Kiel. Serpil Midyatli rechtfertigt Klage gegen Haushalt und greift schleswig-holsteinische Landesregierung von Daniel Günther scharf an.

Sie fordert alsbald die Reform der Schuldenbremse, macht sich für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer stark – klagt aber gegen die Notkredite, mit denen die schwarz-grüne Landesregierung in Schleswig-Holstein die laufenden Ausgaben des Landes finanziert: Im Abendblatt wehrt sich SPD-Chefin Serpil Midyatli scharf gegen Kritiker, die ihr deshalb haushaltspolitische Vorstellungen vorwerfen, die „hinten und vorne nicht zusammenpassen“. So hatte es die langjährige Finanzministerin Monika Heinold im Interview mit dieser Zeitung formuliert.

Aus Sicht der grünen Ex-Ministerin hänge sich die SPD mit der gemeinsamen Klage gegen den Haushalt „an den Rockzipfel der FDP“. „Es ist schade, dass sich Monika Heinold mit solchen Äußerungen aus der Landespolitik verabschiedet. Ihre Darstellung im Hamburger Abendblatt ist eine Flucht aus der Verantwortung. Nach sieben Jahren Regierung Günther steckt Schleswig-Holstein in einer Haushaltskrise“, kritisiert Midyatli. Sie spricht im Abendblatt über neue Kredite, Investitionen in die Infrastruktur, Stellenabbau in der öffentlichen Verwaltung und ihre politische Zukunft. Die sieht die stellvertretende Bundsvorsitzende der SPD in Kiel, nicht in Berlin.

SPD-Chefin: Schuldenbremse reformieren und Vermögenssteuer einführen!

Zwischen Einnahmen und Ausgaben klafft im Landeshaushalt dieses Jahres eine Milliardenlücke, die nur durch neue Schulden und Notkredite geschlossen wird. Leben das Land und die Regierung von Ministerpräsident Daniel Günther über ihre Verhältnisse?

Überall im Land fehlt es an Investitionen. Deshalb muss die Schuldenbremse reformiert werden, um für Investitionen Kredite wieder rechtssicher aufnehmen zu können. Zudem können wir die Einnahmen des Landes leicht erhöhen: indem wir auf Bundesebene die Vermögenssteuer wieder einführen. Sie würde zu 100 Prozent an die Länder fließen. Die CDU muss nur ihren Widerstand gegen beide Reformprojekte aufgeben. Aber dazu ist sie noch nicht bereit. Aber ich gehe davon aus, dass zumindest die Reform der Schuldenbremse nach der Bundestagswahl kommen wird, egal wer dann regiert.

Ihnen fehlt die Hoffnung auf eine Reform der Schuldenbremse noch in dieser Legislaturperiode?

Wir wissen zwar von einzelnen CDU-geführten Landesregierungen, dass sie sich für eine Reform starkmachen. Aber ich gehe davon aus, dass das bis Herbst 2025 nichts mehr wird. Auch wenn die Schuldenbremse bis dahin eine Investitionsbremse ist.

Die Präsidentin des Landesrechnungshofes hat mehrfach betont, dass Schleswig-Holstein kein Einnahmeproblem hat, sondern ein Ausgabenproblem. Sie fordert einen strengen Sparkurs zur Haushaltskonsolidierung. Wäre der mit Ihnen zu machen?

Wohnungsbau, Schulen, Kitas und Krippen, Straßen und Schienen, Klimaneutralität – der Investitionsbedarf ist riesig. Wir müssten mehr investieren und nicht weniger. Streichungen wären falsch.

Investitionsbedarf von 15 Milliarden Euro

Der Rechnungshof fordert auch einen deutlichen Stellenabbau.

Unter einem Ministerpräsidenten Daniel Günther ist es zu einem bemerkenswerten Stellenaufbau gekommen. Das ist angesichts vieler neuer Aufgaben auch nötig gewesen. Man muss sich aber anschauen, ob hier die richtigen Prioritäten gesetzt wurden. Gerade im Bildungs- und Gesundheitsbereich bräuchte es eine Fachkräfteinitiative.

Die SPD hat allein den Investitionsbedarf Schleswig-Holsteins auf dem Weg zur Klimaneutralität auf 15 Milliarden Euro berechnet, den Sie über Kredite finanzieren wollen. Gleichzeitig klagen Sie gegen den Haushalt und die aktuellen Notkredite. Das passt doch nicht zusammen.

