Reinfeld. Aber es gibt auch kritische Stimmen. Testzeitraum endet im Dezember. Was wird dann aus der Oberleitungsstrecke auf der Autobahn?
Der fünf Kilometer lange E-Highway auf der A1 bei Reinfeld muss nach dem Auslaufen des Pilotprojekts im Dezember 2024 weiterbetrieben werden: Diese Forderung stellen Wissenschaftler und Experten aus Schleswig-Holstein. Mehr noch: Der Test mit Elektro-Lkw sollte deutlich ausgeweitet werden. „Es ist Zeit für ein erstes großes Pilotprojekt, in dem sich die Oberleitung im direkten Vergleich zu den wenigen sinnvollen Alternativen beweisen kann“, sagt Jan Bachmann, Projektleiter beim Forschungs- und Entwicklungszentrum (FuE-Zentrum) der Fachhochschule Kiel. Ihm schwebt die Elektrifizierung der rund 75 Kilometer langen Strecke zwischen den Häfen in Lübeck und Hamburg oder sogar bis nach Bremen vor.
Bei einem Treffen in Kiel kritisierten Verantwortliche des 2017 gestarteten Feldversuchs die Bundesregierung heftig. Diese ziehe Oberleitungsprojekten vorzeitig den Stecker und setze die deutsche Technologieführung aufs Spiel. „Bei allem Verständnis für die angespannte Haushaltslage wäre es fatal, das Projekt Ende des Jahres mit Auslaufen der Förderung versanden zu lassen, bevor man überhaupt die Ergebnisse bewerten konnte“, sagt Schleswig-Holsteins Verkehrs-Staatssekretär Tobias von der Heide (CDU). „Wir können den Wissensvorsprung nur erhalten, wenn die Infrastruktur bleibt“, so der Politiker. Die Niederlande planten einen 100 Kilometer langen Oberleitungs-Korridor, und China bemühe sich um internationale Normungsmandate.
E-Highway auf A1 bei Reinfeld: Delegation aus China kommt zu Besuch
Die Entwicklung bestätigt Projektleiter Bachmann: Im Juli zeigt er einer chinesischen Delegation den E-Highway in Stormarn. „Wir sind schon sehr weit und würden uns ungern die Butter vom Brot nehmen lassen“, sagt Bachmann. Laut seines FuE-Kollegen Michael Brand bestätigen alle Daten dem System eine sehr hohe Energieeffizienz. Und die Technik sei inzwischen so ausgereift, dass sie „morgen flächendeckend ausgerollt“ werden könne.
Um so weniger kann die Projektleitung verstehen, dass das Bundesverkehrsministerium so wenig Interesse an den Ergebnissen zeige. Bachmann wundert sich: „Warum wird um Wasserstoff so ein Hype gemacht, während wir nur den Bund der Steuerzahler und Mario Barth abbekommen?“ Mehrfach hatten der Steuerzahlerbund und auch die Fernsehshow „Mario Barth deckt auf!“ Steuerverschwendung angeprangert.
Oberleitung konkurriert mit Wasserstoff und stationären Ladesäulen
Für die Forscher ist die Oberleitung dagegen ein wichtiger Baustein, um den CO₂-Ausstoß zu minimieren – und den Alternativen wie Wasserstoff oder stationären Ladesäulen weit überlegen. Der Verkehrssektor sei für 22 Prozent aller Treibhausgase verantwortlich, davon entfalle ein Drittel auf Lkw. „Das Verfehlen der Klimaziele im Verkehrssektor führt zu Strafzahlungen an die EU im zweistelligen Milliardenbereich“, so Bachmann. „Insbesondere Fahrzeugindustrie und Logistikbranche – aber nicht zuletzt auch die Autobahn GmbH des Bundes – benötigen Planungssicherheit.“
Auch interessant
- Klinik Manhagen veranstaltet Tag der offenen Tür
- Für Chancengleichheit: Sechs Stormarner Schulen erhalten 30 Millionen Euro
- Buchhandlung Heymann zieht aus Ahrensburger Kaufhaus aus
Das unterstreicht die Reinfelder Spedition Bode, die seit Anfang 2020 mit bis zu fünf Hybrid-Lkw (haben sowohl Elektroantrieb als auch Dieselmotoren) auf der Teststrecke zwischen der A1-Anschlussstelle Reinfeld und dem Autobahnkreuz Lübeck unterwegs ist. „Es muss geklärt werden, wo wir hinwollen“, sagt Fuhrparkleiter Dennis Willers. Soll man auf E-Fahrzeuge setzen oder zum Diesel zurückkehren, das sei die Frage für die Logistikbranche.
