Kiel. Der Klimawandel sei längst zu beobachten, sagt der schleswig-holsteinische Umweltminister Tobias Goldschmidt. Was er plant – und was er lässt.
Der Meeresspiegel steigt. „Jahrhundert-Sturmfluten“ laufen inzwischen alle Jahre auf. Dürreperioden und unwetterartiger Regen folgen in immer kürzeren Abständen aufeinander. „Wir haben viel häufigere und heftigere Starkregenereignisse. Nahezu täglich erleben wir in diesem Sommer die Folgen mit vollgelaufenen Kellern, großen Sachschäden und menschlichen Tragödien.“ Das sagt der Kieler Umweltminister Tobias Goldschmidt. Spätestens seit der Jahrhundert-Sturmflut im Oktober an der Ostsee sei allen Schleswig-Holsteinern klar: „Der Klimawandel ist kein Zukunftsthema.“
Das Land reagiert auf die Wetterextreme. Kurzfristig geht es darum, die Schäden zu beseitigen, die Deiche zu reparieren oder neu aufzubauen, die Küsten für die kommenden Stürme herbst- und winterfest zu machen. Perspektivisch geht es aber um viel mehr: Wie kann der Deichbau schneller und sicherer werden? Welche Fläche sollen überhaupt noch geschützt werden? Welche Regionen werden dem Meer preisgegeben? Mit Fragen wie diesen beschäftigt sich das Kieler Umweltministerium intensiv.
Sturmfluten im Norden: Wir können nicht alle Küsten schützen
„Wir denken den Küstenschutz an der Ostsee neu. Dabei gilt als oberstes Prinzip, Siedlungen und hohe Sachwerte zu schützen. Wir werden aber auch bestimmte Flächen als Überflutungsgebiete nutzen. Im Fall einer Sturmflut gibt das dem Meer mehr Raum und nimmt Druck von den Deichen“, sagt der Grüne Goldschmidt. Laut Forschern der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel ist nahezu die gesamte schleswig-holsteinische Ostseeküste vom Anstieg des Meeresspiegels und von Wetterextremen wie der Herbst-Sturmflut betroffen. Die Deiche nur zu reparieren oder zu ertüchtigen, reiche nicht aus, sagen die Experten. Stattdessen fordern sie „Pufferzonen“ und „Überschwemmungsgebiete“.
Goldschmidts Ministerium teilt diese Ideen. „Das bedeutet nicht, dass wir Siedlungen zurückbauen. Aber wir werden in bestimmten Bereichen akzeptieren müssen, dass dort häufiger Hochwasser aufläuft. Denn es ist schlichtweg dem Steuerzahler nicht zuzumuten, eine Küste so abzudichten, dass das Meer und der Klimawandel außen vor gehalten werden“, sagt der Umweltminister. Die ersten Gespräche mit den Kommunen über neue Ansätze beim Küstenschutz an der Ostsee stehen an. Goldschmidt warnt vor falschen Erwartungen: Es werde nicht reichen, nur die Deiche zu erhöhen, es brauche ganz neue Ansätze.
Die Zerstörungen der Oktoberflut waren verheerend
In Schleswig-Holstein muss der Küstenschutz laut Gesetz von denjenigen bezahlt werden, die unmittelbar davon profitieren. Goldschmidt kündigt deshalb Verhandlungen mit den Landeigentümern an. Wie viel Küstenschutz wollen sie? Wie viel ist für sie machbar, sprich: bezahlbar? Worauf wollen sie verzichten? „Nicht jedes Grünland wird in Zukunft vor Hochwasser geschützt werden“, sagt Goldschmidt.
Die Zerstörungen der Oktoberflut waren verheerend. Allein beim Umweltministerium gingen 49 Anträge über 33,5 Millionen Euro ein, um Deiche zu sichern oder zu reparieren. In einigen Fällen handelte es sich um wenige hundert Meter, in anderen um Kilometer. Deiche wurden im Herbst genau zerstört wie Hafenanlagen, Straßen, Häuser, Campingplätze, Autos, Jachten. Der Schaden allein an der öffentlichen Infrastruktur lag bei rund 250 Millionen Euro. „Im Oktober haben wir gesehen, was es kostet, die Folgen von Sturmfluten zu bewältigen. Vorsorge ist viel günstiger als permanente Nachsorge“, sagt Goldschmidt.
Warum Deiche nach Nordsee-Vorbild an der Ostsee keinen Sinn ergeben
Seit der Sturmflut arbeiten Land, Kommunen und Wasserverbände „mit Hochdruck“ (Goldschmidt) daran, die beschädigten und zerstörten Deiche wieder so herzurichten, dass sie die Menschen im Herbst vor den nächsten Fluten schützen. In den allermeisten Fällen sehe es so aus, als ob das rechtzeitig gelinge, gibt sich Goldschmidt zuversichtlich. Die Zeit eilt: „Um 20 Zentimeter ist der Meeresspiegel schon gestiegen, und wir rechnen bis zum Ende des Jahrhunderts mit weiteren 80 Zentimetern. Das bedeutet, dass schwere Sturmfluten wie im vergangenen Jahr viel höher und häufiger auflaufen werden“, warnt der Umweltminister.
