Reinbek. Als 16-Jähriger haut der Schauspieler von zu Hause ab. Der Sommer 1971 wirkt bis heute nach. Wie, verrät er im Interview.

Sein Gesicht kennt jeder. Helmut Zierl ist einer der bekanntesten deutschen Schauspieler. Die Liste der Filme, Serien und Theaterstücke, in denen er mitspielte, ist sehr lang. Am Donnerstag, 16. Februar, kommt der 68-Jährige nach Reinbek, um im Schloss sein Buch „Follow the sun – Der Sommer meines Lebens“ vorzustellen.

Darin schlägt der Stormarner, der seit seiner Kindheit in Lütjensee lebt, sehr persönliche Töne an. Er erzählt darin, wie er im Sommer 1971 aus der Enge der norddeutschen Provinz ausbricht und sich mit einem Armeesack und 200 Mark in der Tasche Richtung Süden aufmacht.

Helmut Zierl "sehr persönlich" über den Sommer seines Lebens

Was folgt, sind drei Monate geballte Lebenserfahrung, die ihn an seine Grenze bringt. Es geht um Sex, Drugs und Rock’n Roll und um das Lebensgefühl der 70er-Jahre. Mit Redakteurin Undine Gerullis hat Helmut Zierl über den „Sommer seines Lebens“ gesprochen, der bis heute nachwirkt.

Sie sind gerade erst 16 Jahre alt, als Sie sich auf eher unvorbereitet und überhastet auf die Reise begeben. Ihrer Abreise voraus ging ein Streit mit Ihrem Vater, der sie zu Hause rauswarf. Was war der Anlass?

Helmut Zierl: Es gab eigentlich keinen bestimmten Anlass. Das Problem war grundsätzlicher. Es war ein Generationenkonflikt. Ich bin in einem konservativen Polizistenhaushalt groß geworden, in dem Musik von Karel Gott, Rex Guildo und Gitte gehört und Unterhaltungssendungen von Peter Frankenfeld und Kulenkampff gesehen wurden. Ich aber mochte Pink Floyd, Led Zeppelin und Deep Purple, hatte lange Haare und fühlte mich als Hippie. Das sorgte für viele Konflikte. Als ich dann mit 16 Jahren von der Schule flog, weil ich mit Haschisch erwischt worden war, lief das Fass über. Ich bin abgehauen.

„Follow the sun“ ist der Titel Ihres Buches. Am Ende landen Sie aber in Brüssel und Amsterdam. Warum dort und nicht in Nizza?

Tatsächlich wollte ich seit Kindheitstagen nach Nizza, um Caroline von Monaco zu heiraten. Die fand ich auf den Fotos der Klatschmagazine meiner Mutter so unglaublich schön (lacht). In Amsterdam bin ich dann der Liebe wegen gelandet. Am Ende bin ich also nicht der Sonne, sondern der Liebe gefolgt. Das Lied von Paul McCartney „I’ll follow the sun“ hat mich diesen gesamten Sommer begleitet. Und ein zweites.

Welches ist das?

„Stairway to Heaven“ von Led Zeppelin. 50 Jahre später kann ich das immer noch nicht ganz unbeschwert hören.

Warum nicht?

Eine Freundin, in deren WG ich wohnen konnte, hat sich in Amsterdam bei diesem Song einen goldenen Schuss gesetzt. Das war eine sehr schmerzliche Erfahrung, die mich vom Drogenkonsum geheilt hat. Übrigens nicht die einzige Tote: Insgesamt sind in den drei Monaten meiner Tramp-Tour vier Menschen gestorben. Locker-flockig ist die Lektüre also keineswegs. Es geht ans Eingemachte und wird sehr persönlich.

Das Buch erschien 2020 und stieß auf viel positive Resonanz. Warum haben Sie den Sommer jetzt noch einmal aufleben lassen?

Den Wunsch, diese unglaubliche Geschichte zu Papier zu bringen, hatte ich schon lange. Ich hatte Angst, das Erlebte zu vergessen, und wollte es eigentlich nur für mich aufschreiben. Der Schreibprozess war unglaublich emotional und teils auch schmerzhaft. Zehn Jahre habe ich gebraucht. Als es dann fertig war, fanden meine Söhne und Freunde es so gut, dass sie mir empfohlen haben, es zu veröffentlichen.

Sind Sie später noch einmal auf alten Spuren gewandert und haben diese Reise noch einmal unternommen?

Ja, tatsächlich. Aber erst, als das Buch draußen war. Gemeinsam mit meiner Freundin bin ich über Brüssel, Antwerpen bis nach Amsterdam gefahren. Für mich sind das immer noch Traumstädte. Mir ist auf der Tour wieder bewusst geworden, was für ein Glück ich hatte, dass ich das überlebt habe. Ich war damals unglaublich naiv.

Auf Ihrer Reise haben Sie zwei Regieassistenten kennengelernt. Hatten diese Treffen einen Einfluss auf Ihre spätere Berufswahl?

Eigentlich nicht. Als ich zurückkam, wollte ich mein Abi machen. Doch nach dem Rausschmiss wollte mich keine Schule mehr. Ich musste mir etwas anderes einfallen lassen. Wie ich dann ein paar Monate später auf der Schauspielschule gelandet bin, davon erzähle ich in meinem nächsten Buch, an dem ich gerade schreibe.

Nach drei Monaten sind Sie in Ihre Heimat nach Lütjensee zurückgekehrt. Warum?

Das war nicht der Plan. Tatsächlich wollte ich nach Kopenhagen, um einen Hippiestaat namens Christiania mit zu gründen. Mein Weg führte über Hamburg. Und je näher ich Lütjensee kam, desto mehr zog mich das Zuhause wie ein Magnet an. Ich konnte nicht anders.

Haben Sie sich mit Ihrem Vater versöhnt?

Das ist die Stelle bei den Lesungen, an der ich den Zuhörern empfehle, Taschentücher hervorzuholen.

Wie viel Hippie steckt heute noch in Ihnen?

Sehr viel. Hippie wird man nicht, Hippie ist man. Das geht auch ohne Drogen. Hippiesein ist ein Lebensgefühl. Einfach mal loslassen, ohne Ziel, das Leben leben. Das ist etwas, was viele heute nicht mehr können und weswegen viele den Geist der 70er-Jahre vermissen.

Die Lesung am Donnerstag, 16. Februar, beginnt um 19.30 Uhr. Eintrittskarten für 22 Euro pro Person gibt es an der Kulturkasse der Stadt Reinbek.