Siggeneben. Abseits des Massentourismus: Ein Ausflug in die geheimnisvolle Reetdachidylle von Siggeneben. Hier finden Hamburger eine Märchenwelt.
Eine Straße, zwölf weiße Fachwerkhäuser, die sich in die hügelige Landschaft ducken, und die Ostsee liegt gleich am Horizont. Siggeneben bei Grube ist eine malerische Märchenwelt. Das Dorf entführt den Besucher in eine andere Zeit und in eine Idylle. Eine Idylle mit Hexen allerdings.
„Op de Wei“, „Stövmöhl“, „Wöddelkroog“, „Kloster“, „Op de Wisch“ oder „Griesen Esel“ heißen die weiß gekalkten Reetdachkaten, drei von ihnen sind vermutlich um die 300 Jahre alt. Sie liegen versteckt hinter Bäumen und Büschen. Alle Häuser tragen Namen. In den Auffahrten sind häufig Autos mit Hamburger Kennzeichen zu sehen, weil viele Großstädter in der Gegend Ferienhäuser haben. Ingrid Kriegeskotte aber lebt genau wie einige ihrer Verwandten in dem Ort wie aus einem Rosamunde-Pilcher-Film und erzählt Besuchern bei spontanen Rundgängen gern mehr über ihre Heimat.
Siggeneben an der Ostsee – wie aus Rosamunde-Pilcher-Film
Schon als Kind ist die 64-Jährige mit ihren Freunden auf dem Weg zur nahen Ostsee durch das Dorf geritten, hat die Bewohner über die Hecken hinweg gegrüßt. So wie die eine Oma den und Opa. Die Oma galt im Dorf als Hexe, beide sollen etwas mit schwarzer Magie zu tun gehabt haben. „Sie hat einem Baby im Kinderwagen über den Kopf gestrichen, und dann wurde es krank“, erzählt Frau Kriegeskotte. Opa soll Kühe verhext haben.
„Oma war immer schwarz gekleidet und eine hagere Gestalt.“ Es hieß immer: „Geh nicht zu denen!“ Die kleine Ingrid aber mochte Oma und Opa, die in diesen mystischen Ort gut passten. „Auch wenn woanders kein Nebel ist, liegt hier Nebel über der Senke, die früher ein See war“, sagt Frau Kriegeskotte, und es klingt ein wenig geheimnisvoll. Die Slawen haben das Dorf gegründet und hätten hier Kulthandlungen vollzogen, sagt sie. Pferdeknochen und Pferdezähne, die sie in ihrem Garten gefunden hat, erzählen davon.
„Es war eine geschlossene und friedliche Welt"
In Siggeneben ist Ingrid Kriegeskotte zur Schule gegangen, neun Klassen in einem Raum. Das Schulgebäude ist längst ein Wohnhaus. Heute arbeitet Kriegeskotte selbst als Musiklehrerin in Grube. „Die Kindheit hier war die schönste Zeit in meinem Leben. Es war eine geschlossene und friedliche Welt. In dem Dorf lebten nur Leute, die hierhergehörten, viele Kinder. Das passte.“ Nach Stationen in Hamburg und London ist sie vor 32 Jahren zurückgekehrt. Aufgewachsen im nahe gelegenen Gut Rosenhof, hatte sie das Glück, über ihren Bruder, der die Häuser geerbt hatte, an eines der Reetdachhäuser zu kommen – das Haus „Grüner Jäger“.
Siggeneben ist ihr Seelenort, der Ort, der ihr Kraft gibt. Verständlich. Sitzt man im Garten von Frau Kriegeskotte, schweift der Blick über Hecken und Felder in die Weite Ostholsteins. Nur eine Viertelstunde zu Fuß entfernt ist man am Naturstrand Rosenfelde. Morgens kommen die Hirsche an ihr Haus und fressen die frischen Triebe, die Rosenknospen ab. Wiesen, Felder und der Himmel, mehr ist nicht zu sehen. Und doch ist dieses Nichts so viel und so wohltuend. Stundenlang könnte man hier sitzen und in die Landschaft starren, ohne Buch, ohne Ablenkung.
„Es kostet viel Geld, wenn man hier wohnt“
Es würde nicht langweilig werden, denn die Natur ist der beste Unterhalter. „Ja, ich gucke auch gern in die Landschaft, aber dann sehe ich doch immer wieder etwas, das ich im Garten zupfen und bearbeiten muss“, sagt Ingrid Kriegeskotte und lacht. Ihr Garten mit den Apfelbäumen und den Stachelbeerhecken ist wie ein Park, zu tun gibt es immer etwas. Auch an den denkmalgeschützten Häusern. „Es kostet viel Geld, wenn man hier wohnt.“ Gerade wird nebenan das Reetdach neu gedeckt. Drei Wochen lang werden die drei Dachdecker dafür benötigen.
„Das beste Reet kommt aus der Ukraine und der Türkei“, sagt einer der Arbeiter. Wie lange so ein Reetdach hält? Das ist eine Frage, die Ingrid Kriegeskotte nicht mehr hören kann. Es ist immer dieselbe Frage. Je nach Standort des Hauses hält solch ein Dach 40 bis 70 Jahre. Die Häuser sehen muckelig aus, aber drinnen bei Ingrid Kriegeskotte ist es kalt. Alle Türen stehen auf Durchzug, damit nichts schimmelt. In ihrer Wohnküche wärmt ein Holzofen den Raum. „Die Zentralheizung schafft es in den schlecht isolierten Räumen nicht. Ich kann also billig frieren ohne Heizung oder teuer mit Heizung“, sagt sie. Warme Wollsocken helfen an kalten Tagen.
Ingrid Kriegeskotte betreibt archäologische Hobbygrabungen
Siggeneben gehört zum Gut Rosenhof, früher war es ein freies Bauerndorf, später wurden die Bauern Leibeigene und dann Arbeiter. Heute steht das Ensemble unter Denkmalschutz. Ingrid Kriegeskotte befasst sich intensiv mit der Geschichte und betreibt in ihrem Garten archäologische Hobbygrabungen. Ihre Funde, Scherben von alten Tongefäßen aus der Slawenzeit, auch Funde aus der Steinzeit oder Stücke von Puppenköpfen aus Porzellan, bewahrt sie in Einmachgläsern auf. „Das ist keine Wissenschaft, aber Zeugnisse des Lebens.“
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Vor mehr als 100 Jahren, so erzählt Ingrid Kriegeskotte, begann eine Umgestaltungsphase. Ihr Urgroßvater wollte das Dorf renovieren im Baustil des damaligen „Heimatschutzes“. Ihren Höhepunkt hatte die „Heimatschutzarchitektur“ vor und nach dem Ersten Weltkrieg. Eine Musterkate galt als Vorbild für die anderen Häuser.
Siggeneben stand zwischenzeitlich zum Verkauf
Im Baustil der Heimatschutzbewegung sind 1914 und später Katen dazugebaut worden, auch ihr „Grüner Jäger“ sowie die Katen „Modellhus“, „Posthus“ und das „Kuckuckshus“. Alle Katen wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch innen modernisiert und mit Dielenböden und Steinfußböden ausgestattet, vorher hatten sie Lehmfußböden. Die neuen Katen bekamen auch höhere Decken.
Zwischendurch, in den 1980er-Jahren, stand Siggeneben sogar zum Verkauf. „Zum Glück wurde das Dorf dann doch nicht verkauft“, sagt Ingrid Kriegeskotte.