Helgoland. „Ich war noch niemals. . .“ einen Eiergrog auf Helgoland trinken. In einer Serie stellen wir Ausflugsziele im Kreis Pinneberg vor.
Hat sie gerade ein rohes Ei ins Glas flutschen lassen? Die Barkeeperin schlägt das Eigelb mit Zucker schaumig. Wenigstens geizt sie nicht mit Rum und Arrak. Der Rest wird mit heißem Wasser aufgefüllt. Der Strohhalm täuscht Cocktailfeeling vor. Das Eiergrogglas ist vorgewärmt. Schon der erste Schluck macht deutlich, dass diese Helgoländer Spezialität das Potenzial hat, einen Seemann umzuhauen. Der Fusel rinnt heiß die Speiseröhre hinab. Wärme breitet sich im Bauch aus. Der Geschmack schüttelt und hat so gar nichts mit dem geliebten Eierlikör gemein. Der Alkohol steigt augenblicklich zu Kopf. Mit glasigem Blick und aufrichtiger Entschuldigung gebe ich diesen speziellen Komatrunk zurück. „Nichts für Festland-Weicheier“, sage ich. Die Barkeeperin nickt wissend.
Für alle, die wie ich noch nie auf Helgoland waren, hält der Tourismus-Service Kennenlernpakete bereit. Im Schnupperangebot ab 190 Euro enthalten sind drei Übernachtungen mit Frühstück, Museumsbesuch, Bunkerführung, Fahrt zur Düne, Pott Kaffee, Stück Kuchen, Tageskarte für das Meerwasserschwimmbad Mare frisicum – und eben ein Gutschein für einen Helgoländer Eiergrog.
Mehr nach meinem Geschmack ist das Knieper-Essen. Ein Teller voller Scheren des Taschenkrebses steht vor mir, garniert mit einer Scheibe Zitrone und einem Stängel Petersilie, serviert mit Baguette und Dips. Der Kellner gibt eine kurze Einleitung, wie ich mit dem Haken das zarte Fleisch aus der bereits aufgeschlagenen Panzerschale angeln kann. Die Krebse werden zwischen Anfang Mai und Ende Oktober im Meer bei Helgoland gefangen. Während man mit Zucht- und Auswilderungsprogrammen versucht, die Hummerpopulation vor der Insel wieder zu stabilisieren, vermehren sich die Taschenkrebse von allein. Vom einstigen Beifang und Arme-Leute-Essen stieg der Taschenkrebs kulinarisch gesehen zur Delikatesse auf. Zu Recht – ich lecke mir die Finger.
Doch es ist ein anderes Tier, das jährlich mehr als eine halbe Million Gäste nach Helgoland lockt: die Robbe. Die Überfahrt zur Düne ist kurz, aber unruhig. Die Wellen schlagen hoch. An Land geht es gemächlicher zu. Seehunde und Kegelrobben liegen dösig im Sand. Im Wasser tauchen immer wieder die runden Köpfchen mit den Knopfaugen auf. So nah wie hier kann man die possierlichen Tiere an kaum einem anderen Ort erleben. Die Seehunde, die sich hier tummeln, sind neugierig, kennen keine Scheu und sonnen sich tagsüber am Strand. Doch so süß sie auch sind, es bleiben Raubtiere. Es ist ratsam, sich an die vorgeschriebenen 30 Meter Abstand zu halten – das schützt Mensch und Tier. Der unter Naturschutz stehende Robbenbestand wird durch den Verein Jordsand sowie die Dünenrangerin der Gemeinde Helgoland betreut, die auch Führungen anbieten. Am nächsten Tag verschlägt es mich an einen so ganz anderen Ort. 90 Treppenstufen steigen wir 18 Meter tief hinab in die engen Gänge eines Bunkers. Kaltes Neonlicht strahlt von der Decke. An den Wänden bröckelt an vielen Stellen der weiße Putz, Feuchtigkeit lässt Algen wachsen.
Am 18. April 1945 verübte die britische Luftwaffe ein verheerendes Bombardement, bei dem 1000 britische Flugzeuge innerhalb von 104 Minuten etwa 7000 Bomben abwarfen und die Insel unbewohnbar machten. Fast kein Haus blieb stehen, es gab viele Tote und Verletzte. Mehr als 2000 Bewohner hatten in den Luftschutzbunkern überlebt und wurden am nächsten Tag evakuiert. 350 Meter Luftschutzstollen können derzeit besichtigt werden.
Ich fühle mich erleichtert, als ich wieder den wolkenverhangenen Himmel über mir erblicke. Ich ziehe die frische Luft tief ein. Die Fähre mit den Tagesgästen hat abgelegt. Es ist ruhig geworden auf der kleinen Insel mitten in der Nordsee, die so viel mehr zu bieten hat, als Hummerbuden und zollfreien Einkauf.