Reinbek. Schwester Alicja zündet eine Kerze in der Kapelle an. Eigentlich hätten im Altenheim der Ordensschwestern am St. Adolf-Stift 100 Kerzen brennen müssen.
Doch die Nonnen sind bescheiden. Zwei stehen symbolisch für 78 Jahre, die Schwester Faustina Kranken und Armen gewidmet hat. Sie wurde am Montag 100 Jahre alt. Im Rollstuhl empfing sie unter anderem Bürgervorsteher Lothar R. Zug, der die Glückwünsche von Stadt und Land überbrachte.
1933, im Alter von 22 Jahren, trat Walburga Thäle in Berlin dem Orden der Schwestern von der Heiligen Elisabeth bei. In der Nähe von Bamberg in einer religiösen Familie mit acht Geschwistern aufgewachsen, ging sie erst als Kindermädchen nach Schweden. 1932 stellte sie sich das erste Mal adrett in Stöckelschuhen und mit Hut der Generaloberin in Berlin vor. Die gab ihr noch Bedenkzeit, bevor sie als Schwester Faustina ein Jahr später in den Orden eintrat, der sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts nach dem Vorbild Jesu Christi um die Nächsten kümmert. Selbst erzählen kann sie von den Motiven, die sie leiteten, nicht mehr. Aber ihre wachen und liebevollen Augen zeugen von ihrer Kontaktfreude und seelsorgerischem Talent, das man ihr nachsagt.
„Es war wohl wie bei vielen von uns“, sagt Schwester Alicja. Man könne niemanden anwerben, auch wenn der Orden in Berlin mit dem „Berufungs Pastoral“ sogar eine „Marketingabteilung“ habe. „Die Motivation kommt von innen. Irgendwann ist klar, dass nur dieser Weg infrage kommt“, sagt sie.
Diese Stimme vernehmen heute immer weniger Frauen. Der letzte Beitritt zu der Kongregation der Heiligen Schwestern in Reinbek war in den 90er-Jahren. Im Konvent, dem „Kloster“ hinter dem Krankenhaus, leben 32 Schwestern. Das Durchschnittsalter lieg bei 70. „Als ich 1958 nach Reinbek kam, lebten hier mehr als 100 Schwestern“, erinnert sich Schwester Edelgard, die mit 76 Jahren immer noch nicht in Rente ist und sich im Büro um die Steuer und Rentenfragen kümmert. Im benachbarten Altenheim, das in den 1960er-Jahren gebaut wurde, liegt der Altersschnitt noch einmal zehn Jahre höher. Hier leben und arbeiten 53 Schwestern unter der Leitung der Oberin Schwester Alicja.
Aus dem Pflegedienst des St. Adolf-Stiftes sind die Nonnen, die vor 127 Jahren in einer geschenkten Kate den Grundstein für das Krankenhaus legten, längst herausgewachsen. „Das liegt einfach am Alter“, sagt Schwester Edelgard. Nonnen aus dem Provinzhaus bieten Patienten vor allem seelischen Zuspruch. Das war vor 40 Jahren noch anders: Bis in die 70er-Jahre waren alle Posten bis auf die Ärzte mit Schwestern besetzt.
Egoistisch dürfe man nicht sein, sagt Schwester Edelgard. Und mit dem turbulenten Leben hinter Klostermauern, das das Musical „Sister act“ beschreibt, hat der Alltag in den Einzelzimmern ohne Fernseher nichts zu tun. Beten, Morgenlob, geistliche Lesungen und Heilige Messe sind die Fixpunkte des Tages. „Aber es ist etwas Wunderbares, wenn man anderen helfen kann und gleichzeitig Halt in der Gemeinschaft hat.“ Die Anerkennung des Ordens durch Papst Pius IX. hatte 1859 die Samariterin und Ordensgründerin Sel. Maria Merkert erkämpft.
Jetzt ist nicht abzusehen, wie lange das Provinzhaus noch Nonnen beherbergen wird. Wenn keine nachrücken, ist das Ende abzusehen. Die Entwicklung hat den Orden schon zum Handeln gezwungen. Vor sechs Jahren gab es in Deutschland noch 420 Schwestern der Heiligen Elisabeth. Heute zählt der Orden noch 280, weltweit sind es 1600. Konvente in Dernbach und Hofheim mussten bereits geschlossen werden.
Das Altenheim in der norddeutschen „Diaspora“ wird es aber sicher noch lange geben, ist Schwester Alicja sicher. Und für Schwester Faustina bleibt es ein liebevolles Heim.