Bad Oldesloe. Der Arbeitsmarkt ist geprägt von Fachkräftemangel. Gut ausgebildete Geflüchtete bieten Potenzial. Doch das wird nicht ausgeschöpft.
Auf den ersten Blick könnte es anmuten wie zwei Puzzleteile, die ineinanderpassen: Seit Jahren ist der Arbeitsmarkt in Deutschland vom Fachkräftemangel gebeutelt. Ob Pflege, Handwerk oder Erziehung: In nahezu allen Branchen fehlt es an qualifiziertem Personal und Nachwuchskräften. Angesichts des demografischen Wandels scheint absehbar, dass sich das Problem weiter zuspitzen wird.
Gleichzeitig kommen unter anderem durch den Krieg gegen die Ukraine viele Menschen nach Deutschland. Der Bildungsgrad unterscheidet sich stark. Menschen ohne Schulabschluss sind ebenso unter ihnen wie hoch qualifizierte Fachkräfte. Doch die Hoffnung, dass Geflüchtete die Lösung für den Fachkräftemangel sein könnten, scheint sich nicht zu erfüllen. Jüngst forderte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt Kriegsflüchtlinge wieder in die Ukraine zurückzuschicken, wenn sie keine Arbeit haben. SPD und Grüne kritisierten den Vorschlag.
Nicht eingestellt wegen Kopftuch: Wie Integration scheitert
Dass der Fachkräftemangel aktuell nicht durch Zuwanderung gelöst wird, geht auch aus dem aktuellen Sachstandsbericht des Jobcenters Stormarn hervor, den Geschäftsführerin Doris Ziethen-Rennholz im jüngsten Sozial- und Gesundheitsausschuss des Kreises vorstellte. Die Arbeitslosenquote liegt in Stormarn laut Bericht mit 4,2 Prozent (Stand: April 2024) deutlich über dem Niveau der Vorjahre. 2023 lag sie bei 3,8 Prozent, 2022 bei 3,2 Prozent. Die Quote ist seit Jahresbeginn konstant, eine Frühjahrsbelebung also ausgeblieben.
Und: Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist in Stormarn erstmals seit Einführung des Sozialgesetzbuches II in einem dritten Quartal im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen. Im September 2023 waren 91.902 Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt, im Vorjahr waren es 92.659 gewesen. Es ist also ein Rückgang von 757 Beschäftigten zu verzeichnen.
Fachkräftemangel zählt zu den Hauptrisiken im Arbeitsmarkt in Stormarn
„Die Stellen für ausgebildete Fachkräfte erreichen mit 1464 einen neuen Höchststand für die zurückliegenden zwölf Monate und unterstreichen damit den Fachkräftemangel als eines der Hauptrisiken im Kreis“, heißt es im Bericht des Jobcenters weiter. Gleichzeitig muss das Jobcenter immer mehr Kunden betreuen. Dieser Trend habe sich auch im ersten Quartal 2024 verfestigt. Im Januar 2024 betreute das Jobcenter 12.166 Personen, davon 8293 erwerbsfähige Leistungsberechtigte. Im Vergleich zum Vorjahresmonat bedeutet das ein Plus von 554 Erwerbsfähigen beziehungsweise 7,2 Prozent. Es ist die höchste Zahl seit März 2007.
„Ursächlich für den konstanten Kundenaufwuchs ist der hohe Zustrom durch Fluchtmigration“, so der Bericht. Verstärkt kommen Männer aus den sogenannten acht Herkunftsländern Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien dazu. „Insgesamt steht diese Personengruppe dem Arbeitsmarkt in der Regel zunächst nicht zur Verfügung, da deutsche Sprachkenntnisse erworben werden, aber auch persönliche Rahmenbedingungen, insbesondere Wohnsituation und Kinderbetreuung, organisiert und stabilisiert werden müssen“, heißt es im Bericht.
Flüchtlinge könnten Fachkräfte werden, aber Herausforderungen sind groß
„Flüchtlinge könnten Fachkräfte werden“, sagte Doris Ziethen-Rennholz. Doch die Herausforderungen seien gewaltig. Vor allem bei geflüchteten Frauen gelinge es sehr selten, sie, auch wenn sie beruflich qualifiziert sind, als Fachkraft zu gewinnen. Das liege an kulturellen Gründen oder an der Kinderbetreuung. „Teilweise scheitert das aber auch auf der Arbeitgeberseite“, so Ziethen-Rennholz. Die Jobcenter-Geschäftsführerin berichtete etwa von einem Beispiel, in dem eine Frau mit medizinischer Ausbildung wegen ihres Kopftuches nicht eingestellt wurde. „Es fehlt an Angeboten für Frauen“, so Ziethen-Rennholz. „Sie landen dann sehr oft im Reinigungsgewerbe.“
Angesichts der unsicheren Lage seien Betriebe grundsätzlich eher verhalten, wenn es um das Einstellen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geht. Für Kunden des Jobcenters erhöhe das die Zugangshürden zusätzlich, weil sie den Anforderungen, etwa wegen der Sprachbarriere, oft nicht entsprechen. „Wir gehen verstärkt auf die Betriebe zu und wir gehen auch verstärkt auf die Geflüchteten zu“, sagte Doris Ziethen-Rennholz. Durch eine intensive Betreuung sei es gelungen, die Aufnahmen von Beschäftigung von Frauen um 18,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu steigern.
Es gibt auch gute Nachrichten: Programm Jobturbo zeigt Erfolge
Und es gibt bei allen Schwierigkeiten noch mehr gute Nachrichten: „Auch der besondere Fokus auf das Bewerberpotenzial aus den Fluchtbewegungen im Rahmen des sogenannten Jobturbo zeigt Erfolge“, heißt es im Bericht des Jobcenters. Das bundesweite Programm Jobturbo soll Geflüchtete möglichst schnell in Arbeit bringen. „Seit Herbst 2023 beenden zunehmend Geflüchtete, insbesondere Ukrainerinnen und Ukrainer, ihre ersten Deutschkurse und verfügen somit über verwertbare Sprachkenntnisse“, so der Bericht für Stormarn.
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Das Jobcenter unternehme intensive Bemühungen, diese Menschen unmittelbar nach Abschluss ihres Kurses in Beschäftigung zu vermitteln, etwa durch Formate wie Job-Speed-Dating, bei denen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen einen Eindruck verschaffen können, ob die Bedingungen ihren Vorstellungen entsprechen. Auch Fortbildungen, die dem Fachkräftemangel entgegenwirken können, werden laut Bericht des Jobcenters in den Blick genommen.
Nachholbedarf gebe es aktuell am ehesten bei der Vermittlung von ukrainischen Leistungsbeziehenden in den Arbeitsmarkt. Die Integrationsarbeit mit Geflüchteten anderer Herkunftsländer funktioniere aufgrund langjährig bewährter Unterstützungsangebote verhältnismäßig gut. 57 Prozent der Klienten des Jobcenters haben keinen Fluchthintergrund, 27 Prozent kommen aus den acht Herkunftsländern und 16 Prozent aus der Ukraine. Von den Menschen, die in Arbeit integriert wurden, haben 60 Prozent keinen Fluchthintergrund, 30 Prozent kommen aus den acht Herkunftsländern und nur zehn Prozent aus der Ukraine.