Kiel/Berlin. Schleswig-Holstein alarmiert: Havarie der maroden Schiffe könnte Umweltkatastrophe auslösen. Kommt zumindest eine Versicherungspflicht?

Sie fahren unter der Flagge Panamas, Kameruns, Vietnams oder der Cookinseln. So viel ist bekannt. Aber wem sie gehören, bleibt oft im Verborgenen. Sie – das sind nach einer Untersuchung von Greenpeace 192 marode Tanker, die im Auftrag Putins russisches Öl transportieren und so EU-Sanktionen umgehen. 171 der 192 überalterten Tanker der sogenannten russischen Schattenflotte hätten in den vergangenen beiden Jahren mindestens einmal – oft auch häufiger – die Route entlang der deutschen Küsten genutzt, hat die Umweltschutzorganisation ermittelt.

Infolge des Angriffskrieges auf die Ukraine sei die Frequenz der Schiffe, die russisches Öl, Chemikalien und Gas in der Nordsee, der Ostsee und auf dem Nord-Ostsee-Kanal transportieren, deutlich gestiegen, warnt das schleswig-holsteinische Umweltministerium. „Die Zunahme dieses Schiffsverkehrs in unseren Meeren birgt das Risiko, dass es zu Havarien und potenziell zu Ölkatastrophen kommt“, warnt Staatssekretärin Katja Günther von den Grünen im Gespräch mit dem Abendblatt.

Gefahr für die Ostsee: Tanker der russischen Schattenflotte vor der Küste

Schleswig-Holstein will die Gefahren auf der nächsten gemeinsamen Sitzung der Umweltminister der Länder mit Bundesumweltministein Steffi Lemke thematisieren. Dann soll es auch um eine Versicherungspflicht für Schiffe gehen, die deutsche Gewässer nutzen. Ziel ist, dass zumindest die Bergung und die Beseitigung der Schäden abgedeckt sind, sollte es nach einer Havarie zu einer Ölkatastrophe vor den Küsten von Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen oder Schleswig-Holstein kommen. Zudem sollten Mindeststandards für Schiffe festgelegt werden, die gefährliche Güter transportieren.

Protest on the Baltic Sea against Russian Oil Exports with Outdated Tankers
Protest auf der Ostsee gegen russische Ölexporte mit veralteten Tankern
Mit Schlauchbooten ist Greenpeace unterwegs zur „Seagull“. Der 250 Meter lange Tanker transportiert russisches Rohöl, fährt unter der Flagge der Cookinseln und ist auf dem Weg nach Indien. Das Schiff ist älter als 20 Jahre. © Daniel Müller/Greanpeace | Daniel Müller

Aktuell gibt es weder solche Sicherheitsstandards, noch sind die Tanker ausreichend gegen die Folgen einer Ölpest versichert. Für die Beseitigung von Schäden müssten demzufolge die Länder und der Bund aufkommen, also die Steuerzahler, warnt Greenpeace. Nach einer repräsentativen Umfrage im Auftrag der Umweltschutzorganisation aus dem September befürworteten 87 Prozent der 1005 Befragten eine Lotsenpflicht für diese Schiffe. Annähernd genauso viele Befragte (84 Prozent) seien für ein Durchfahrtsverbot für Tanker, die nicht ausreichend versichert seien, um für die Schäden eines Ölunfalls aufzukommen. Laut Greenpeace bewerteten 71 Prozent den Transport von russischem Öl mit Tankern entlang der deutschen Küste als „großes oder sehr großes Problem“.

SPD-Abgeordnete: „Putin exportiert keinen Barrel Rohöl weniger als zuvor“

Mit den Tankern dieser sogenannten Schattenflotte umgeht Russland die Sanktionen, die nach dem Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine verhängt worden waren. „Putin exportiert keinen Barrel Rohöl weniger als zuvor“, kritisieren (wie berichtet) die niedersächsischen SPD-Bundestagsabgeordneten Daniel Schneider (Cuxhaven) und Uwe Schmidt (Bremerhaven). Der Großteil des geschmuggelten Öls werde aus Indien oder China geordert.

Umweltstaatssekretärin Katja Günther warnt: „Sollte einer dieser unterversicherten, maroden Frachter leckschlagen, sinken oder anders verunglücken, wären die Gefahren für die Umwelt katastrophal.“
Umweltstaatssekretärin Katja Günther warnt: „Sollte einer dieser unterversicherten, maroden Frachter leckschlagen, sinken oder anders verunglücken, wären die Gefahren für die Umwelt katastrophal.“ © HA | Lutz Kastendieck

Über die Forderung aus dem Kieler Umweltministerium hinaus machen sich Schneider und Schmidt dafür stark, die Tanker der russischen Schattenflotte auf die Sanktionsliste der EU zu setzen, um so „den Ölschmuggel durch Russland zu unterbinden und einer Umweltkatastrophe zuvorzukommen”. Nach ihren Informationen ist das Durchschnittsalter der Schiffe, die russisches Öl transportieren, von neun Jahren im Jahr 2021 auf aktuell 16,6 Jahre gestiegen. Die Tanker seien in einem „technisch schlechten Zustand, mangelhaft gewartet und unzureichend versichert“, so Schneider und Schmidt.

Katja Günther: „Die Frage ist nicht, ob es eine Ölkatastrophe geben wird, sondern wann.“

„Diese Schrotttanker müssen als Erstes auf die EU-Sanktionsliste“, fordert auch Thilo Maack, Meeresbiologe von Greenpeace. „Die Bundesregierung muss schnell handeln und eine drohende Katastrophe verhindern.“ Greenpeace hatte mit GPS-Sendern ausgestattete Bojen entlang der Tankerroute in der Ostsee ausgesetzt und so ermittelt, wie sich ein Ölteppich vor der deutschen Küste ausbreiten würde. An einzelnen Tagen beobachteten die Umweltschützer nach eigenen Angaben bis zu drei große Öltanker gleichzeitig vor der deutschen Küste, die „zusammen mehrere Hunderttausend Tonnen Öl transportieren können“.

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„Sollte einer dieser unterversicherten, maroden Frachter leckschlagen, sinken oder anders verunglücken, wären die Gefahren für die Umwelt katastrophal“, sagt die schleswig-holsteinische Umweltstaatssekretärin Katja Günther. Ein großer Ölunfall schädige alle marinen Lebensräume und Arten in dem betroffenen Gebiet. „Kurzfristig sieht man das etwa an der Verölung des Gefieders von Seevögeln, die daran qualvoll sterben. Weiter geht es mit dem Absinken des Öls in flacheren Gewässern auf den Meeresboden: Das führt zum Absterben von Tieren und Pflanzen wie Miesmuscheln und Seegraswiesen“, sagt die Politikerin der Grünen. Langfristig reicherten sich die Schadstoffe in der Nahrungskette an. Die Regeneration nach dem Unfall eines russischen Schattentankers würde Jahrzehnte dauern, warnt Günther.

„Die Frage ist nicht, ob es eine Ölkatastrophe geben wird, sondern wann“, begründet sie den Antrag Schleswig-Holsteins für die Sitzung der Umweltminister Ende November im rheinland-pfälzischen Ahrtal.