Bargteheide. Wie Schiedsfrauen und -männer Streit schlichten. Was die häufigsten Konfliktursachen sind und wo sie am häufigsten auftreten.

Überhängende Äste, allzu ausladende Hecken und falsch montierte Fallrohre, die das angrenzende Grundstück unter Wasser setzen – die Gründe für veritable Nachbarschaftsstreits sind vielfältig. Doch sollten streitende Parteien in solchen Fällen immer gleich Anwälte bemühen und vor Gericht ziehen? „Nein“, sagt Jutta Werner, Schiedsfrau in der Stadt Bargteheide. Zum einen sei ein Schlichtungsverfahren bei vielen Streitigkeiten vorgeschrieben. Zum anderen seien diese Verfahren nicht nur deutlich kostengünstiger und zeitsparender als der Klageweg. „Bedacht werden sollte aber vor allem: Hat man sich erst einmal vor Gericht gegenübergestanden, ist es mit einer gedeihlichen Nachbarschaft zumeist auf Dauer vorbei“, weiß die erfahrene Mediatorin. Deshalb sei es besser, zu schlichten, statt zu richten.

Sogar Straftatbestände können geschlichtet werden

Dieser Grundsatz hat eine lange Geschichte und geht bis ins 18. Jahrhundert zurück. Schiedsleute sehen sich in der Tradition der Friedensrichter, die in Frankreich bereits 1790 im Einsatz waren. Die Preußen haben Anfang des 19. Jahrhunderts nachgezogen und 1827 mit einer Verordnung das Schiedswesen für zivilrechtliche Streitigkeiten in den Regierungsdepartements Königsberg, Gumbinnen, Danzig und Marienwerder etabliert.

1897 wurden die Befugnisse der Schiedsmänner sogar um Straftatbestände wie Beleidigungen und Körperverletzungen erweitert. Anfang des 20. Jahrhunderts durften die Schlichter dann sogar in Fällen der Verletzung des Briefgeheimnisses, des Hausfriedensbruchs und der Sachbeschädigung tätig werden. Das gilt bis heute.

Landesweit gibt es rund 450 Schiedsfrauen und -männer

Inzwischen schlichten bundesweit etwa 6000 Schiedsfrauen und -männer in zwölf Bundesländern. In Schleswig-Holstein sind es rund 450 in vier Bezirksvereinigungen, angelehnt an die jeweiligen Landgerichte in Flensburg, Itzehoe, Kiel und Lübeck. Seit 2002 ist der rechtliche Rahmen durch das Landesschlichtungsgesetz und ein Ausführungsgesetz klar definiert.

„Ziel ist immer, mit gesundem Menschenverstand einen Kompromiss zu finden, bei dem sich im besten Fall keine Partei als Verlierer fühlt“, erklärt Jutta Werner. Deshalb gebe es bei Schlichtungen auch keine Kläger und Beklagte, sondern lediglich Antragsteller und Antragsgegner. Am Ende des Verfahrens werde folglich auch kein Urteil gesprochen. „Vielmehr wird im Erfolgsfall ein Vertrag geschlossen, der dann aber auch 30 Jahre gültig ist“, so Werner.

Erfolgreiche Lösungen zwischen Tür und Angel

Nach einem förmlichen Antrag nehmen die Schiedsleute Kontakt mit der anderen Partei auf und unterbreiten erste Lösungsvorschläge per Telefon oder einem persönlichen Besuch. „In den sogenannten Tür- und Angel-Gesprächen können die Differenzen oft schon ausgeräumt werden“, berichtet Werner. Landesweit waren es 2023 mehr als 1000. Während lediglich 708 Fälle in der Folge tatsächlich verhandelt wurden, von denen wiederum 325 erfolgreich geschlichtet werden konnten.

„In Bargteheide gingen seit November 2003 insgesamt 123 Fälle ins Schlichtungsverfahren. 82 von ihnen waren erfolgreich, also zwei Drittel“, sagt Jutta Werner. Seit 21 Jahren ist sie als Schiedsfrau der Stadt ehrenamtlich tätig und seit 2012 sogar Vorsitzende des Landesverbands der Schiedsleute.

Erfolgsquote in Bargteheide höher als im Land und im Bund

Dass die Erfolgsquote in Bargteheide deutlich höher liegt als im Bundes- und Landesschnitt, wo sie etwa 50 Prozent beträgt, erfüllt die erste und bislang einzige Ehrenbürgerin der Stadt mit Stolz. „Das spricht für Bargteheide und seine Bürger“, sagt die 74-Jährige. Ihr habe es immer Freude bereitet, zwischen Konfliktparteien zu vermitteln. Es habe aber stets auch ihren Ehrgeiz angestachelt, am Ende Einsicht und Vernunft siegen zu lassen.

„Natürlich ist das nicht immer einfach. Insbesondere dann, wenn zu viel Egoismus im Spiel ist“, erzählt die selbstständige Steuerberaterin. Miteinander zu reden sei aber oft der erste Schritt zu einer Verständigung. Die sei in der Regel aber nur möglich, wenn beide Parteien bereit seien, etwas in die Waagschale zu legen, auch der Antragsteller.

Tendenziell mehr Konflikte in Doppel- und Reihenhäusern

Konflikte zwischen benachbarten Einzelhausbewohnern seien deutlich seltener als bei Bewohnern von Doppel- und Reihenhäusern sowie Mietern im Geschosswohnungsbau. „Hier kommt es tendenziell eher zu Streits wegen Geruchsbelästigung durchs Dauergrillen oder durchs Rauchen, sowie wegen Lärms durch Musik, Partys und Kinder“, weiß Werner. Bei Grundstückseignern seien hingegen gern auch Sichtschutzzäune, Bepflanzungen aller Art und Bäume Anlass für Streitigkeiten.

„Jeder Fall braucht seinen eigenen Lösungsansatz, um die Streitparteien zu einer für beide Seiten akzeptablen Übereinkunft zu bewegen. Darin liegt für mich ein besonderer Reiz“, gesteht Jutta Werner, die sich im Vorjahr eigentlich zurückziehen wollte, aber mangels Nachfolger noch eine fünfte Wahlperiode in Angriff genommen hat.

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Neuer Stellvertreter ist seitdem Michael Kochinky. Der gebürtige Kieler, der seit 2006 in Bargteheide lebt, ist seit Februar dieses Jahres Rentner. „Ein ehemaliger Arbeitskollege ist in einer Nachbargemeinde Schiedsmann und hat mir davon erzählt. Da habe ich sofort gedacht, das könnte nach dem Ende meiner Berufstätigkeit auch was für mich sein“, so der 66-Jährige, der drei Jahre Jura studiert hat, dann aber aufs weite Feld der IT umschwenkte.

„Da ich jahrelang auch Betriebsrat war, habe ich ein ganz gutes Gespür dafür, wie ein Interessenausgleich gelingen kann“, glaubt Kochinky. Diese Fähigkeit will er an der Seite der erfahrenen Jutta Werner nun einbringen. Und konnte seinen ersten Fall bereits per Tür- und Angelgespräch ohne die Aufnahme eines Schlichtungsverfahrens lösen. Eine Kontaktaufnahme zu den beiden ist möglich per Mail an jutta.werner@schiedsfrau.de oder michael.kochinky@schiedsmann.de.