Hamburg/Kiel. Geheimdienst-Kontrolleur warnt im Abendblatt vor Spionageflügen, Sabotage in der Ostsee und Verunsicherung durch Russland.
Russische Spionageschiffe und Schattentanker in der Ostsee; offensichtlich militärische Drohnenflüge über dem Hamburger Hafen wie jetzt beim Besuch des britischen Flugzeugträgers und über Chemieanlagen in Brunsbüttel; zerstörte Datenkabel auf dem Meeresboden – der „Kalte Krieg“ ist zurück. Zuletzt waren vor einer Woche innerhalb von 24 Stunden gleich zwei Datenkabel beschädigt worden.
Für den Vorsitzenden des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestags, Konstantin von Notz, hat das System. „Das sind offen feindselige Aktivitäten, die wir sehr ernst nehmen müssen. Der Krieg rückt täglich näher an uns und unsere Verbündeten heran“, warnt der Politiker der Grünen im Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt.
Grünen-Politiker warnt im Gespräch mit dem Abendblatt
Der Schleswig-Holsteiner ist seit 2009 Abgeordneter des Bundestags. Als Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums ist die Überprüfung der Arbeit der Geheimdienste seine Aufgabe. Über vieles, was er dabei erfährt, darf er nicht sprechen. Aber das wenige genügt.
Von Notz warnt vor „russischen Desinformationskampagnen und anderen staatlich gelenkten Destabilisierungsoperationen, vor Drohnenüberflügen und Sabotageaktionen in ganz Europa – auch und gerade bei uns in Norddeutschland.“ Er sieht die kritische Infrastruktur Schleswig-Holsteins und Mecklenburg-Vorpommerns in Gefahr: Die beiden Küstenländer stünden aufgrund ihrer geografischen Lage, der Meeresanbindung und der Bezüge ins Baltikum in ganz besonderem Fokus.
Drohnen über dem Hamburger Hafen: „feindselige Aggression“
Die russische Aggression geht längst weit über die Ukraine hinaus. Ein entsprechendes Problembewusstsein sei bei Finnen, Norwegern, Esten, Litauer und Letten deutlich weiterentwickelt als in Deutschland. „Teile der deutschen Politik versuchen die russische Aggression bis heute umzudeuten oder zu verdrängen und glauben, dass es sich nicht um knallharte Sabotage, sondern lediglich um Missverständnisse handelt, während man sich zum Beispiel in Schweden oder Polen nichts vormacht“, sagt von Notz. „Wir müssen diese Naivität endlich ablegen. Es handelt sich um im höchsten Maße feindselige Aggressionen.“
Zuletzt bestätigte die Bundeswehr eine Drohnensichtung beim Besuch des Flugzeugträgers „Queen Elizabeth“ im Hamburger Hafen. Dabei wurde auch ein Drohnenabwehrtrupp eingesetzt, sagte ein Sprecher des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr am Wochenende.
Zwei Datenkabel am Boden der Ostsee nahezu gleichzeitig beschädigt
Keine Woche zuvor waren gleich zwei Glasfaserkabel in der Ostsee zerstört worden: eines verbindet Schweden und Litauen, das andere Deutschland und Finnland. Berichten zufolge sind der chinesische Frachter „Yi Peng 3“ und sein russischer Kapitän ins Zentrum der Ermittlungen gerückt. Auf dem Weg aus einem russischen Ölhafen soll das Schiff während der Beschädigungen in der Nähe der betroffenen Stellen gewesen sein. Schwedische und finnische Behörden ermitteln, unterstützt werden sie von der deutschen Polizei.
Aus Sicht von Konstantin von Notz ist die Plausibilität hoch, dass es sich bei der Zerstörung der Kabel um Sabotage handelt. Ausländischen Nachrichtendiensten die Täterschaft durch forensische Polizeiarbeit nachzuweisen, sei wie immer schwierig. „Aber wir müssen auch diesmal, wie auch bei der Durchtrennung der Gaspipeline Balticconnector in der Ostsee vor rund einem Jahr, mit hoher Wahrscheinlichkeit von Sabotage ausgehen“, sagte der Geheimdienstexperte dem Abendblatt.
