Hamfelde. Michael Funk und Hans Ripa hauchen früherem Edelrestaurant neues Leben ein. Welche Beziehung einer zum Hamburger Kiez hat.
Auf einer kleinen Anhöhe mitten in der Gemeinde Hamfelde auf der Grenze zwischen den Kreisen Stormarn und Herzogtum Lauenburg thront eine trutzige Mühle über dem Ort. Erbaut wurde die Galerie-Holländerin 1876 als Getreidemühle. Doch Korn wird hier schon seit Mitte der 1950er-Jahre nicht mehr gemahlen. Seit einigen Monaten wird unter den mächtigen Windrädern längst ein neues Kapitel in der bewegten Mühlengeschichte geschrieben: Jetzt ist sie eine Kaffeerösterei, in der unter anderem ein Dutzend Sorten der Marke St. Pauli Coffee entstehen.
„Für mich ist die Mühle ein wahrgewordener Traum“, sagt Röstmeister Hans Ripa. Nach einem äußerst bewegten (Berufs)Leben fühle sich der gebürtige Hamburger endlich angekommen und zu Hause. „Manchmal, wenn ich aus dem Fenster meiner kleinen Wohnung im Obergeschoss der Mühle über die Dächer der Hamfelder Häuser schaue, kann ich es selbst nicht glauben. Diese Chance bekommen zu haben, bedeutet mir unglaublich viel“, gesteht der 39-Jährige.
Schwierige Kindheit mit Schlägen und Misshandlungen
Aufgewachsen ist er in den Elbvororten als Sohn eines Vaters, der geprägt war durchs Milieu auf dem Kiez. „Während meiner Kindheit gehörten häusliche Gewalt und Misshandlungen durch meinen tyrannischen Vater zum Alltag“, erzählt Ripa. Das sei nicht ohne Auswirkungen auf seine Schullaufbahn geblieben, die er bereits nach der sechsten Klasse abgebrochen habe.
„Meine Großeltern Christa und Uwe waren in dieser Zeit ein wichtiger Anker, ein schützender Hafen für mich“, berichtet Ripa. Sie hätten sich gewünscht, dass er einen handwerklichen Beruf ergreift. Doch es kommt anders. Gelernt hat er schließlich Einzelhandelskaufmann in der Douglas-Filiale auf der Mö in Hamburgs City.
Ein außergewöhnlicher Geruchssinn als besondere Gabe
„Schnell wusste ich alles über die Parfüms von Dior, Armani und Chanel. Und ich wusste vor allem, welcher Duft am besten zu welcher Kundin passt“, erinnert sich Ripa. Sein Gespür erinnerte an Jean-Baptiste Grenouille, den Helden aus Patrick Süßkinds Bestseller „Das Parfum“. Auch Ripa verfügt über einen außergewöhnlichen Geruchs- und Geschmackssinn, die selbst kleinste Nuancen von Aromen nachspüren können.
Doch immer wieder eckt der zuweilen rebellisch auftretende Junge an. Vor allem das oft als ungerecht empfundene Verhalten von Vorgesetzten gegenüber Untergebenen führt zu handfesten Konflikten. So verliert er alsbald seine Stelle und versucht sich anschließend noch als Automobilhändler. Später arbeitet er dann unter anderem als Friedhofsgärtner, Türsteher, Grafikdesigner, Model und schließlich als Fotograf.
3000 Euro als Startkapital in ein neues Leben
Einer der Aufträge bringt ihn vor sechs Jahren mit Thomas Stehl, Geschäftsführer der Coffee Trading Stehl (CTS), einem der wichtigsten Kaffeeimporteure Hamburgs zusammen. Eigentlich soll er nur sieben mit verschiedenen Sorten gefüllte Kaffeetassen fotografieren. Dabei sinniert er aber über die Aromen, die er wahrnimmt und erregt so Stehls Aufmerksamkeit. „Aus dieser Gabe musst du doch was machen. Finde eine Nische, die zu dir passt“, fordert ihn Stehl auf und sichert ihm zugleich 3000 Euro Startkapital zu.
„Da war jemand, der an mich glaubt, das hat mich beeindruckt“, sagt Ripa. Bald schon zieht er durch die Röstereien seiner Heimatstadt und saugt alles auf, was man über die Herstellung von qualitativ hochwertigem Kaffee wissen muss. Er kreiert unter dem Label Hanskaffee erste eigene Sorten, aber auch sogenannte White Labels. Etwa für Eigenmarken der Drogeriekette Budnikowsky, die dort als „Rotzgöre“ und „Rasselbande“ in den Regalen stehen.
Schicksalhafte Begegnung mit Investor aus Dassendorf
Nur ein Jahr später, 2018, führt ihn die Geburtstagsfeier des Hamburger Multiunternehmers Ansgar Ellmer mit Michael Funk zusammen. Der gebürtige Essener managt mit seinem Vater Hans-Joachim die Kette My-Bed Appartements, die an sechs Standorten in den Hansestädten Hamburg, Lübeck, Wismar, Stralsund und Greifswald sowie in Schwarzenbek Häuser und Ferienwohnungen mit insgesamt 1400 Betten anbietet. Und überall finden sich in den Low-Budget-Unterkünften Vollautomaten mit hochwertigem Kaffee.
