Reinbek. Der 87-Jährige verstarb nach schwerer Krankheit. Das Erinnern an die NS-Verbrechen hatte er zu seiner Lebensaufgabe gemacht.
Geprägt durch seine Familiengeschichte wurde das Erinnern an die NS-Verbrechen zu einer Lebensaufgabe von Detlev Landgrebe. Der gebürtige Reinbeker engagierte sich in der Notgemeinschaft für die von den Nürnberger Rassegesetzen Betroffenen, im Arbeitsausschuss der Hamburger Verfolgtenverbände, in der Geschwister-Scholl-Stiftung und in der Vereinigung Gegen Vergessen – Für Demokratie sowie als Geschäftsführer der Hamburger Stiftung Hilfe für NS-Verfolgte. Der große Akteur der Erinnerungskultur ist für ewig verstummt. Detlev Landgrebe wird am Freitag, 24. Juni, im Familiengrab auf dem Reinbeker Friedhof bestattet. Er verstarb am 9. Juni mit 87 Jahren nach schwerer Krankheit in Hamburg-Blankenese.
Nachruf: Detlef Landgrebe verstand sich immer als Reinbeker
Obwohl er dort seit mehr als 50 Jahren lebte, verstand er sich immer als Reinbeker. Mit der Stadt verband er die schlimmsten Jahre seiner Kindheit (von 1939 bis 1945) und ab 1945 auch die schönsten, sagte er 2009 gegenüber unserer Zeitung. Da war gerade sein Buch „Kückallee 37. Eine Kindheit am Rande des Holocaust“ erschienen.
Darin erzählt er sachlich und sehr detailliert über die Verfolgungsgeschichte seiner zum Teil jüdischen Familie, wie den Verlust der großelterlichen Villa 1941, die Verzweiflung und der psychische Verfall und Tod seiner Großmutter, die Ermordung und Deportation vieler seiner jüdischen Verwandten. Er berichtet von der Angst als ständiger Begleiter seiner Kindheitsjahre, aber auch von der Hilfsbereitschaft einiger Reinbeker.
Landgrebe als Halbjude war vor den Nazis nicht sicher
Detlev Landgrebe wurde am 27. März 1935 in Reinbek als Sohn des Philosophen Professor Dr. Ludwig Landgrebe und seiner Frau Ilse Maria, geb. Goldschmidt, geboren. Ihr Bruder, der deutsch-französische Schriftsteller und heutige Ehrenbürger Reinbeks, Georges-Arthur Goldschmidt, war sein Onkel.
Gleichermaßen ist sein Buch eine umfangreiche Familienchronik der Goldschmidts, einer angesehenen großbürgerlichen Richterfamilie, die bis 1933 zur höheren Gesellschaft in Reinbek zählte. Die Familie mit jüdischen Wurzeln war zum evangelischen Glauben konvertiert, die Kinder christlich erzogen. Die wirren Rassengesetze der Nazis ließen sie dennoch zu Opfern werden.
Auch Detlev Landgrebe als Sohn einer sogenannten „Mischehe“ und als „Halbjude“ war vor ihnen nicht sicher. Der Großvater Arthur Goldschmidt war bis 1933 Richter am Hanseatischen Oberlandesgericht und wurde am 20. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert. Landgrebe war da erst neun Jahre alt.
Nach seiner Pensionierung schrieb er die Familiengeschichte auf
Die Verfolgung der Familie hat ihn schon sehr früh in die Rolle eines kleinen Erwachsenen schlüpfen lassen, resümierte er als gereifter Mann. Erst spät, drei Jahre vor seiner Pensionierung als Regierungsdirektor in der Hamburger Senatskanzlei, fand er nach einer Therapie die Kraft und den Mut, die eigene Familiengeschichte aufzuschreiben.
„Sein Buch ist das wichtigste über Reinbeks Geschichte“, sagt Bernd M. Kraske. Als Leiter der Reinbeker Kultureinrichtungen hatte er „den freundlichen Intellektuellen“ mehrfach für Lesungen nach Reinbek geholt. „Er hätte überall lesen können, aber sein Buch dem Reinbeker Publikum vorzustellen, das war ihm wichtig.“