Kiel. Die schleswig-holsteinische Landesregierung geht nach Verhandlungen auf Kritiker zu. Was sich demnach ändern soll – und was nicht.
Die umstrittene Justizreform in Schleswig-Holstein ist vom Tisch – jedenfalls so, wie sie ursprünglich geplant war. Der Widerstand war zu groß. Justizministerin Kerstin von der Decken ist auf ihre Kritiker – Richter, Justizangestellte, Sozialverbände und Gewerkschaften – zugegangen und hat mit den Präsidentinnen und Präsidenten der Obergerichte eine Alternative entwickelt. Ursprünglich wollte Schleswig-Holstein, um Geld zu sparen, die insgesamt neun über das Land verteilten Arbeits- und Sozialgerichte an einem Ort zentralisieren. Im Gespräch war Neumünster.
Auch nach dem jetzt gefundenen Kompromiss müssen die Gerichte noch umziehen, sie bleiben aber dezentral auf Schleswig-Holstein verteilt. Die Sozial- und Arbeitsgerichte sollen in den Räumen der Amtsgerichte Unterschlupf finden. So entstünden größere Organisationseinheiten, es komme zu Synergien bei Gebäuden und Personal, zugleich werde aber die Präsenz der Fachgerichte in der Fläche erhalten, sagte von der Decken zum Kompromiss. Die Gerichte rechnen auch ohne die geplante Konzentration an einem einzigen Standort mit „erheblichen Einsparungen“. Man sei froh, jetzt wieder in einem Boot mit dem Justizministerium zu sitzen, hieß es am Dienstag. Die Wogen seien geglättet.
Justizreform in Schleswig-Holstein: Schwarz-Grün mildert umstrittenen Plan ab
Der Kompromiss sieht vor, einen Arbeitsgerichtsstandort aufzugeben – den in Neumünster mit elf Beschäftigten. Und das Arbeitsgericht Elmshorn wird als „auswärtige Kammer“ nach Itzehoe verlagert. Insgesamt will sich das Land von sieben der bislang 17 genutzten Justizgebäude trennen.
Ursprünglich wollte Schwarz-Grün mit der Reform „bis 2040 rund 63 Millionen Euro nach Abzug der erforderlichen Investitionen“ sparen. Die Gesamtmiete sollte sinken, wenn alle Gerichte an einem Ort zentralisiert sind. Zudem sollten anstehende Modernisierungskosten vermieden werden. Das Problem: Mit den betroffenen Richtern, Angestellten und Sozialverbänden an den vier Sozialgerichten (Itzehoe, Kiel, Schleswig und Lübeck) und fünf Arbeitsgerichten (Elmshorn, Flensburg, Kiel, Lübeck und Neumünster) hat niemand vorab gesprochen. Sie erfuhren per Mail oder über die Medien von den Umzugsplänen.
Kritiker werfen Justizministerin „Handstreich“ vor
Kritiker warfen Justizministerin von der Decken daraufhin eine „unseriöse Justiz- und Finanzpolitik“, „einsame Entscheidungen nach Gutsherrenart“ oder auch einen„Handstreich“ vor. Neben den 300 Richtern und Justizangestellten wären Tausende Schleswig-Holsteiner von weiteren Anfahrtswegen betroffen gewesen, die vor einem Arbeitsgericht oder einem Sozialgericht um ihr Recht kämpfen.
Noch gibt es in Schleswig-Holstein neben den neun Arbeits- und Sozialgerichten 22 Amtsgerichte. Perspektivisch will das Land die Zahl auf eins pro Kreis und kreisfreier Stadt reduzieren. Damit blieben 15 Amtsgerichte übrig. Von der Decken will bis Ende kommenden Jahres ein Reformkonzept vorlegen, das frühestens ab 2029 umgesetzt wird
Wie viele Stellen durch die Justizreform eingespart werden sollen
Für den FDP-Abgeordneten Bernd Buchholz zieht die „Justizministerin die Notbremse, und das ist auch höchste Zeit. Denn ihre Gerichtsreform ist nicht so alternativlos, wie Frau von der Decken das immer so gerne dargestellt hat.“ Buchholz nannte es ein „Glück“, dass Richterverbände und Opposition Druck ausgeübt hätten, die Reform noch zu stoppen.
Erst wenige Tage vor dem gefundenen Kompromiss hatte die Landesregierung noch versucht, Buchholz die Vorteile der Zentralisierung zu verkaufen. Durch die Zusammenführung der Gerichte an einem Standort reduzierten sich Verwaltungsaufgaben. „Hierfür bislang aufgewendete Arbeitskraftanteile stehen dann der Rechtsprechung zur Verfügung“, heißt es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage des Justizexperten.
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Rechnerisch sinke der Personalbedarf durch die Strukturreform an den Sozialgerichten um knapp zwei Richter – und viereinhalb weitere Stellen im gehobenen und mittleren Dienst, steht in der Antwort des Landes an Buchholz. An den Arbeitsgerichten seien gut eine Richterstelle und dreieinhalb Stellen im mittleren/gehobenen Dienst über. „Selbst bei zurückhaltender Umsetzung könnten fünf Stellen aus der Sozialgerichtsbarkeit und mindestens drei Stellen aus der Arbeitsgerichtsbarkeit in andere Justizbereiche verlagert werden, sodass dort benötigte Stellen nicht neu geschaffen werden müssen“, schreibt die Landesregierung.
Nach Berechnungen der Landesregierung geht die Schere bei Justizstellen im Bedarf und im Bestand weit auseinander. So arbeiten an den neun Sozial- und Arbeitsgerichten insgesamt 47 Menschen über Bedarf, die „perspektivisch“ an anderer Stelle eingesetzt werden könnten.