Lauenburg. Viele kennen das Phänomen: Kaum beginnt die schönste Zeit im Jahr, wird man krank. Woran das liegt und was man dagegen tun kann.

Wer kennt das nicht: Der letzte Urlaub ist schon wieder viel zu lange her, und die Tage bis zur nächsten Auszeit ziehen sich wie Kaugummi. Durchhalten ist die Devise. Selbst dann, wenn das persönliche Limit längst überschritten ist. Rückenschmerzen? Wird schon wieder. Der Nacken knirscht? Nur noch ein paar Tage. Im Urlaub ist dann alles wieder gut.

Ist es aber oft nicht. Im Gegenteil: sobald der Körper zur Ruhe kommt, gehts erst richtig los: Der Magen rebelliert, der Kopf dröhnt und der Rücken fühlt sich an, als wäre eine Dampfwalze darüber gefahren. Das „Krank statt Urlaub“- Phänomen, im Fachjargon Leisure Sickness (Freizeitkrankheit) genannt, ist keine Seltenheit. Die Lauenburger Physiotherapeutin Christin Heuer kennt sich damit aus. Auch Entspannung, so sagt sie, müsse man lernen. Die 29-Jährige eröffnet am 1. August in Lauenburg ihre erste eigene Praxis. Die Behandlung von Stresssymptomen ist ein Schwerpunkt ihres Leistungsspektrums.

Körper macht im Urlaub schlapp: die „Last auf den Schultern“

Die Zeiten, in denen Patienten mit einer sicheren Diagnose vom Hausarzt in die Physiotherapie kamen, sind lange vorbei.  „BWS Syndrom“ – so steht auf vielen Überweisungen. Christin Heuer hat dann nur die Information: Die Patientin oder der Patient hat Schmerzen im Bereich der Brustwirbelsäule. Oft haben Patienten dann schon eine Odyssee hinter sich. Ärztliche Untersuchungen haben keinen Befund ergeben, die Beschwerden sind trotzdem da. „Meist reicht schon ein Blick auf die Körperhaltung und ich ahne, dass das Problem tiefer liegt, als es die Rückenschmerzen vermuten lassen.“

Deswegen beginnt in solchen Fällen ihre Behandlung erstmal mit einem Gespräch. „Oft ähneln sich die Geschichten. Viele Menschen stehen heute im Job unter permanentem Druck. Ohne dass sie es merken, steht auch der Körper unter ständiger Anspannung. Das rächt sich oft in schmerzhaften Muskelverspannungen“, weiß die Physiotherapeutin. Nicht umsonst spricht man ja davon, eine „Last auf den Schultern“ zu tragen.

Stresshormone wirken wie Doping auf den Körper

Schon lange ist bekannt: Sobald ein Mensch Stress empfindet, sendet das Gehirn Informationen an die Muskulatur und diese spannt sich an. Bleibt die Stresssituation länger bestehen, bleibt auch die muskuläre Anspannung bestehen. „Das Fatale ist, der Körper spielt da sogar eine Weile mit“, weiß Christin Heuer. In belastenden Situationen schüttet der Körper unentwegt Stresshormone aus, die wie körpereigenes Doping wirken. 

Forscher des Instituts für Verhaltenstherapie und für Stress- und Fatigueforschung in Hamburg haben dafür einen Begriff geprägt: „Säbelzahntiger-Reflex“. Das war schon bei den ersten Menschen so, etwa, wenn ihnen ein solches Raubtier gegenüber stand. Schmerzen oder Müdigkeit empfanden sie so lange nicht, bis sich die Gefahr vorbei war. Dies ist in unseren Genen angelegt – egal, ob uns ein Säbelzahntiger gegenübersteht, ein ungeduldiger Kunde oder der drängende Chef.

Viele Menschen haben verlernt, abzuschalten

Aber müsste die Last im Urlaub dann nicht sofort abfallen? Stattdessen werden viele Menschen pünktlich mit Urlaubsbeginn krank. Neben Erkältungssymptomen und Magenproblemen verkrampfen die verspannten Muskeln noch mehr. Rückenschmerzen, die gerade noch erträglich waren, werden plötzlich zum quälenden Dauerzustand. Nach einer Umfrage im Auftrag der Internationalen Hochschule Bad Honnef-Bonn ist mittlerweile jeder fünfte Arbeitnehmer in Deutschland von „Leisure Sickness“ betroffen.

Christin Heuer kennt dieses Phänomen auch aus eigener Erfahrung. „Unser Körper hat mit uns bis zum letzten Arbeitstag durchgehalten. Im Urlaub nimmt er sich die Zeit, seine Signale auszusenden und das äußert sich dann oft in körperlichen Beschwerden“, weiß die Physiotherapeutin. Und, so sagt sie, auch Abschalten müssten viele Menschen auch wieder lernen.

Physiotherapeutin Christin Heuer (l.) mit Mitarbeiterin Susann Ewald an der Rezeption der „Physioschmiede“.
Physiotherapeutin Christin Heuer (l.) mit Mitarbeiterin Susann Ewald an der Rezeption der „Physioschmiede“. © Elke Richel | Elke Richel

Tipp: Im Urlaub mal „alle Fünfe grade sein lassen“

Und das bedeutet: das Handy aus der Hand legen, dienstliche Anrufe ignorieren und die sozialen Netzwerke möglichst meiden. Kurioserweise ist gerade das Internet voll von Tipps, wie man im Urlaub richtig abschaltet – und zwar bewusst offline geht. Tatsächlich ist da aber einiges dran: In einer Zeit, in der jeder praktisch zu jeder Zeit erreichbar ist, ist es für viele schwer, den Alltag und die Arbeit auszublenden.

„Einfach mal alle Fünfe grade sein lassen. Gut ist, im Urlaub das Gegenteil von dem zu machen, was im Job getan wird. Wer fast nur sitzt, sollte sich dann viel bewegen“, sagt Christin Heuer. Aber auf keinen Fall dürfe man dabei gleich in den nächsten Stress verfallen und sportliche Rekorde aufstellen wollen. „Zwei sandgefüllte Plastikflaschen geben am Strand prima Hanteln ab und Dehnungsübungen lassen sich an jeder Hauswand trainieren“, so die Therapeutin. Ihren stressgeplagten Patienten legt sie gern ein paar Tipps mit ins Urlaubsgepäck.

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Sich auch im Alltag kleine Auszeiten gönnen

Wichtig sei es vor allem, sich schon im Alltag ab und zu Zeit für sich selbst zu nehmen. Einen neuen Trend hat die Physiotherapeutin auch ausgemacht: Immer mehr Menschen wünschen sich zu besonderen Anlässen Gutscheine aus ihrer Praxis, beispielsweise für eine Massage. „Abgesehen von der entspannenden Wirkung, gibt es den Patienten ein gutes Gefühl, sich selbst eine Auszeit zu nehmen. Das ist für sie wie ein kleiner Urlaub“, hat sie festgestellt.

Die Lauenburgerin Christin Heuer eröffnet ihre erste eigene Praxis „Physioschmiede“ am Donnerstag, 1. August, im Schmiedeweg 6. Die Behandlungen erfolgen nach Überweisung durch den Hausarzt oder den Orthopäden. Aber auch, wer sich selbst eine kleine Auszeit vom Alltagsstress schenken möchte, kann einen Termin unter Telefon 04153/5 71 18 19 vereinbaren.