Seward. Wer auf einem Kreuzfahrtschiff von Seward nach Vancouver unterwegs ist, erlebt nicht nur das übliche eisige Blau-Weiß, sondern viel Grün.

Das Beständige an dieser See­reise ist das ­Nadelgrün. Da mag der Himmel zwischen Feuerrot und Taubengrau changieren. Da mögen sich Eisberge in ­geheimnisvollen Fjorden auftürmen und die Sommersonne auf ein­samen Waldwegen Wanderer bei 23 Grad im Schatten ins Schwitzen bringen: Was in all den zwei Wochen dieser Reise tagsüber und in den ­hellen Juninächten am kräftigsten leuchtet, sind die Abermillionen ewig grünen Zedern, Fichten, Tannen und Kiefern, die der Betrachter an Bord der französischen Luxusyacht „Le So­léal“ aus der Ferne in seiner Suite gewahr ­werden kann, während kaum zu zählende Wasserfälle von den schroffen Bergen ins Tal und die Fjorde stürzen.

Gürtel aus Grün

Es ist genau dieses Grün, das sich auf der Route von Seward (Alaska) zum kanadischen Vancouver ins Gedächtnis vieler Passagiere brennt. Sie liegen in den Betten ihrer Balkonkabinen und blicken morgens wie abends bei der insgesamt 4200 Kilometer langen Reise auf einen schier undurchdringlichen Gürtel aus Grün, der die Berge und Felsen bäuchlings umfasst. Ab und zu schauen schemenhaft die Weißkopfseeadler aus den Wipfeln herab, das Wappentier der Vereinigten Staaten. Und aus der Ferne brüllen Seelöwen im erbitterten Zweikampf um die Weibchen, während die Schwanzflossen der backbord schwimmenden Buckelwale die Passagiere auf den Decks in den Bann ziehen.

In Skagway starteten einst die Goldsucher in die Berge
In Skagway starteten einst die Goldsucher in die Berge © picture alliance / All Canada Ph | Rolf Hicker

Mag das Kreuzfahrtschiff die Strecke auch mit einem raschen Tempo von durchschnittlich 14 Knoten (25,9 km/h) zurücklegen, so ist es doch ein sanftes Gleiten auf den diesmal ­ruhigen Gewässern der Inside-Passage an der Westküste Nordamerikas, mitten hinein in ein Labyrinth aus rund 1000 Inseln. Das Gefühl, von beiden Seiten des Schiffes mit Alaskas und Kanadas kalten Regenwäldern und Nadelbäumen umgeben zu sein, erinnert hier eher an eine Flusskreuzfahrt.

Im Misty-Fjord

So stellt sich bei diesem Törn von Alaska nach British Columbia schnell das Gefühl ein, irgendwie ein bisschen aus der Zeit zu fallen. Das Angebot der französischen Ree­derei Compagnie du Ponant ist ideal für solche Gäste, die eine klassische Kreuzfahrt mit Landgängen (z. B. Haines in Alaska und Alert Bay in Kanada) unternehmen und zugleich erste Erfahrungen einer Expeditionskreuzfahrt und mit Zodiacs (Schlauchbooten) sammeln wollen. So können sie in die Nähe von ­einigen der mehr als 100.000 Gletscher Alaskas kommen und hautnah erleben, wie sie „kalben“ und dicke Brocken des Gletschereises ins Meer krachen und eine kleine Tsunamiwelle auslösen.

Warten auf den Bären

Für das maritime Abenteuer ist Expeditionsleiter José Sarica zuständig, ein gelernter Sozialpädagoge und polar erprobter Tour­guide. Gerade schaltet er im stillen Misty-Fjord den Motor seines Zodiacs ab. Acht Gäste sitzen an Bord des schwarzen Schlauchbootes, tragen Sonnenbrille, Rettungsweste und halten ihre Kameras mitten in diesem entlegensten ­Naturschutzgebiet der USA bereit. Es war ­US-Präsident Jimmy Carter, der im Jahr 1978 das 9280 Quadratkilometer große Areal mit den kalten Regenwäldern, den Sitka-Fichten und Felsentannen zum „Misty Fjords National Monument“ erklärt hatte.

