Reinbek. Über zwei Etagen erstreckt sich unterm Rathaus der Ort, in dem rund 100 Menschen Schutz finden könnten. So sieht es heute dort aus.
Was heute in der Ukraine geschieht, dass Menschen in Kellern, Tiefgaragen und U-Bahnstationen Zuflucht vor Bombenangriffen suchen müssen, war noch vor einem Jahr in Europa kaum vorstellbar. Bei den Überlegungen, ob das Rathaus Reinbek erweitert oder gar abgerissen und neugebaut werden sollte, gerät nun ein fast vergessener Teil des Bauwerkes wieder in den Fokus: der zweigeschossige Luftschutzbunker.
Denn der Bunker wäre nicht nur ein zusätzliches Hindernis bei einem möglichen Rathaus-Abriss, sondern könnte im Fall der Fälle auch seinem ursprünglichen Zweck dienen. Heute beherbergen die beiden Geschosse unter dem Rathaus vor allem das Stadtarchiv, Spuren des Bunkers sind jedoch erkennbar.
Luftzschutzräume: Unter dem Rathaus liegt Reinbeks einziger Bunker
Die Schutzräume wurden gemeinsam mit der Rathauserweiterung 1972-1973 gebaut. Damals habe es für öffentliche Gebäude eine gesetzliche Vorgabe gegeben, dass bei derartigen Neubauten auch Schutzräume mit errichtet werden mussten. Ein CDU-Stadtverordneter habe sich damals mit der Forderung durchgesetzt, dass der Bunker in Reinbek sogar zweigeschossig errichtet werden sollte.
„Warum, habe ich nie verstanden“, erinnert sich der Architekt Horst Schlund (87). „Das wurde abgenickt und hat ein Heidengeld gekostet.“ Beide Etagen sind auch getrennt voneinander nutzbar und jeweils mit einem eigenen Fluchttunnel ausgestattet.
Der Rathaus-Bunker wird heute vor allem vom Stadtarchiv genutzt
Auch Stadtarchivar Carsten Walczok hat von den Räumen unter dem Rathaus erst 2011 erfahren, als er erstmals vor der doppelten Stahltür mit Drehhebel stand. Schon damals war dort das Magazin für die Ausgaben der Reinbeker Zeitung seit 1927. „Damals wurden noch die gesamten Zeitungen gebunden und ins Regal gestellt“, sagt Walczok. „Heute machen wir das nur noch mit den Reinbek-Seiten der Bergedorfer Zeitung und haben so nur noch einen Band pro Jahr, den wir unterbringen müssen. Das ist ja auch ein Platzproblem.“
Die Rollregalanlagen und die anderen Regale füllen fast die gesamten 257 Quadratmeter der Schutzräume. Trotzdem stehen zwischen den Regalen noch Umzugskartons mit Akten – so ein Stadtarchiv wächst mit den Jahren. „Diese Schutzräume sind nicht besonders spektakulär“, stellt Carsten Walczok fest. „Alles ist ziemlich vollgestellt und wird eben als Keller genutzt. Schutzräume waren einfach nicht das Thema.“
Auf zwei Etagen hätten rund 100 Menschen Schutz finden sollen
Er selbst findet das Thema nicht uninteressant. War er doch vor seinem Leben als Historiker beim Bundesgrenzschutz tätig und dort auch zur Sicherung des „Besonderen Sitzes der Bundesregierung“ eingesetzt: einem geheimen Atombunker unter einem Weinberg in der Eifel.
„Aber das war ein ganz anderer Schnack als diese Schutzräume“, stellt der Archivar fest. „Wäre es zu einem Atomkrieg gekommen, wäre ich hier wohl nicht hineingegangen.“ Er vermutet, dass die Schutzräume für die Verwaltung konzipiert worden seien. Das trifft sich mit Schlunds Schätzungen: Die Luftfilteranlage sollte zwar für 250 Menschen reichen. Doch er vermutet, das auf den beiden Etage etwa 100 Menschen hätten Schutz finden können.
Das Notstromaggregat wird regelmäßig gewartet
Einmal im Monat wird es in dem Bunker jedoch laut: Dann setzt Hausmeister Olaf Platzer das Notstromaggregat in Gang. „Der große Generator muss erst mal warm werden, deshalb lasse ich ihn mindestens eine halbe Stunde laufen“, erzählt er.
Das Aggregat ist nicht allein für die Schutzräume gedacht, die übrigens unbeheizt sind, sondern auch dafür, den Betrieb des Rathauses bei einem langfristigen Stromausfall aufrechtzuerhalten. Dafür sind 15 Liter Diesel pro Stunde nötig. Der riesige Tank dafür außerhalb des Rathauses sei allerdings nicht komplett gefüllt, weil der Diesel nicht ewig haltbar sei.
Neben den schweren Stahltüren gibt es noch weitere Hinweise auf die Schutzräume: Ein schwarzer Kasten an der Wand birgt hinter Glas rote Schalter und metallene Kippschalter für verschiedene Sirenentöne, ein altes schwarzes Telefon – immerhin schon mit Tasten – ein großer, grauer Akku-Scheinwerfer und in einer Abseite gibt es große Boxen – vielleicht für Vorräte? Das weiß niemand so genau. Platzer kennt auch die Schleusen, durch die man zum Fluchttunnel nach draußen gelangt und weiß, wo die etwa 25.000 Jodtabletten lagern. Sie sollen verhindern, dass sich bei einem Atomangriff radioaktives Jod in der Schilddrüse ansammelt.
Heute gibt es kaum noch öffentliche Schutzräume
Historiker Walczok räumt ein: „Sollte man die Schutzräume irgendwann einmal wieder brauchen, könnte man die Archivalien natürlich auch herausholen und abtransportieren. Aber ganz ehrlich: Selbst in Kriegszeiten gab es niemals auch nur annähernd Schutzräume für alle. Ich schätze, dass die Bunker damals vielleicht für zehn bis 20 Prozent der Bevölkerung ausgereicht haben.“
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In Reinbek, Glinde oder Wentorf sind ihm keine weiteren Bunker bekannt. Am Bergedorfer ZOB habe es früher einen Luftschutzraum gegeben, in Glinde habe es einen bei den Kasernen gegeben, außerdem die Munitionsdepots zwischen Neuschönningstedt und Büchsenschinken in den Oher Tannen. „In Wentorf gab es kaum Schutzräume“, berichtet Walczok. „Bei Fliegeralarm liefen die Leute raus aus den Kasernen und hinein in den Wald.“