Kiel. Halbzeit für Schwarz-Grün. Ministerpräsident gibt Regierungserklärung ab. Scharfe Attacken der Opposition. Es geht auch um Northvolt.
Aufbruch in eine klimaneutrale Zukunft trotz klammer Kassen oder vertane Jahre für Schleswig-Holstein? Daniel Günther und die schwarz-grüne Koalition in Schleswig-Holstein haben Halbzeit. Die erste Hälfte der fünfjährigen Legislaturperiode ist vorbei. Waren es zweieinhalb gute Jahre für das Land, wie die Regierung nicht müde wird zu versichern? Oder ist Schwarz-Grün die Zukunftsbremse für Schleswig-Holstein? Das jedenfalls sagt Oppositionsführerin Serpil Midyatli. Am Mittwoch zog der Kieler Landtag Bilanz.
„Wo steht das Land jetzt?“ „Wohin führt die Regierung das Land in den nächsten zweieinhalb Jahren?“ Diese beiden Fragen hatten SPD, FDP und SSW für die große Debatte angemeldet, um zu einer Generalabrechnung anzusetzen. Um der Opposition die Deutungshoheit nicht zu überlassen, konterte Günther kurzerhand mit einer Regierungserklärung. In 28 Minuten streifte Günther nahezu alle großen Themen, die das Land bewegt. Eine große Rede war es nicht, die der Regierungschef da hielt. Eine „Ruck-Rede“ schon gar nicht. FDP-Chef Christopher Vogt spottete vielmehr über die „Weihnachtsansprache“ des Ministerpräsidenten.
Schlagabtausch im Kieler Landtag: Günther unter Beschuss
Die Folgen des Krieges in der Ukraine, die Energiekrise, Ganztagsunterricht und Kitabetreuung, Klimaneutralität und Migration, Haushaltsmisere und Gesundheitsversorgung. Ob Günther oder die Fraktionschefs der fünf Parteien – es gab kaum ein Thema, das nicht zumindest einmal gestreift worden wäre. Und immer wieder drehte es sich auch um die Northvolt-Krise und die Folgen für Schleswig-Holstein.
300 Millionen Euro – so viel muss das eh hoch verschuldete Bundesland aufbringen, weil Schleswig-Holstein neben dem Bund für eine Wandelanleihe der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) haftet. Um dem schwedischen Start-up – Northvolt wurde 2017 erst gegründet – den Bau einer Fabrik für E-Autobatterien in Heide schmackhaft zu machen, hatten Bund und Land eine 600-Millionen-Euro-Bürgschaft über die KfW abgegeben. Ziel war und ist, sich von der chinesischen Batterieproduktion unabhängig zu machen.
Schleswig-Holstein: Sind die 600 Millionen Euro an Northvolt schon verloren?
Neben der Bürgschaft hatte die Politik Zuschüsse von mehr als 700 Millionen Euro zugesagt, die an Baufortschritte in Heide gekoppelt sind. Dort sollen einmal 3000 Arbeitsplätze allein im Northvolt-Werk entstehen. Weitere 3000 sind bei Zulieferern und Dienstleistern gedacht.
Doch der Mutterkonzern („Northvolt AB“) ist schwer ins Straucheln geraten. Allein im vergangenen Jahr soll der Konzern 1,2 Milliarden Dollar neue Schulden angehäuft haben. Die Gründe sind vielfältig: Die Produktion der Autobatterien im schwedischen Stammwerk läuft nicht wie geplant, die Expansionspläne waren zu ambitioniert, und der Verkauf von E-Autos ist eingebrochen. Northvolt hat für seinen schwedischen Zweig Gläubigerschutz nach Chapter 11 beantragt. In dem Insolvenzverfahren in Texas soll das Unternehmen, vereinfacht, vor den Gläubigern geschützt werden und Zeit für eine Restrukturierung und die Suche nach neuen Investoren bekommen.
Daniel Günther rechtfertigt Northvolt-Engagement
Aber klappt das? Gelingt Northvolt der „Turnaround“? Und werden im strukturschwachen Heide jemals Batterien produziert? Daniel Günther rechtfertigte im Landtag das finanzielle Engagement von Bund und Land. Erst zwei Tage zuvor hatte Günther-Widersacher Markus Söder (CSU) Land und Bund Versäumnisse und Fehler vorgeworfen und einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Northvolt-Subventionen gefordert.
