Reinbek. Doris und Bernd Gebert aus Reinbek beherbergen geflüchtete Ukrainerinnen – „nur ein kleines Opfer für uns.“

Zwei kleine Rucksäcke, in denen ein Laptop, etwas Kleidung, das Mobiltelefon, die Ausweise, Geld und Filzstifte verstaut waren – mehr hatte die Ukrainerin Nataliia Fedorenko nicht dabei, als sie vor zwei Wochen mit ihrem siebenjährigen Sohn mit dem Zug in Hamburg ankam. „Zu entscheiden, was man mitnimmt, die Wohnung abzuschließen, meinen Mann zurückzulassen, das war schlimm“, sagt die 34-Jährige in akzentfreiem Deutsch. Die Ukrainerin ist Englisch- und Deutschlehrerin und ausgebildete Psychologin, hat bis vor Ausbruch des Krieges mit ihrer Familie im Großraum Kiew gelebt.

Seit zwölf Tagen sind Mutter und Kind in Sicherheit, beide haben im Haus des Reinbeker Ehepaares Doris und Bernd Gebert am Krabbenkamp Unterschlupf gefunden. Seitdem konnte sie ein bisschen durchatmen, auch wenn die Sorge um ihren Mann, ihre gerade erst gekaufte Wohnung und um ihre Zukunft bleibt.

Flüchtlinge: 54 Reinbeker öffnen ihre Häuser

Die Geberts sind zwei von insgesamt 54 Reinbekern, die derzeit ihre Häuser und Wohnungen für Flüchtlinge aus der Ukraine öffnen. Vor der jungen Mutter mit ihrem Sohn hatten sie noch drei weitere Geflüchtete Frauen beherbergt. „Für uns ist das nur ein kleines Opfer angesichts dessen, was diese Menschen erleben“, sagt der 66-Jährige. Der Unternehmer möchte auch andere Reinbeker ermutigen, sich auf dieses Abenteuer einzulassen. Er und seine Frau haben keinen Augenblick gezögert, den Flüchtlingen Schutz zu geben – obwohl sie weder Russisch noch Ukrainisch sprechen. Die Ukraine und deren Landsleute kannte Bernd Gebert hingegen aus Seminaren in Kiew und hat deren Warmherzigkeit, Intelligenz und Kultiviertheit zu schätzen gelernt.

Niemand sei gezwungen, Flüchtlinge über Wochen und Monate bei sich unterzubringen. „Ein, zwei, drei Tage helfen auch“, sagt Bürgeramtsleiter Torsten Christ, auf dessen Schreibtisch momentan alle Fäden zusammenlaufen. Allein drei Mitarbeiter sind derzeit damit beschäftigt, Hilfsangebote und Hilfesuchende zueinanderzubringen. Stand Montag sind 51 Ukrainer – darunter 18 Kinder und zwei Männer im Rentenalter – in Reinbek. Zehn wohnen in öffentlichen Unterkünften, der Rest ist privat untergekommen. Die Liste derer, die ein Obdach zur Verfügung stellen wollen, wird täglich länger. Sie melden sich unter der Mailadresse: ukraine@reinbek.de.

Flüchtlinge: Bürgermeister rechnet mit stark steigenden Zahlen

Bürgermeister Björn Warmer rechnet damit, dass die Zahl der ukrainischen Schutzsuchenden in den kommenden Wochen rapide steigen wird. „Wann genau, weiß niemand. Wir wollen vorbereitet sein. Niemand soll und wird auf der Straße schlafen müssen und am liebsten auch in keiner Turnhalle“, sagt Warmer. Der Rathauschef ist stolz auf die große Hilfsbereitschaft seiner Reinbeker – nicht nur bei der Bereitstellung von Unterkünften, auch 33 Reinbeker mit Ukrainisch- und Russischkenntnissen leisten Dolmetscherhilfe. Die Stadtverwaltung ist gerade dabei, weitere Optionen zur öffentlichen Unterbringung zur prüfen.

Im benachbarten Kloster auf dem Gelände des Krankenhauses St. Adolf-Stift ist man schon weiter. Schwester Luise ist seit sechs Jahren zuständig für die Flüchtlingsarbeit und hat die vergangenen Tage genutzt, um Platz für geflüchtete Frauen und Kinder zu schaffen. In fünf Zimmern mit Bad haben bis zu zehn Personen Platz. Eine Teeküche gibt es auf der Etage. Ein Zimmer wird bereits von der jungen Ukrainerin Anna Volchok bewohnt. Die Musikerin erhält jetzt Orgelunterricht bei einer Schwester.

Flüchtlinge finden auch Unterschlupf im Krankenhaus

„Die Frauen und ihre Kinder dürften so lange bleiben, wie sie wollen und es nötig ist“, sagt Schwester Luise. Bis zu ihrer Anerkennung werden sie vom Krankenhaus kostenfrei mitversorgt – auch medizinisch. „In den vergangenen Tagen wurden hier im Krankenhaus schon mehrere behandelt“, sagt Schwester Luise. Auch die Zusammenarbeit mit der Verwaltung laufe völlig reibungslos.

Momentan erreichen sie viele Anfragen, welche Hilfe nötig ist, sagt Schwester Luise. „Sachspenden können wir leider nicht annehmen. Wir haben nicht genügend Personal, um die zu sortieren.“ Geldspenden hingegen sind willkommen. Im Foyer des Krankenhauses steht eine Spendenbox. „Das Geld soll für Ausflüge beispielsweise in den Zoo verwendet werden“, sagt Schwester Luise. Auch Nataliia Fedorenko und ihr Sohn ziehen noch diese Woche vom Krabbenkamp an die Hamburger Straße um – allerdings nicht ins Kloster. Die beiden bekommen eine von zwei Personalwohnungen des Krankenhauses, in der sie auch eine Küche für sich und noch ein bisschen mehr Privatsphäre haben. Um das neue Zuhause etwas gemütlicher zu machen, hat Bernd Gebert Teppiche und Lampe gekauft. Das gespendete Spielzeug samt Kinderfahrrad für den Jungen ziehen mit um. „Am liebsten aber möchte er mit dem Spielzeug spielen, das er zu seinem Geburtstag kurz vor unserer Flucht bekommen hat“, sagt die Mutter.

Ihr Junge braucht wieder Struktur, soll schnellstmöglich wieder in die Schule gehen. In der Ukraine hat er die erste Klasse besucht und sei ein fleißiger Schüler gewesen. Sie selbst möchte wieder arbeiten. Bis vor Kurzem war sie noch sehr zuversichtlich, dass sie bald wieder in die Ukraine zurückkehren werden. Angesichts der Zerstörungen sei sie sich nicht mehr sicher, welche Zukunft sie dort haben.