Es mache trotzdem keinen Sinn, an der Ostsee Deiche zu bauen wie an der Nordsee. Der Druck der Nordsee sei durch die Weststürme viel höher, die Küstensituation komplett anders. Goldschmidt verweist auf die Küstenniederung entlang der schleswig-holsteinischen Nordsee. Dort lebten 300.000 Menschen. Wenn hier ein Deich breche, laufe im schlimmsten Fall die gesamte Küstenniederung voll. „An der Ostsee haben wir kleine Niederungsbereiche, die wir schützen werden. Die Landschaft ist viel fragmentierter - mit den großen Förden und Steilküsten, mit kleinen Niederungen und großen Städten direkt an der Küste, außerdem gibt es keine Tide“, erklärt der Umweltminister die unterschiedlichen Schutzkonzepte an Nord- und Ostsee.
Der SPD geht der Wiederaufbau der Deiche nicht schnell genug
Der Opposition im Kieler Landtag reicht das Tempo der schwarz-grünen Landesregierung nicht aus. „Es ist erkennbar, dass nicht alle durch die Sturmflut 2023 beschädigten Deiche bis zum Beginn der nächsten Sturmflutsaison vollständig instandgesetzt sein werden“, kritisiert SPD-Küstenschutzexperte Thomas Hölck. Wenn Schwarz-Grün in dem Tempo weiterarbeite, werde ihm bange, ob alle beantragten Maßnahmen rechtzeitig umgesetzt sein können.
Dass es schneller gehen muss, streitet Goldschmidt nicht ab. Er sieht aber vor allem die Kommunen sowie die Wasser- und Bodenverbände in der Verantwortung. „Sie müssen den Küstenschutz ernster nehmen, eigene Hochwasserschutzkonzepte entwickeln und umsetzen. Das heißt: In den Kommunen müssen sich die Menschen verständigen, welches Sicherheitsniveau sie haben und welche Gebiete sie schützen möchten.“ Bislang hätten Kommunen und Verbände dem Küstenschutz nicht immer die Bedeutung zugemessen, die er in Zukunft haben werde. „Wenn wir die Bevölkerung vor den Naturgewalten schützen wollen, müssen wir schneller werden. Das bedeutet, dass wir dem Küstenschutz einen höheren Rang geben müssen in der Schutzgüterabwägung – letztlich auch mit Blick auf Eigentumsfragen. Das kennen wir vom Autobahn- oder Stromleitungsbau längst“, deutet Goldschmidt auch Enteignungen an, um Küstenschutz zu beschleunigen.
Goldschmidt wird um mehr Geld für den Küstenschutz
Dem grünen Politiker reicht das Geld nicht, mit dem Bund und Land den Küstenschutz finanzieren. Er werbe in seinem schwarz-grünen Kabinett und auch auf Bundesebene, die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe zu erhöhen. „Mit dem Geld, das wir heute zur Verfügung haben, werden wir das Land nicht klimafit machen und die Bevölkerung nicht in dem Maße schützen können, wie es nötig ist.“ Nötig sei deshalb eine Grundgesetzänderung, wirbt Goldschmidt für eine Reform der strengen Regeln der Schuldenbremse. „Die Größe der Herausforderung, die auf unser Land zukommt, rechtfertigt das.“
Der Meeresspiegel steigt - auch weil die Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor trotz grüner Regierungsbeteiligung in Schleswig-Holstein und im Bund unverändert hoch sind. Goldschmidt sieht die Verantwortung bei Bundesverkehrsminister Volker Wissing. Der FDP-Politiker „schlafe vor sich hin“, statt ein Tempolimit auf Autobahnen auf die Straße zu bringen. Das schütze das Klima, koste fast nichts und steigere die Lebensqualität. Für Goldschmidt ist es nur eine Frage der Zeit, bis es auch in Deutschland zu einem Tempolimit auf Autobahnen komme. „Aber diese Selbstverständlichkeit alleine wird nicht reichen. Wir brauchen massive Investitionen in die Schieneninfrastruktur. Das wiederum kollidiert mit der Schuldenbremse. Auch hier bremsen Herr Wissing und seine Partei.“ Goldschmidt nennt den Verkehrsminister und dessen FDP, mit dem die Grünen in der „Bundes-Ampel“ koalieren, eine „Zukunftsbremse“.
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Selbstkritisch sieht der Grüne aber auch die Rolle der eigenen Landesregierung. Die hat – um zu sparen - Zugverbindungen abends, nachts und am Wochenende ausgedünnt. „Die Streichungen durch das schleswig-holsteinische Wirtschaftsministerium finde ich als Klimaschutzminister falsch. Aber als Mitglied des Kabinetts, das selbst mit den vorhandenen Mitteln auskommen und ebenfalls sparen muss, halte ich die Streichungen für verhältnismäßig und gerechtfertigt.“