Ohne Söders Namen zu nennen, rechtfertigte Günther die vielen Hundert Millionen Euro, die im Chapter-11-Verfahren verloren gehen könnten. „Ja, Entscheidungen, die auf die Zukunft ausgerichtet sind, bergen Risiken“, sagte der Regierungschef. „Aber wir brauchen eine Batteriezellenproduktion in Deutschland. Heide kann noch ein Erfolg werden und zeigen, dass nachhaltiges Wirtschaftswachstum und Klimaschutz bei uns zusammenkommen“, sagte Günther im Landtag. „Unsere Politik setzt darauf, dass Schleswig-Holstein ein Ort der Ideen und Innovationen ist und in mancher Hinsicht auch ein Modell für ein nachhaltigeres, smarteres, dynamischeres Deutschland.“
Oppositionsführerin Serpil Midyatli warf Günther Blauäugigkeit und eine fehlende Risikoabwägung in Sachen Northvolt vor. FDP-Chef Christopher Vogt erneuerte zwar die grundsätzliche Unterstützung seiner Partei für das Projekt und dessen Co-Finanzierung durch Land und Bund. „Aber wir haben Zweifel am Controlling des Wirtschaftsministeriums.“ Darum geht es: Hat sich das Land vernünftig gekümmert oder hat es seine Aufsichtspflicht verletzt? Ist die Regierung ihrer Verantwortung gerecht geworden oder schiebt sie sie auf den Bund ab? Zwar lehnt die FDP die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ab, sie will aber mit einer ganzen Reihe von kleinen Anfragen jetzt herausbekommen, was die Landesregierung zu welchem Zeitpunkt über die Krise bei Northvolt wusste.
SPD in Schleswig-Holstein: Koalition ist Zukunftsbremse
Mit scharfen Worten griff Oppositionsführerin Serpil Midyatli Günther auch über Northvolt hinaus an. „Was bringen Ideen, wenn niemand sie umsetzt?“, fragte die SPD-Fraktionschefin. Die Menschen dürften nach insgesamt sieben Jahren im Amt – Günther regiert von 2017 bis 2022 mit einer „Jamaika-Koalition“ – mehr vom Ministerpräsidenten erwarten. Midyatli sprach von einer Bilanz der verpassten Chancen. „Die Günther-Regierung ist eine Zukunftsbremse für unser Land.“
Sie bemängelte auch den Einsatz der schwarz-grünen Landesregierung auf Bundesebene. „Was macht die Günther-Regierung im Bundesrat? 250-mal enthalten. Haben Sie keine Haltung, haben Sie keine Meinung?“, fragte Midyatli. Darunter leide der Einfluss des nördlichsten Bundeslandes. Die Menschen fragten sie oft, wofür Günther selbst eigentlich stehe. „Keine Akzente. Nirgends.“ Dagegen habe die eigene Fraktion 800 Kleine Anfragen gestellt und mehrere Gesetzesinitiativen vorgelegt. „Wir ackern, wo die Günther-Regierung flaniert.“
FDP in Schleswig-Holstein: verlorene Jahre für Schleswig-Holstein
Ihr FDP-Kollege Christopher Vogt warnte, dem Land drohten verlorene Jahre bis zur Landtagswahl 2027. Es laufe in vielen Bereichen nicht gut. „Unser Bundesland hat Besseres verdient als eine Landesregierung, die in bemerkenswerter Selbstzufriedenheit viele Probleme einfach schönredet, anstatt sie anzupacken und zu lösen.“ Schwarz-Grün habe den Sparkurs zu spät eingeleitet. Vom Ziel des ersten klimaneutralen Bundeslandes bis 2040 sei Schleswig-Holstein meilenweit entfernt.
SSW-Fraktionschef Lars Harms mahnte eine Reform der Schuldenbremse an, dafür müsse sich die Koalition auf Bundesebene starkmachen. „Alles andere, meine Damen und Herren, schadet nämlich dem Land.“ Die verfügbaren Mittel reichten nicht aus für Bildung, Kitas und den Erhalt der Infrastruktur.
Was CDU und Grüne in SH zur Halbzeitbilanz sagen
CDU-Fraktionschef Tobias Koch warf der Opposition Schwarzmalerei vor. In aktuell schwierigen Zeiten sei das Land so etwas wie die Insel der Glückseligen. „Schleswig-Holstein ist bei der Günther-Regierung in guten Händen.“ Grünen-Fraktionschef Lasse Petersdotter verwies auf Erfolge beim Naturschutz und dem sozialen Wohnungsbau. „2000 Wohnungen ja. Das bringt uns auch bundesweit in Spitzenposition.“
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Und Daniel Günther sprach in seiner Regierungserklärung davon, jeden Tag darauf zu brennen, mit der Koalition an der Zukunft des Landes zu arbeiten. „Schleswig-Holstein kann mehr, als es sich manchmal zutraut.“ Die norddeutsche Bescheidenheit ehre die Menschen. „Doch wir sollten unsere Fähigkeiten, unsere Ideen und unseren Mut nicht unterschätzen“, sagte Günther. (mit dpa)