St. Peter-Ording. Trotz seines Namens jagt der Seehundjäger keine Seehunde. Er kümmert sich um sie. Zurzeit ist er im Dauereinsatz.
Ferne Sandbänke und abgelegene Strände im Wattenmeer sind in diesen Tagen die Kinderstube der Seehunde. Dort werden die kleinen Fellbündel mit den großen Kulleraugen bei Ebbe geboren. 3723 Seehundbabys wurden 2019 gezählt. „Über den diesjährigen Stand lässt sich derzeit noch nichts sagen“, erklärt der Seehundexperte der Nationalparkverwaltung, Armin Jeß. Die Zählungen fanden im Juni statt und seien noch nicht ausgewertet.
Junge Seehunde werden von Natur aus von ihren Müttern stundenlang allein gelassen. „Daher ist bei jedem Jungtier am Strand anzunehmen, dass die Mutter es wieder abholen wird“, sagt Christof Goetze von der Naturschutzgesellschaft „Schutzstation Wattenmeer“. Tut sie das nicht, wird der Seehundjäger alarmiert.
Seehundjäger gibt es nur in Schleswig-Holstein
„Allein in St. Peter-Ording hatten wir im letzten Jahr etwa 200 Einsätze“, sagt Toni Thurm. Thurm ist Seehundjäger - eine Bezeichnung, die es nur in Schleswig-Holstein gibt. „Es ist ein ganz alter Beruf an der Küste“, erklärt sein Kollege Karl-Heinz Kolle. Die Jagd auf Seehunde gehört heute jedoch trotz des Namens nicht mehr zu den Aufgaben. Heute schmücken sich rund 50 Ehrenamtler mit dem traditionellen Titel. „Wir sind stolz auf das, was wir machen“, sagt Seehundjäger Kolle.
Unter anderem sind sie in ihrer Freizeit unterwegs, um tote Robben zu bergen und kranke oder tödlich verletzte Tiere von ihren Leiden erlösen. Tierärzte können die Aufgaben der erfahrenen und gut ausgebildeten Seehundjäger nach Angaben der Nationalparkverwaltung nicht übernehmen. Die Tierärztekammer habe 2014 bestätigt, dass es keine Veranlassung gebe, die Untersuchung der so genannten Heuler durch Tierärzte vornehmen zu lassen.
Wo immer möglich, bekommen die Robben in Schleswig-Holstein eine zweite Chance, sagt Thurm. Dafür bringt er sie in die Seehundstation Friedrichskoog. Dort versuchen Biologen, Tierärzte, Tierpfleger und freiwillige Helfer die kranken Robben aufzupäppeln.
Robbe liegt direkt am Badestrand St. Peter-Ordings
Diesmal soll eine kleine Robbe direkt am Badestrand St. Peter-Ordings liegen, hatten mehrere Anrufer gemeldet. Doch das Seehundbaby ist nicht mehr da. Nur noch Spuren im Sand findet Thurm. „Hier hat er sich geräkelt und auf die Seite gerollt.“
Seehund-Babys seien wie kleine Kinder, sagt Thurm. Sie hätten keine Ausdauer und wollen im Grunde immer an Land kommen, um auszuruhen. Werden sie dabei von Menschen gestört, ziehen sie sich zurück ins Meer, um ein paar hundert Meter entfernt wieder an Land zu kriechen. „Bis sie auch dort wieder von Menschen vertrieben und ins Wasser gedrückt werden.“
Der zweite Einsatz ist erfolgreicher. Diesmal sind es zwei kleine Seehunde an einem Strandabschnitt beim Westerhever Leuchtturm. Sie liegen gemeinsam zwischen den Lahnungen. „Nicht ungewöhnlich“, sagt Seehundjäger Thurm: „Auch Tierbabys mögen kuscheln.“
Seehundjäger untersucht Seehundbabys auf Verletzungen
Er bringt sie auf den Bauhof in St. Peter-Ording, wo er die plüschigen Tiere behutsam mit einem Wasserschlauch abspült. „Um sie zu untersuchen, auf Verletzungen zu kontrollieren“, erklärt der Seehundjäger. „Wenn das Fell nass ist, kann man genauer sehen, ob sie irgendwelche Verletzungen haben - Beulen oder Kratzer. Außerdem kühlen die Seehunde dadurch wieder etwas herunter.“
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Seehunde können ihre Körpertemperatur nicht durch Schwitzen regulieren. „Deshalb kriegen sie grundsätzlich einen kleinen Schwupp Wasser in die Transportbox.“ Fünf Minuten später das Fazit seiner Untersuchungen: „Der eine hat einen Schmiss über dem Auge, der andere eine leichte Biss-Verletzungen im Nacken. Entweder war das heute der andere, oder es waren Hunde.“
Seehundstation Friedrichskoog versorgt verletzte Tiere
„Wenn die Seehundjäger uns melden, dass sie ein Tier haben, holen wir es ab“, sagt Tanja Rosenberger von der Seehundstation Friedrichskoog. „Direkt bei den Seehundjägern, wie das zum Beispiel in St. Peter-Ording der Fall ist. Wenn sie mit der Fähre kommen, wird am Anleger abgeholt. Es geht darum, die Tiere so schnell wie möglich gut versorgt zu uns in die Station zu bekommen.“ Dafür wird in Ausnahmefällen von Helgoland aus auch mal ein Flugzeug genutzt.
Die Seehundstationen Friedrichskoog und das Nationalpark-Haus Norddeich sind gemäß internationalem Seehundabkommen die einzig berechtigten Aufnahmestellen für Robben in Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Die Hauptwurfzeit der Seehunde liegt zwischen Anfang Juni und Mitte Juli.
Bei allen Tieren, die danach in freier Wildbahn allein unterwegs sind, handelt es sich um selbstständige Jungtiere. Sie brauchen weder die Mutter noch menschliche Hilfe, aber Ruhe. Den Gesamtbestand der Seehunde in der Nordsee schätzt das Wattenmeersekretariat auf rund 40.800 Tiere.