Kiel. Landtag beschließt Reform. Kindertagesstätten können Personal flexibler einsetzen. SPD, FDP und SSW befürchten Qualitätsabbau.

Die Liste der Klagen und Beschwerden ist lang. Eltern kritisieren die mangelnde Verlässlichkeit, zu wenig Plätze, zu große Gruppen, Erzieherinnen und Erzieher kritisieren die hohe Belastung und überbordende Bürokratie. Um die schleswig-holsteinischen Kitas steht es trotz der großen Reform von vor drei Jahren schlecht. Im System fehlen 110 Millionen Euro, finanziell reicht es hinten und vorne nicht. Die Landesregierung verspricht Besserung im neuen Jahr. Am Mittwoch stimmte der Kieler Landtag der Reform der Kitareform zu – gegen die Stimmen von SPD, FDP und SSW. Der Opposition gehen die Maßnahmen nicht weit genug.

Nach Angaben des Sozialministeriums finanzieren die Kommunen die Kitas im kommenden Jahr mit gut einer Milliarde Euro. Das Land steuert noch einmal 757 Millionen Euro bei, 60 Millionen Euro mehr als 2024. Mehr Zuschüsse seien angesichts der wirtschaftlichen Rezession und fehlenden Steuereinnahmen nicht zu leisten, sagt CDU-Fraktionschef Tobias Koch.

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Die Reform sieht vor, dass Land und Kommunen 2025 jeweils 20 Millionen Euro mehr zur Kitafinanzierung ausgeben. Nur: Dann fehlen immer noch 70 Millionen. Die will die Landesregierung durch mehr Flexibilität im System herbeischaffen – rechnerisch. Bislang muss jede Kitagruppe zu jedem Zeitpunkt am Tag durchgehend von zwei Fachkräften betreut werden – auch wenn, zum Beispiel am Nachmittag, viele Kinder schon wieder zu Hause sind. Die Folge: Wenn sich ein Erzieher krankmeldet, sehen Kitas oft keine Alternative, als die Gruppe zu schließen, selbst wenn noch ein Erzieher zur Verfügung steht. Das bestehende Kitagesetz ist starr, Kitas dürfen Personal nicht flexibel so einsetzen, wie sie es für nötig halten. Das soll sich ab Januar ändern. Auch sollen dann zeitraubende Dokumentationspflichten für die Kitas wegfallen.

CDU-Fraktionschef Koch wehrt sich gegen Vorwürfe, die Flexibilisierung führe zu einem Qualitätsverlust in der Kinderbetreuung. „Eine geschlossene Kita ist die denkbar schlechteste Kita“, sagt er. Das verhindere man mit der Reform. Kitas müssten verlässlich sein, nur so funktioniere der Alltag der Eltern, betont auch die Familienexpertin der Grünen, Catharina Nies. Diese Verlässlichkeit verspricht sie sich von den nächsten Reformschritten. „Wir geben den Kitas Hoheit zurück, das Personal bestmöglich einzusetzen.“

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Bislang zahlt das Land seinen Kostenanteil zu 100 Prozent, auch wenn die Kindertagesstätte Gruppen schließen muss. Das soll sich mit der Reform ändern. Künftig werden die Kitas für das bezahlt, was sie leisten. Mit der Reform können sie zudem leichter Quereinsteiger und Hilfskräfte einsetzen. Aber ein großes Versprechen aus dem schwarz-grünen Koalitionsvertrag wird gebrochen. „Wir wollen eine Erhöhung des Personalschlüssels in dieser Legislaturperiode. Jede und jeder muss sich Kinderbetreuung leisten können: Die Elternbeiträge werden weiter reduziert.“ So steht es im Koalitionsvertrag. Davon ist jetzt nicht mehr die Rede. Weder ist eine Beitragssenkung noch eine Erhöhung des versprochenen Personalschlüssels in Sicht.

Das greift die SPD-Partei- und Fraktionschefin Serpil Midyatli scharf an. Die Kitas in Schleswig-Holstein seien in der Krise. Midyatli nennt deren Situation „dramatisch“. Doch statt mit einer tatsächlichen Reform die finanziellen und personellen Probleme zu lösen, habe sich die Landesregierung für Mangelverwaltung entschieden. Es fehlten aktuell 15.600 Kitaplätze (laut einer Berechnung der Bertelsmann-Stiftung) und 2400 Fachkräfte bis 2030. Die Regierung ignoriere aber diese alarmierenden Zahlen. „Diese Kitareform ist eine der größten Blamagen der Günther-Regierung“, schimpft die SPD-Vorsitzende.

Opposition befürchtet Qualitätsabbau

„Wir müssen uns das leisten, und wir können uns das leisten“, sagte der ehemalige Sozialminister und Kitaexperte der FDP, Heiner Garg, über eine auskömmliche Finanzierung des Kitasystems. Er befürchtet aber, dass sich die Qualität der Kinderbetreuung verschlechtern wird. „Die Finanzierungslücke wird einfach nur verschoben. Aber sie wird nicht geschlossen.“ Ähnlich sieht es der SSW. Dessen Sozialexperte Christian Dirschauer spricht von einem „Reförmchen mit Spardiktat“. Wie Garg warnt der SSW-Abgeordnete vor der Absenkung der Standards und damit der Bildungsqualität.  Der SSW wirft CDU und Grünen vor, „beim Thema Kita mittlerweile in den Mängelverwaltungsmodus geschaltet“ zu haben.

Aus Sicht von Sozialministerin Aminata Touré von den Grünen werde die Kindertagesbetreuung im kommenden Jahr verlässlicher, die Qualität steige, die Fachkräfte würden gestärkt, die Kommunen entlastet. „Und die Beiträge bleiben trotz der schwierigen Haushaltslage stabil.“ Nach Angaben ihres Ministeriums zahlen Eltern für Kinder unter drei Jahren höchstens 232 Euro monatlich für eine achtstündige Betreuung am Tag und 226 Euro im Ü3-Bereich.

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Massive Kritik kommt neben der Opposition auch vom Städteverband, dem Landkreistag und dem Gemeindetag. Die drei kommunalen Spitzenverbände werfen dem Land vor, die Finanzierungsprobleme bei den Kommunen abzuladen. „Wichtige Reformziele der Kita-Reform sind nicht erreicht worden“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung. Die konstruktiven Vorschläge der Kommunen zur Sicherstellung der Kinderbetreuung seien „weitgehend unberücksichtigt geblieben“, kritisieren die Geschäftsführer Marc Ziertmann (Städteverband), Sönke Schulz (Landkreistag) und Jörg Bülow (Gemeindetag). „Das Ziel einer dringend erforderlichen und nachhaltigen Entlastung der Kommunen ist durch das jetzt beschlossene Gesetz nicht erreicht worden“, heißt es.