Rote Gruppe

„Hier“, flüstert Sarica, „werden wir hoffentlich gleich Bären sehen.“ Die Passagiere der roten Gruppe – die Einteilung nach Farben dient den geordneten Abläufen bei Landgängen und Zodiac-Fahrten – strahlen voller Vorfreude. Lautlos gleitet das Boot in die Nähe einer Wiese. Zunächst taucht der Braunbär als schemenhafter Punkt auf, doch je näher wir kommen, umso mehr sehen wir, mit welchem Appetit er büschelweise Gräser verspeist, ohne sich für uns Menschen zu interessieren. Plötzlich erscheinen am Waldsaum noch zwei weitere Bären, die vom Boot aus und in sicherer Entfernung fotografiert werden. So hat jetzt jeder seine digitale Trophäe im Kasten.

Wie in der Karibik

Ein Gefühl von Abenteuer bot die Schiffsleitung gleich zu Beginn der Reise, als der französische Kapitän Mickael Debien die ­„Le Soléal“ in den Prince William Sound mit imposanten Gletschern im College Fjord steu­erte. „Wenn die Sonne scheint, ist es hier wie in der Karibik“, sagt der sonst in Odessa am Schwarzen Meer wohnende Franzose. Nur: An diesem Tag macht der Sommer in Alaska ­seinem schlechten Ruf alle Ehre – Dauerregen, nebelig, zehn Grad plus. Wir befinden uns im Epi­zentrum des Erd­bebens von 1964, das mit einer Stärke von 9,2 auf der Richterskala das zweitschwerste jemals auf der Welt gemessene Beben war.

Weil Alaska nur dünn besiedelt ist, starben bei diesem Karfreitagsbeben – schlimm genug – ­lediglich 163 Menschen. Auch An­chorage, wo die Reise nach einem landestypischen Lunch aus gegrilltem Alaska-Lachs mit einer Busfahrt zum Hafen von Seward startete, wurde damals schwer zerstört. Die Erde bebt noch heute. Alex, der landeskundliche Experte aus Toronto, sagt, dass sich 50 Prozent aller Erdbeben der USA in Alaska ereignen. Beben der Stärke 7 gebe es ­alle zwei Jahre. „Außerdem haben wir noch 29 aktive Vulkane in Alaska.“

Stumme Zeugen

Doch nicht nur das: Bei der Fahrt durch den Prince William Sound fallen Nadelbäume auf, die keine Nadeln mehr tragen. Sie sind stumme Zeugen, die wohl letzten noch immer sichtbaren, einer Umweltkatastrophe. Der Öltanker „Exxon Valdez“ war 1989 auf ein Riff aufgelaufen und hatte mit mehr als 37.000 Tonnen Rohöl die 2000 Kilometer ­lange Küste verseucht. Das Kapitänsdinner am Abend, bei dem Heilbutt und Kaviar serviert werden, lässt die wenigen dunklen Seiten der sonst so schönen Landschaft jedoch rasch ­vergessen.

Heiße Bouillon

Die „Le Soléal“, 2013 erbaut, ist eine 142 Meter lange Yacht der Luxusklasse und gehört zur Flotte der französischen Reederei Compagnie du Ponant (Marseille). Maximal 266 Passa­giere finden Platz; fast alle Kabinen verfügen über einen eigenen Balkon. Bei dieser Reise mitten im Sommer von Alaska, der von Ende Mai bis September dauert, können die Balkone umso häufiger genutzt werden, je näher das Schiff dem Zielort Vancouver kommt. Die Gäste dürfen sich zwischen zwei Restaurants entscheiden: Im feinen „L’Eclipse“ werden die Menüs am Tisch serviert, während im „Le Pyhtéas“ auf Deck 6 bei täglicher Vor­bestellung ein Büfett aufgebaut ist. Vor allem die Variationen der Mousse au Chocolat voll­enden das kulinarische Erlebnis, während die große Luxusyacht an einer 400 Kilometer langen Gletscherbergkette mit dem 5400 Meter Mount Saint Elias vorbeigleitet.