Grüne forderten kurz nach Kriegsbeginn besseren Schutz
Die Zerstörung der Datenverbindungen zeige, wie verletzlich die kritischen Infrastrukturen in Nord- und Ostsee seien, warnt von Notz. „Wer Pipelines und Kommunikationskabel zielgerichtet zerstört, will Länder bewusst schwächen, die Bevölkerung verunsichern und gleichzeitig demonstrieren, wozu er jederzeit in der Lage ist.“
Schon im März 2022, drei Wochen nach dem Überfall Putins auf die Ukraine, hatte von Notz gemeinsam mit acht weiteren grünen Bundestagsabgeordneten in einem Brandbrief an die Ministerinnen Faeser und Baerbock, die Minister Habeck und Wissing und ans Bundeskanzleramt „Maßnahmen zur Erhöhung der IT-Sicherheit und zur Stärkung der Resilienz“ gefordert. Passiert ist lange Zeit nichts – trotz erneuter Aufforderungen. Erst im Herbst dieses Jahres, zweieinhalb Jahre später, hat der Bund schließlich das sogenannte Kritis-Dachgesetz auf den Weg gebracht. „Kritis“ steht für „Kritische Infrastruktur“.
Geheimdienst-Kontrolleur warnt vor Zeitverlust
Das Gesetz schreibt Betreibern von Windparks, Strom- und Wasserversorgern, Krankenhäusern oder Telekommunikationsunternehmen Risikoanalysen, Mindestschutzstandards und Meldepflichten bei Störfällen vor. Das Problem: Das Gesetz hat den Bundestag noch nicht in zweiter Lesung passiert. „Wir versuchen, dieses zentrale Gesetzesvorhaben noch vor der Bundestagswahl abzuschließen. Die Dinge sind sicherheitspolitisch einfach zu wichtig, als dass wir sie jetzt etliche Monate liegen lassen und warten, bis ein neuer Bundestag arbeitsfähig ist. Diese Zeit haben wir schlicht nicht“, warnt von Notz. Dass die Union das Gesetz mit SPD und Grünen durchwinkt, gilt aber eher als unwahrscheinlich.
Seit mehr als 1000 Tagen führt Russland Krieg. Das Gesetz zum Schutz der Kritischen Infrastruktur könnte längst vorliegen. Von Notz sagt, es müsste längst beschlossen sein. Stattdessen sei noch immer offen, welche deutsche Behörde für den Schutz welcher Kritischen Infrastruktur in der Ostsee verantwortlich sei. „Sobald die Zuständigkeiten endlich geklärt sind, muss die jeweils verantwortliche Stelle, zum Beispiel die Bundespolizei, ausreichend mit Befugnissen, Personal und Technik ausgestattet sein“, fordert der Geheimdienst-Kontrolleur.
„Unsere Nachbarländer im Norden und Osten sind sehr viel weiter als wir. Wir müssen aufholen und uns als Staat und Zivilgesellschaft sehr viel resilienter aufstellen.“ Eine „Zeitenwende“ brauche es endlich auch mit Blick auf den Schutz der Demokratie, erinnert von Notz an die Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).
Spionage und Sabotage bei den LNG-Terminals und Pipelines
100-prozentigen Schutz gegen Sabotage werde es nie geben. „Aber genauso, wie wir die Polizeipräsenz an Bahnhöfen und Flugplätzen erhöhen, Schutzkonzepte für öffentliche Veranstaltungen weiterentwickeln und Dinge im militärischen Bereich grundlegend ändern, müssen wir auch den Schutz unserer kritischen Infrastrukturen deutlich erhöhen“, fordert von Notz und erinnert an die „beunruhigenden Vorkommnisse“ in Brunsbüttel und die Ermittlungen des Generalbundesanwalts. „Wir erleben Spionage und Sabotage bei den LNG-Terminals und Pipelines sowie Überflüge über Atomkraftwerke, Chemieparks und Bundeswehrstandorte. Auch andere Regionen in Schleswig-Holstein sind längst im Visier.
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Alle Versuche, die offensichtlich militärische Drohnen einzufangen, sind bislang gescheitert – wie am Wochenende auch in Hamburg. „Diese Operationen verfolgen das offenkundige Ziel, die eigene militärische Überlegenheit und unsere Verwundbarkeit zu demonstrieren. Diese Machtdemonstrationen sollen Unsicherheit schüren und aufzeigen, womit man im Konfliktfalle zu rechnen hat – nämlich mit dem Schlimmsten.“