Geesthacht. Philipp Hamann (34) wurde im Dienst attackiert und auch mit einer Schusswaffe bedroht. Wie er mit solchen Vorfällen fertig wird.

Wenn Philipp Hamann und seine Kollegen gerufen werden, dann weil es anderen Menschen schlecht geht. So auch, als der Notfallsanitäter in das Geesthachter Zentrum zu einem Einsatz fährt. Ein älterer, dementer Mann sollte von seiner Wohnung ins Krankenhaus gebracht werden. Was Hamann bei Einsatzbeginn nicht weiß: Für ihn und eine Auszubildende könnte es gefährlich werden. Denn der Patient möchte nicht in die Klinik, geht in einen Nebenraum und holt eine Pistole.

Zwar kann der Sohn des Patienten die Szenerie schnell entschärfen, doch ein paar Tage habe ihn das schon beschäftigt, erzählt Hamann heute, ohne zu dramatisieren. „Das war schon eine Situation, die man nicht erleben möchte.“ Eine absolute Ausnahme – die aber illustriert, welche Gefahren auf Rettungskräfte im Dienst lauern.

Aggressionen und Angriffe auf Rettungskräfte steigen

In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Angriffe auf Rettungskräfte bundesweit immer weiter angestiegen. Zwischenzeitlich gebremst von der Corona-Pandemie wurde laut dem Portal Statista mit bundesweit 2570 registrierten Vorfällen im Jahr 2022 ein neuer Höhepunkt erreicht.

„Wir erleben das immer wieder“, sagt Kai F. Steffens, Geschäftsführer der Rettungsdienstgesellschaft des Kreises Herzogtum Lauenburg (HLR). Allerdings seien die Fallzahlen deutlich geringer als in städtischen Gebieten wie Hamburg oder Berlin. Wenn es aber doch passiert – vielleicht fünf Mal im Jahr – werde der Vorfall dokumentiert.

Alkohol, Drogen und psychische Erkankungen als Ursache

Auch Philipp Hamann hat in seinem Beruf schon häufiger Gewalt erlebt. Sowohl körperliche als auch verbale. In einer Geesthachter Unterkunft für Geflüchtete sollte er einem jungen Mann helfen, der bewusstlos war. Vor Ort habe der Mann, inzwischen wieder bei Bewusstsein, ihn und den Notarzt jedoch beschimpft. „Deswegen haben wir den Rückzug angetreten“, berichtet Hamann. Als er dem Patienten den Rücken zudrehte, wollte dieser ihn angreifen. „Mein Notarzt hat ihn dann gepackt und zu Boden gebracht“, erzählt der 34-Jährige sachlich. Doch klar ist auch: „Es ist nicht unsere Aufgabe, uns mit Leuten zu kloppen.“

Dass diese Situation entstand, hing wohl damit zusammen, dass der Patient Drogen genommen hatte. Wie HLR-Geschäftsführer Kai F. Steffens erklärt, stünden Patienten, die Rettungskräfte angreifen, häufig unter Alkohol oder Drogen. Aber auch psychische Erkrankungen seien ein Faktor. „Viele haben dann Angst und reagieren aggressiv, weil sie die Situation nicht verstehen“, sagt er. Die Reaktionen reichen von Beleidigungen bis hin zur Gewalt. In Ratzeburg habe ein Patient eine Sanitäterin mit einem Messer angreifen wollen. „Die Kollegin konnte sich aber rechtzeitig im Rettungswagen einschließen“, so Steffens.

Deeskalationstraining und Nachsorge

Um auf derartige Situationen gut reagieren zu können, werden die Notfallsanitäter und Ärzte entsprechend geschult. „Das hat schon Einfluss auf die Vorbereitung und das Training“, sagt Kai F. Steffens. Heutzutage werde viel mehr deeskalierende Kommunikation geübt als früher. Sollte sich die Lage nicht wieder beruhigen, wird Unterstützung von der Polizei angefordert. „Das funktioniert auch sehr gut“, sagt er. An den Funkgeräten sei dafür ein Notfallknopf vorhanden, damit die Beamten schnellstmöglich gerufen werden können.

Und wenn doch mal etwas passiert? Dann können die Rettungskräfte eine Einsatznachsorge mit speziell ausgebildeten Kolleginnen anfordern. „Da wird darüber gesprochen. Danach ist das Thema meist abgehakt“, sagt Hamann. Kollegen, die mit einem Vorfall länger zu kämpfen haben, könnten weitere Trauma-Gespräche in Anspruch nehmen. „Ich kenne aber keinen Kollegen, der mit Angst zur Arbeit gekommen ist“, sagt er. „Dann wäre man vermutlich falsch in dem Beruf.“

Patienten möchten in bestimmte Klinik gebracht werden

Ohnehin kann Philipp Hamann auf die Unterstützung seiner Familie zählen. „Ich spreche mit meiner Frau darüber. Wir sind da offen und ehrlich. Sie kann damit gut umgehen“, sagt er. Bei Polizisten, bei denen Auseinandersetzungen zur Tagesordnung gehören, haben Angehörige häufiger Sorgen.

Auch wenn Situationen wie mit dem dementen Patienten oder die Auseinandersetzung in der Geflüchtetenunterkunft belastend sein können, seien sie doch die Ausnahme, wie Philipp Hamann sagt. Viel häufiger seien es kleine Unstimmigkeiten, die entstehen können. „Wenn man nach Meinung des Patienten ins falsche Krankenhaus fährt, muss man sich auch mal was anhören“, berichtet der 34-Jährige. Dann erkläre er jedoch, dass klar geregelt sei, in welches Krankenhaus Rettungswagen mit einer bestimmten Diagnose fahren müssen. „Die meisten lassen sich dann auch schnell wieder einfangen“, erklärt er.

Gewerkschaft fordert mehr Lohn und bessere Ausrüstung

Außerdem habe er in dem Job, in dem minütlich das Alarmsignal ertönen kann, gar keine Zeit, sich lange mit dem Vergangenen aufzuhalten. Auch wenn ein Vorfall ihn mal nerve, kann sich Philipp Hamann nicht vorstellen, etwas anderes zu machen. „Es ist abwechslungsreich mit super Kollegen auf der Wache. Für mich ist es der perfekte Beruf“, sagt er.

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Dass Angriffe auf Rettungskräfte komplett zu vermeiden sind, glaubt der Notfallsanitäter nicht. „Das kann eigentlich in jeder Situation passieren“, sagt er. Die Gewerkschaft Ver.di fordert die Arbeitgeber deshalb auf, die Einsatzkräfte technisch so gut es geht auszurüsten. Betroffene sollen jeden Vorfall melden. Zudem sei ein höherer Lohn fällig, da es sich um einen gefährlichen Beruf handele.