Laut Spedition hat sich das System im Alltagsbetrieb bewährt
Bei den Fahrern seien die Testfahrzeuge mittlerweile sehr beliebt. „Nach holprigem Start und einiger Probleme mit den Lkw hat sich das System mittlerweile im Betrieb bewährt“, sagt Willers. Beispielsweise seien Fehlfunktionen der Pantografen (Stromabnehmer auf dem Dach) inzwischen ausgeräumt. Die Kraft des E-Motors sei auch bei voller Beladung mit 46 Tonnen spürbar. In jüngster Zeit seien erhebliche Kraftstoffeinsparungen zu beobachten.
„Selbst eine passive Entscheidung zum Rückbau der Teststrecken wäre aus unserer Sicht sachlich nicht zu rechtfertigen und ein Risiko für die bis hierhin erarbeitete Technologieführung.“
Berechnungen aus der Wirtschaft zeigten laut Projektleitung zudem, dass auch die Initialkosten für den Aufbau der Oberleitungsinfrastruktur einem wirtschaftlichen Betrieb der Anlagen nicht entgegenstünden. Private Investoren hätten der Firma Siemens Mobility in Deutschland wie auch in den Niederlanden angeboten, in den Aufbau einer Oberleitungsinfrastruktur zu investieren. Die Kosten für einen Kilometer beidseitigen Komplettausbau betragen rund 3,5 Millionen Euro.
Bund hat 19 Millionen Euro für E-Highway in Stormarn bezahlt
Der E-Highway auf der A1 in Stormarn ist eine von drei Teststrecken bundesweit. Die anderen liegen in Hessen (zwölf Kilometer auf der A5 zwischen Frankfurt und Darmstadt) und in Baden-Württemberg (zwei Abschnitte mit zusammen 3,4 Kilometern auf der Bundesstraße 462 im Murgtal). Auf der A1 fahren die Lastwagen zwischen dem Anschluss Reinfeld und dem Autobahnkreuz bei Hamberge mit Strom und laden gleichzeitig ihre Akkus auf. Der Bund hatte die Strecke für 19 Millionen Euro im Jahr 2019 ausgebaut.
Aktuell sind dort von Bode drei Scania-Hybridfahrzeuge der jüngsten Generation sowie ein vollelektrischer Lkw der Deutschen Post und DHL im Einsatz. Auswertungen ergaben, dass nach fünf Kilometern Oberleitung zehn weitere Kilometer elektrisch zurückgelegt werden können. Die Strommasten müssen also nicht durchgängig an der Autobahn stehen. Der komplett elektrisch zurückgelegte Fahranteil ist im Sommermonat Juli deutlich höher als im kalten Dezember. Auf die Stabilität des öffentlichen Stromnetzes hat der E-Highway laut der Wissenschaftler keine negativen Auswirkungen.
Staatssekretär Tobias von der Heide erwartet von der Bundesregierung, dass sie nicht weiter zaudert. Er sagt: „Selbst eine passive Entscheidung zum Rückbau der Teststrecken wäre aus unserer Sicht sachlich nicht zu rechtfertigen und ein Risiko für die bis hierhin erarbeitete Technologieführung.“