Weil es zu einer großen Nachfrage seitens der Gäste kommt, lässt der Unternehmer aus Dassendorf bereits seit Jahren ständig größere Mengen in einer Hamburger Rösterei herstellen. Nun hat er mit Hans Ripa einen Gleichgesinnten gefunden, der auch noch selbst Röstmeister ist. Eine klassische Win-win-Situation, wie beide schnell feststellen.
Kreationen tragen Namen wie Ludenkönig und Davidwache
In der Folge entwickeln sie unter der Marke St. Pauli Coffee rund ein Dutzend Sorten. Weil Funk ein eingefleischter Fan des FC St. Pauli ist und auf dem umkämpften Kaffeemarkt mit alteingesessenen Dynastien wie Darboven, Jacobs und Tchibo bestehen will, setzt er fürs Marketing auf die Zugkraft des Kiezes.
So tragen die Kreationen bezugsreiche Namen wie Ludenkönig, Domina Espresso (mit Handschellen als Schlüsselanhänger), Davidwache, Clochard, Viva La Diva und Muckefick (statt Muckefuck). Sogar der einstigen Kiezgröße Kalle Schwensen ist eine Sorte gewidmet, der starke Kalle’s Kaffee mit Tabak- und ausgeprägten Röstaromen.
Mit drei Sorten werden Hilfsorganisationen unterstützt
„Was unterdessen alle Sorten auszeichnet, ist eine langsame Röstung, die die Säuren im Kaffee auf ein Minimum reduzieren. Und der Einsatz fair getradeter Bohnen, für die die Erzeuger den Preis selbst bestimmen“, sagt Funk. Dessen Kaffeekonzept aber noch einen weiteren sozialen Aspekt auszeichnet.
„30 Prozent des Verkaufspreises der Sorten Clochard, Davidwache und Löschbohne gehen direkt und transparent an eine regionale Organisation, die der Käufer selbst bestimmen kann“, erklärt Funk. So fließen Erlöse an bekannte Hilfsorganisationen wie die Obdachlosenhilfen Alimaus und Bergedorfer Engel, den Weißen Ring, das Familienhilfswerk See You, den Bundesverband Frauen gegen Gewalt, den Verein Offroadkids, die Caritas, sowie an Freiwillige Feuerwehren. Zudem erhalten die Tafeln in Bergedorf, Trittau und Schwarzenbek mehrmals im Jahr Kaffeespenden zur freien Verwendung.
St. Pauli-Kaffee vor allem bei Souvenirjägern beliebt
Längst haben sich die Kaffeesorten mit Kiezlabel zum gefragten Geschenkartikel für Souvenirjäger entwickelt. Inzwischen ordert Funk rund 50 Tonnen Rohkaffee im Jahr. Und verstärkte seine Bemühungen um eine eigene Rösterei. Als in der Corona-Krise plötzlich die Hamfelder Mühle samt vorgelagertem Hotel zum Verkauf stehen, fackelt er nicht lang.
Wo der österreichische Gastronom Siegmund Leypold, der zuvor auch Küchendirektor des Elysée-Hotels und beim Norddeutschen Regattaverein in Hamburg war, viele Jahre alpenländische Spezialitäten wie steirische Erdäpfelsuppe, Kasnockerln mit echtem Steirerkas und Südtiroler Schlutzkrapfen servierte, röstet Hans Ripa jetzt Arabica- und Robusta-Bohnen aus Kolumbien, Brasilien, Peru und Indien.
Allein in die Röstmaschine 40.000 Euro investiert
Mindestens dreimal in der Woche steht er dann am Dutch Master Roaster. Das 40.000 Euro teure, mit Gas erhitzte Gerät gilt als Mercedes unter den Trommelröstmaschinen. „Sie ermöglicht eine besonders schonende Röstung und einen langen Kühlprozess, damit sich die Aromen meiner Mischungen völlig stressfrei entwickeln können“, erklärt Ripa.
Das tut auch ihm selbst gut, nach langen Jahren eines unsteten Lebens. Er liebe seinen ruhigen Job und das gedrosselte Tempo auf dem platten Land, sagt Ripa, dessen Vorfahren Seefahrer waren. Außerdem sorgt Freundin Joelina, eine 27 Jahre alte, angehende Erziehungswissenschaftlerin, mit der er bereits acht Jahre liiert ist, für mehr Kontinuität und Konstanz.
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„Jeder Mensch hat eine zweite, manchmal auch eine dritte Chance verdient“, ist Michael Funk überzeugt. Jeder biege mal falsch ab. Wichtig sei doch aber, wieder in die richtige Spur zu finden. „Ich bin froh, dass wir einander als Partner und Freunde gefunden haben und den Standort Hamfelder Mühle gemeinsam entwickeln können“, so Funk. Der nächste Schritt soll Anfang März nächsten Jahres folgen mit der Eröffnung eines Cafés im Mühlenanbau.
Wer mehr über das neue Mühlenprojekt und seine sozialen Produkte erfahren will, sollte am kommenden Freitag und Sonnabend, 22. und 23. Dezember, jeweils zwischen 11 und 18 Uhr beim Mühlen-Weihnachtsmarkt vorbeischauen. Dort gibt es Glühwein, Waffeln, Stollen, Bratwurst und verschiedene Eintöpfe. Und natürlich viel Kaffee mit viel Aroma.