Kiel. Umfrage unter 429 Unternehmen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Nordniedersachsen. 85 Prozent versprechen sich Vorteile von Autobahn.

Fast ein Viertel der Unternehmen (23 Prozent) in Hamburg, Schleswig-Holstein, und Nord-Niedersachsen überlegt laut einer Umfrage, den Standort zu verlassen, sollte die Autobahn 20 nicht gebaut werden. Das geht aus der Erhebung von acht Industrie- und Handelskammern in Norddeutschland hervor, die am Mittwoch vorgestellt wurde. Die Kammern hatten 4583 ausgewählte Betriebe aus den Bereichen Industrie, Dienstleitung, Verkehr/Logistik und Großhandel zur Bedeutung der Ost-West-Verbindung Schleswig-Holsteins befragt.

Demnach erwarten 85 Prozent der 429 Firmen, die sich zurückgemeldet haben, dass sie ihre Kunden besser erreichen werden – und umgekehrt –, weniger im Stau stehen und ihre CO2-Bilanz verbessern, sollte die A20 gebaut werden. Befragt hatten die Kammern ihre Firmen im Spätsommer und Herbst, also vor dem Rauswurf der FDP aus der Ampel-Koalition. Jetzt hoffen sie, dass eine „neue Bundesregierung mit einer positiveren Einstellung zum Neubau von Infrastruktur“ das Projekt vorantreiben wird.

A20-Weiterbau: Warum Industrie- und Handelskammern ihn fordern

Die A20 steht sinnbildlich für das Deutschland-Tempo bei Großprojekten. Seit Jahrzehnten wird die Autobahn, die derzeit in Bad Segeberg endet, geplant, begutachtet, beklagt, überplant, erneut beklagt. Eigentlich soll sie von Mecklenburg-Vorpommern kommend Schleswig-Holstein queren, dann in einem neuen Elbtunnel bei Glückstadt weiter nach Niedersachsen führen und dort ans Autobahnnetz angeschlossen werden. So könnte auch der Verkehr rund um Hamburg und damit das Nadelöhr Elbtunnel und die Elbbrücken weiträumig entlastet werden. Eigentlich.

Für die Industrie und Handelskammern ist Norddeutschland mit seinen Windparks on- und offshore die Schlüsselregion für das Gelingen der Energiewende. Dafür brauche es aber die A20, sagt Knud Hansen von der IHK Schleswig-Holstein. „Die Energiewende gelingt nicht über eine Dorfstraße“, fordert er den Bau der Küstenautobahn. Das sieht auch Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen so. Der CDU-Politiker nennt die A20 „überfällig“. Mit dem Versprechen ihrer Realisierung seien viele Unternehmen an die Westküste gelockt worden.

Umfrage zu A20: 70 Prozent der Befragten ist die Autobahn egal

In der Umfrage der acht Kammern gaben rund 30 Prozent der Firmen an, dass der Bau der Ost-West-Autobahn große oder zumindest geringe Auswirkungen auf ihre Geschäfte haben dürfte. Das heißt aber auch: 70 Prozent ist es aus Unternehmenssicht egal, ob die Autobahn kommt.

„Die A20 ist nicht für alle Firmen gleich wichtig. Die Relevanz nimmt zu, je näher man an der geplanten Trasse sitzt. Für diejenigen, die sie brauchen, ist sie von strategischer Bedeutung“, sagt Hansen. Aus Sicht von Wirtschaftsminister Madsen würde die A20 als „transeuropäische Magistrale“ den gesamten norddeutschen Wirtschaftsraum stärken, die Seehäfen im Hinterland verbinden und bei der „Abwicklung der zunehmenden Verkehre von und nach Skandinavien und den baltischen Ländern“ helfen.

Nach einer Untersuchung aus diesem Jahr erwartet das Bundesverkehrsministerium noch einmal 34 Prozent mehr Lkw-Verkehr in Deutschland bis 2040. Knud Hansen, Vizepräsident der IHK Schleswig-Holstein, nennt die aktuelle Verkehrssituation in Norddeutschland „unhaltbar. Wir können es uns nicht leisten, dass Unternehmen aufgrund fehlender Infrastruktur abwandern oder sich gar nicht erst in Norddeutschland ansiedeln.“

Wenn A20 kommt: Schaffen Firmen neue Jobs?

Laut Kammer-Umfrage behaupten 47 Prozent der Firmen, beim Bau der A20 zwischen zehn und mehr als 25 Prozent neue Jobs schaffen zu wollen. 44 Prozent der Firmenchefs kündigten zusätzliche Investitionen an. Die Kammern haben neben den wirtschaftlichen Effekten auch nach den Klimaschutz-Erwartungen der Unternehmen gefragt. Danach erwarten 73 Prozent der Firmen einen geringeren CO2-Ausstoß durch kürzere Fahrtzeiten, weniger Staus oder eine direktere Verbindung. So würde sich beispielsweise die Fahrtzeit von der schleswig-holsteinischen Westküste in Richtung Nordrhein-Westfalen erheblich verkürzen.

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Anders als Kammern und Landesregierung halten die Naturschutzverbände den Weiterbau der A20 für „nicht zeitgemäß“. Allein die Herstellung des Betons setze „Unmengen CO2 frei, und der Bau zerstöre wertvolle Moorböden, die Klimagase binden könnten. Das sagt Ole Eggers vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND).

Stimmen gegen A20-Weiterbau: Wofür die Naturschutzverbände stattdessen werben

Die Naturschutzverbände werben stattdessen für einen Ausbau der Fährverbindung zwischen Glückstadt und Wischhafen. Nabu und BUND fordern, statt in die A20 in Bahn, Bus und Radwege zu investieren. „Wir werden deshalb weiter gegen die Klimakiller-Autobahn klagen. Wir machen weiter, weil wir unsere Lebensgrundlagen für uns und zukünftige Generationen bewahren wollen und nicht nur an den schnellen Weg von A nach B denken“, kündigten die beiden Verbände zuletzt an.

Wirtschaftsminister Madsen lässt die Argumentation nicht gelten. „Keine Autobahn bundesweit wurde so gründlich auf ihre Umweltauswirkungen untersucht und geplant wie die A 20. Es kann einfach nicht angehen, dass sich Deutschland eine Autobahn leistet, die in Bad Segeberg vor einer Ampel mit kilometerlangen Staus endet.“