitpunkt bereits wegen Fahrens ohne Führerschein und auch wegen Drogenbesitzes vorbestraft. Sein Arbeitgeber, für den er erst seit wenigen Tagen tätig war, wusste davon offenbar nichts.

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Damit nicht genug. Die Frau des Chefs gab dem schwer erkälteten und von Schüttelfrost und hohem Fieber geplagten Bauarbeiter Medikamente, damit er fit bleiben sollte. Dem war aber nicht so. Seine letzte Fahrt mit dem VW Crafter endete in einer Katastrophe. Der Angeklagte geriet am Nikolaustag 2022 mit dem Fahrzeug in den Gegenverkehr in Höhe Niendorf/Stecknitz. Nachdem es einem entgegenkommenden Pkw noch gelang, dem Kleintransporter des Angeklagten auszuweichen, hat der Transporter ein weiteres Fahrzeug touchiert und ist anschließend frontal mit dem nachfolgend entgegenkommenden Pkw der jungen Mutter zusammengestoßen.

Infolge der Kollision wurde die Fahrerin dieses Pkw so schwer verletzt, dass sie noch an der Unfallstelle verstarb. Sie war nicht angeschnallt, hätte aber auch mit Gurt nicht überlebt, wie ein Gutachter im Prozess sagte. Ihr Sohn saß auf dem Beifahrersitz und wurde ebenfalls verletzt. Nach der Kollision ist der Transporter des Angeklagten weiter geschleudert und mit einem nachfolgenden Pkw zusammengestoßen. Sämtliche an dem Unfall beteiligten Fahrzeuge sind teilweise erheblich beschädigt worden. Ein Fahrer brach sich das Knie.