Reinbek. Ukraine-Flüchtlinge präsentieren in Reinbek 50 bis 60 Flüchtlingshelfern ihre Kultur – und verraten Bewegendes aus ihren Leben.
Bunt, ausgelassen und fröhlich war das Dankeschön-Fest, den die Geflüchteten aus der Ukraine ihren Reinbeker Helferinnen und Helfern jetzt ausgerichtet haben. „Wir haben uns entschieden, heute Abend nicht über den Krieg zu sprechen“, sagt etwa Haiane Rudnieva aus Charkiw. „Jetzt bin ich aus Reinbek“, erklärt sie. „Wir wollen einfach einmal allen Danke sagen, die uns hier in Deutschland aufgenommen und geholfen haben.“ 50 bis 60 Gäste waren gekommen: Viele Gastgeber-Familien, aber auch Mitglieder der Flüchtlingsinitiative und viele andere, die aus eigenem Antrieb geholfen hatten.
Ukraine-Flüchtlinge organisierten ein rauschendes Fest
Beispielsweise Milan Popovic, der den Geflüchteten geholfen hatte, das rauschende Fest auf die Beine zu stellen. Er arbeitet ehrenamtlich für die Gemeinde und hat den Saal im Jürgen-Rickertsen-Haus organisiert. „Ich war vor 30 Jahren in derselben Lage, als ich vor dem Bürgerkrieg aus Kroatien geflohen bin“, erzählt er. „Ich hatte gedacht, ich bleibe drei Monate und kann nach Hause zurückkehren. Aber aus den drei Monaten sind 30 Jahre geworden. Das habe ich ihnen erzählt.“
Erstmals hätte er sie im Mai getroffen und ihnen ans Herz gelegt, möglichst schnell Deutsch zu lernen. „Seht zu, dass ihr hier Fuß fasst“, habe er ihnen gesagt. Heute hilft er den Geflüchteten auch zu übersetzen: „Denn ob Russisch, Serbisch oder Ukrainisch: Die Sprachen sind alle sehr ähnlich“, stellt er fest. Auch der Brauch, Gäste mit Brot und Salz zu empfangen, sei in diesen Ländern gleich verbreitet.
Voller Stolz zeigen die Gastgeberinnen ihre Kultur
An der Tür standen Nathalia Kharchenko und Olga Burgusch in bunten Trachten, präsentierten Brot und Salz und bedankten sich bei jedem Gast persönlich für sein Kommen. So willkommen geheißen, konnten sich alle am Büfett stärken, das die Gastgeberinnen zubereitet hatten, bevor das Kulturprogramm mit Gesang, der Aufführung des ukrainischen Märchens „Die Rübe“, einer Modenschau farbenprächtiger Trachten, mit Videos ihrer Heimat und Tänzen begonnen hat.
Marina Umlauff erzählt, wie sie während ihres ehrenamtlichen Deutschunterrichts nach den Hobbys der Geflüchteten gefragt habe. „Ich habe mich hingestellt und gesagt: ‘Also ich singe gern.’“, berichtet die ehemalige Schulleiterin der Grundschule Mühlenredder. Damit hat sie bei Olena Pronina aus Bila Tserkva, einem Vorort von Kiew, einen Nerv getroffen: „Lieder sind für mich Worte der Seele“, verrät sie. „Beim Singen kann ich all meine Emotionen einbringen.“
Sie ist gemeinsam mit zwei Schwestern und einem Schwager nach Reinbek gekommen, und sie alle sind heute Mitglieder im Kirchenchor Schönningstedt-Ohe. „Dort bin ich so super aufgenommen worden“, erzählt sie glücklich. „Es ist alles sehr familiär und die Sprachbarrieren spielen dort keine Rolle.“ Noch leben sie und ihre Angehörigen in der Unterkunft der ehemaligen Campus-Schule. Aber auch ohne eigene Wohnung ist sie zufrieden. Wenn man sie fragt, was sie braucht, hat sie nur einen Wunsch: Ein Tablet oder einen ausgedienten PC mit Kopfhörer zum Musikhören. Inzwischen spielt Olena Pronina auch Theater bei einem Projekt der Reinbeker Flüchtlingsinitiative Reinbek.
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Die Entscheidung für das neue Leben in Deutschland ist schmerzhaft
Veronika Sovichevska, die den Abend gemeinsam mit Natascha Vanieva, Milan Popovic und anderen organisiert hat, war mit ihrer Mutter und Kater Biser von der Reinbeker Familie Beckmann aufgenommen worden. Heute haben beide ihre eigenen Wohnungen, die 32-Jährige ist froh darüber. „Es ist eine ganz kleine Wohnung, mein Bad hat, glaube ich, zwei Quadratmeter, aber ich bin so glücklich darüber“, verrät sie. Einfach sei ihr Weg nicht gewesen. „Endlich bin ich auch zum Nachdenken gekommen. Ich war sechs Monate sehr deprimiert, Ich musste lernen, dass ich keine zwei Leben leben kann, hier und dort in der Ukraine. Die Entscheidung für mein neues Leben hier, war wie ein Schnitt, sehr schmerzhaft.“
Der Schmerz zeigte sich auch körperlich, eine Zeit lang versagten ihr die Beine. Aber in der Zwischenzeit geht es ihr besser: Sie hat ein dreimonatiges Praktikum in einem Architekturbüro absolviert und lernt jetzt Deutsch. „Ich komme schon immer durcheinander mit den Sprachen“, erzählt sie in fließendem Englisch. Sie träumt davon, eines Tages eine eigene Firma im kreativen Bereich gründen zu können und die Liebe zu finden: „Es wäre schön, einen Partner zu finden und gemeinsam mit ihm zu wachsen“, sagt sie.
Ukraine-Flüchtlinge zeigten Bilder ihrer Heimat
Die Moderatorin bedankte sich in einer bewegenden Rede bei den Gästen: „Danke, dass Sie uns die Türen ihrer Häuser, wichtiger noch, die Türen zu ihren Herzen geöffnet haben. Sie haben uns geholfen, hier ein neues Leben zu beginnen. Deshalb können unsere Kinder jetzt wieder ruhig schlafen. Sie alle sind jetzt unsere Familie und Freunde.“
Zum Abschluss tanzten alle zusammen. Der Stolz der Ukrainerinnen und Ukrainer auf ihre Kultur ist unübersehbar, ihre Lebenslust wirkt fast trotzig. Denn die schönen Bilder aus ihrer Heimat ließen beim Publikum fast den Atem stocken – war das Wissen darum, dass viele Zeugnisse unwiederbringlich zerstört sind, doch allgegenwärtig.