Reinbek. Neue Räder und Ersatzteile sind derzeit bei Händlern knapp – auch in Reinbek. Die Branche verzeichnet einen großen Boom.
Sonnige acht Grad Celsius: Das Wochenende verspricht schön zu werden und weckt sicher bei vielen die Lust auf eine Radtour. Für Sabine Löscher, Inhaberin des Fahrradgeschäfts Hanold an der Schönnigstedter Straße in Reinbek, ist das der Startschuss für die neue Saison. Viele Reinbeker werden ihre Räder fitmachen lassen für den Frühling oder sind auf der Suche nach einem neuen Rad.
Wer ein neues Fahrrad kaufen will, muss mit einer langen Wartezeit rechnen
Den erster Wunsch kann die 58-jährige Fahrradmechanikerin erfüllen, beim letzten wird es momentan schwierig – zumindest, wenn der Kunde konkrete Ausstattungs- und Farbwünsche hat. „Zeiten wie diese habe ich noch nicht erlebt“, sagt Löscher, die seit 45 Jahren in der Branche ist. In diesem Jahr hat sie mit ihrem Geschäft 20-jähriges Jubiläum.
„Das wollten wir eigentlich feiern und ich wollte meinen Kunden einige besondere Räder zu einem günstigen Preis präsentieren.“ Doch die Feier muss in diesem Jahr ausfallen, denn neue Räder sind kaum zu bekommen. „Der Markt ist leer gefegt. Die Kollektion für dieses Jahr bereits ausverkauft“, sagt Löscher. Es fehle derzeit an allem: an Kinder-, Damen- und Herrenrädern sowie an Ersatzteilen. Dabei habe die Saison, in der das Geld für die Wintermonate verdient werden muss, noch nicht einmal begonnen.
Im Jahr 2020 ist die Nachfrage nach Fahrrädern um 25 Prozent gestiegen
Ein einziges 24-Zoll-Mädchenrad habe sie noch im Angebot und sich riesig gefreut, als jetzt der Anruf vom Hersteller kam, dass sie noch ein zweites dazubekommt – allerdings in blau. Üblichweise hat Löscher 60 Räder der mittleren Preisklasse im Geschäft, „jetzt komme ich gerade mal auf die Hälfte“, sagt die Mechanikerin mit Meistertitel. Das kenne sie aus ihrer Branche nicht. In der war sonst alles zu jeder Zeit verfügbar, sagt sie.
Eine Ursache für die Engpässe sind ein noch nie dagewesener Nachfrageboom: „Um 25 Prozent ist der Verkauf im ersten Jahr der Pandemie 2020 gestiegen“, weiß Uwe Wöll. Der Geschäftsführer vom Verbund Service und Fahrrad (VSF) ist mit Fachhändlern und Herstellern aus der gesamten Bundesrepublik im Austausch. Im vergangenen Jahr konnte dieser Erfolg noch einmal gesteigert werden, sagt Wöll. Die Branche schwimme nach Jahrzehnten der Stagnation auf einer Erfolgswelle, mussten sich die Hersteller erst einmal auf die neue große Nachfrage einstellen und ihre Produktion anpassen.
Kleine Händler mussten in der Pandemie aufgeben
Gleichzeitig kämpft die Branche – wie andere auch – noch mit den Auswirkungen der Pandemie, sind Lieferrückstände von Radkomponenten wie Schaltungen aus Fernost oder Rahmen noch nicht aufgeholt. Zum einen waren in Asien die Werkstätten wochenlang geschlossen, zum anderen waren die Container knapp.
Spätestens in 2024 wird sich die Lage wieder entspannen, schätzt der Verbandsgeschäftsführer, der weiß, dass nicht bei allen Händlern die Verkaufsräume leer sind. „Wer früh geordert, mehrere Marken im Angebot hat und den Mut hatte, sein Lager zu füllen, der steht momentan gut da. Auch ein gutes Netzwerk unter Händlern kann helfen, Engpässe zu überbrücken“, sagt Wöll. Wem das fehlt, der hat schlechte Karten. So haben in der Pandemie kleine Händler aufgeben müssen, andere – auch branchenfremde – sind dazugekommen.
Seit 45 Jahren ist er ein Kenner der Branche
Peter Kellmann, Zweiradmechaniker und Inhaber eines gleichnamigen Geschäfts an der Bahnhofstraße, ist ein Meister seines Fachs. Ob Rad mit und ohne E-Antrieb, Kinderwagen oder Rollator – Peter Kellmann repariert sie alle. Auch vor defekten Discounterrädern schreckt er nicht zurück. „Das machen nicht viele“, sagt er. Seit 45 Jahren ist er ein Kenner der Branche und hat sein Hobby zum Beruf gemacht. 1994 machte er sich selbstständig. Drei Jahre später eröffnete er ein Geschäft an der Hauptstraße in Wentorf. Nach 15 Jahren zog er samt Rädern und Werkstatt um an den Oher Weg in Glinde.
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Vor neun Jahren wechselte er erneut an die Bahnhofstraße in Reinbek. Doch von diesem Standort hatte er sich viel mehr erhofft, sagt er. Die Verkaufszahlen gingen zurück. Die Gründe sind laut Kellmann vielfältig: „Einer sind sicher die fehlenden Parkplätze“, sagt der Geschäftsmann. Vor drei Jahren hat er sich deshalb entschieden, den Verkauf neuer Räder auf ein Minimum hinterzufahren und sich auf die Reparatur zu konzentrieren. Zwei Aushilfen hat er in der Hochsaison an seiner Seite. Den derzeitigen Mangel an Fahrradteilen bekommt auch er zu spüren. Kellmann investiert dann viel Zeit für die Suche im Internet. Bislang wurde er immer fündig und konnte seine Kunden zufriedenstellen – auch wenn es mal länger dauert als sonst.
Peter Kellmann will in 22 Monaten aufhören, sucht einen Nachfolger
Die Entspannung der Lage wird Peter Kellmann womöglich nicht mehr erleben. Im Februar 2024 wird der Reinbeker in den Ruhestand gehen. Nach Jahrzehnten der handwerklichen Arbeit in der Werkstatt spürt der Feinmechaniker seine Knochen, macht das Knie nicht mehr mit. Er freut sich auf die Rente und darauf Zeit zu haben, um Deutschland und die Welt kennenzulernen. An einer Weiterführung seiner Zweiradwerkstatt liegt Peter Kellmann aber viel. Er hat sich bereits auf die Suche nach einem Nachfolger begeben und ist mit einem Interessenten im Gespräch. Reinbeker Kunden dürfen also hoffen, dass ihnen das Geschäft erhalten bleibt. Das Gleiche hofft Sabine Löscher für ihr Geschäft: Sie will spätestens in fünf Jahren aufhören.