Schleswig-Holstein hat sich verpflichtet, die Klimaschutzziele einzuhalten und bis 2040 das erste klimaneutrale Industrieland zu sein. Der von der SPD ermittelte Investitionsbedarf liegt hier bei rund 15 Milliarden Euro. Die Landesregierung hat diesen Zahlen nie widersprochen. Nachdem wir unsere Untersuchung vorgelegt hatten, untersagte das Bundesverfassungsgericht Bund und Ländern dann aber die bisher gängige Praxis, mit Krediten umzugehen. Als Konsequenz fordert die SPD die Reform der Schuldenbremse, Daniel Günther aber macht weiter wie bisher und nimmt auch nach dem Urteil 1,65 Milliarden Euro neue Schulden auf. Das halten wir für verfassungswidrig. Das heißt, nicht unsere Position ist widersprüchlich, sondern die der Landesregierung ist es.

Warum die SPD gegen den Haushalt klagt

Selbst die Ihnen eng verbundenen Gewerkschaften halten Ihre Klage vor dem Landesverfassungsgericht für einen Irrweg. Haben Sie sich von der FDP, die unbedingt klagen wollte und dazu einen Partner brauchte, über den Tisch ziehen lassen?

Das ist eine eigenwillige Interpretation. Die Schuldenbremse ist in der Landesverfassung verankert. Danach müssen wir unser Handeln ausrichten. Wir haben ernsthafte Zweifel, dass dieser Haushalt verfassungskonform ist. Deshalb müssen wir als Opposition unserer Kontrollpflicht nachkommen und das Verfassungsgericht anrufen. Wir machen also unseren Job.

Folgt das Verfassungsgericht Ihrer Argumentation, würden Sie nicht nur Daniel Günthers Kabinett das Regieren schwerer machen, auch die Menschen im Land hätten den Schaden.

Im Gegenteil: Wir wollen Schaden abwenden. Von jeder Bürgerin und von jedem Bürger wird erwartet, dass sie sich an Recht und Gesetz halten. Das muss auch für diese Landesregierung gelten.

Wechseln Sie nach Berlin, Frau Midyatli?

Nach dem freiwilligen Rückzug von Thomas Losse-Müller als Fraktionschef und Ihrer Wahl ins Amt wirkt die SPD im Landtag angriffslustiger und weniger staatstragend.

Wir nehmen unsere Aufgabe als Opposition sehr ernst, die Regierung zu kontrollieren und zu hinterfragen.

Aber Sie greifen Schwarz-Grün deutlich schärfer an.

Wenn die Regierung dermaßen große Fehler macht wie zuletzt bei der Abschaffung der Städtebauförderung oder der Streichung von Zugverbindungen in den Randzeiten, muss ich das auch tun.

Midyatli: „Ulf Kämpfer ist ein sympathischer und wertvoller Genosse“

Sie sind nicht nur Landeschefin der SPD, sondern seit knapp fünf Jahren auch stellvertretende Bundesvorsitzende. Wo sehen Sie Ihre politische Zukunft. In Kiel oder eher in Berlin?

Ich sehe meine politische Zukunft in Schleswig-Holstein. Es gibt hier viel zu tun.

In gut eineinhalb Jahren endet die Amtszeit für Ulf Kämpfer als Kieler Oberbürgermeister und er muss sich entscheiden, wie es weitergeht für ihn: ob er nochmals kandidiert oder ob er für die SPD in die Landespolitik wechselt. Wo sehen Sie als Landesvorsitzende Herrn Kämpfer – verstärkt in der Landespolitik statt auf kommunaler Ebene?

Ulf Kämpfer trägt als stellvertretender SPD-Landesvorsitzender schon heute mit mir gemeinsam Verantwortung in der Landespolitik. Er muss die Entscheidung treffen, wie es für ihn weitergeht. Egal an welcher Position: Ulf Kämpfer ist ein sympathischer und wertvoller Genosse.

Wäre er auch ein guter Landtagsabgeordneter?

Das wäre er auf jeden Fall.

Wäre er auch ein guter Spitzenkandidat der SPD für die Landtagswahl in drei Jahren?

Anders als andere Parteien in Schleswig-Holstein haben wir viele großartige Politikerinnen und Politiker. Die Entscheidung, wer als Spitzenkandidatin oder Spitzenkandidat antritt, werden wir dieses Mal deutlich früher treffen als vor der Wahl 2022. Ich gehe davon aus, dass wir uns bis Ende des Jahres oder Anfang des nächsten entscheiden werden.

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Würde es Sie reizen, als Spitzenkandidatin anzutreten?

Ich sehe, welche Fehler die Landesregierung macht und was man besser machen könnte. Wenn zum Beispiel Kinder bei uns – anders als in Hamburg – immer schlechter lesen und rechnen können, ist das Regierungsversagen. Denn es ist die Aufgabe einer Landesregierung zu garantieren, dass jedem Kind lesen und rechnen beigebracht wird. Ich sehe zum Beispiel auch die Fehler in der Kitapolitik, wo die Schließung von Einrichtungen droht und Eltern in Sorge sind. Das berührt mich. Es gibt so viel, was man besser machen kann und muss.