Wer frierend und fröstelnd von einer Zodiac-Exkursion zurückkehrt, weiß die Vorzüge einer heißen französischen Bouillon zu schätzen, die beim Klavierspiel einer russischen Pianistin zum Aufwärmen gereicht wird.

40 Seelen

Dann treffen wir in einem entlegenen ­Fischerdorf, das nur per Schiff, Hubschrauber und Wasserflugzeug zu erreichen ist, May Jo. Die 66-Jährige lebt seit 45 Jahren in Elfin ­Cove, einem Wasserdorf mit knapp 40 Seelen, Stegen als Wegen und Straßen, Schule und Postamt. „Der kurze Sommer“, sagt sie, „ist für uns hart. Wir arbeiten Tag und Nacht.“ Sie fangen Lachse und Heilbutt, reparieren ihre Holzhäuser, bauen unter Folie Tomaten und Kräuter an, mühsam abgerungen von der Erde in Töpfen und Bottichen. „Es ist sehr friedlich hier“, sagt May Jo und nennt die Zahl von rund 100 Touristen, die wöchentlich Ruhe suchen, zum Beispiel in der Tanaku Lodge. Ständig ruhig ist es hier ­allerdings nicht, immer wieder lärmen Flugzeug- und Helikoptermotoren. Alltag in Alaska, wo rund 8000 Privatflugzeuge zugelassen sind und die Busch­piloten 500 offizielle Flugplätze ansteuern können. Und abgelegene Orte wie Elfin Cove.

Suiten für 184 Passagiere und ausgerüstet für polare Gefilde: Vier neue Expeditionsjachten lässt die Reederei Ponant bauen - bis zum Jahr 2019 sollen alle fertig sein.
Suiten für 184 Passagiere und ausgerüstet für polare Gefilde: Vier neue Expeditionsjachten lässt die Reederei Ponant bauen - bis zum Jahr 2019 sollen alle fertig sein. © dpa

Ganz anders dagegen sieht es in der alten Goldgräberstadt Skagway mit ihren zahlreichen Wildwestsaloons aus. Wer zu den jährlich rund eine Million Besuchern zählt, ­begibt sich auf die Spuren des Klondike-Goldrauschs im 19. Jahrhundert. In einem Kleinbus wartet bereits Tourguide Tom, er bringt die Kreuzfahrtpassagiere ­hinauf zum White Pass. „Hier haben wir im Winter manchmal bis zu 20 Meter hohen Schnee“, sagt er.

Historische Bahn

Jetzt aber strahlt endlich mal die Juni­sonne und taucht die zerklüftete Berglandschaft in ­mildes Sommerlicht. Der Bus hält in Fraser, British Columbia. Jetzt heißt es umsteigen in die historische Schmalspurbahn der White Pass and Yukon Railway. Die mühsam den Bergen abgerungene Trasse war einst gebaut worden, um die Zehntausenden von Goldsuchern von dem eisfreien Seehafen Skagway zu den Goldfeldern ins kanadische Yukon zu transportieren.

In einer zweistündigen Panaromatour fahren die Waggons an steilen Felsen und ­rauschenden Wasserfällen ins Tal – ­zurück nach Skagway. Moose, Flechten, Zwerg­sträucher und wieder Abertausende ewig ­grüne Nadelbäume ­vollenden das Antlitz dieser subarktischen ­Region. Zwei Kreuzfahrtpassagiere aus Berlin sind so begeistert, dass sie die Route durch Alaska und British Columbia noch einmal absolvieren wollen. Nicht per Schiff, sondern mit dem Wohnwagen.

Was es kostet:

Das Schwesterschiff der „Le Soléal“, die „Le Boréal“, begibt sich im September 2017 auf die Spuren der Goldgräber in Alaska (siehe Karte). Über Seattle geht der Flug nach Nome (Alaska). Von dort startet das Expeditionsschiff durch die Inside-Passage bis Vancouver. 15 Tage kosten ab 9290 Euro . Die „Le Soléal“ fährt auf dieser Route erst vom 18. September bis 2. Oktober 2018 (ab 7690 Euro) inkl. Zubringerflügen. Info über Tel. 040/80 80 93 143 sowie de.ponant.com/ destinations/ alaska.

(Die Reise erfolgte mit Unterstützung durch Ponant.)