Trittau. Kreisarchiv Stormarn zeigt historische Kriminalfälle, wie den über eine selbst ernannte Heilerin, an deren Fähigkeiten viele glaubten.
Nächtliche Friedhofsbesuche, zwei reiche, von „Schweinsbeulen“ und Koliken geplagte Bauern, ein Hexenbann, ein Tischlermeister mit Gürtelrose, magische Sprüche und fragwürdige Heilpraktiken: Das sind nur einige Zutaten zu einem kuriosen Kriminalfall, der sich Mitte der 1950er-Jahre im Kreis Stormarn zugetragen hat und als Trittauer Hexenprozess in die Geschichte eingegangen ist.
Kreisarchivar Stefan Watzlawzik hat alle im Kreisarchiv Stormarn verfügbaren Unterlagen zu diesem Fall und weiteren spektakulären Verbrechen zusammengetragen. Sie sollen der Öffentlichkeit nach und nach präsentiert werden. Watzlawzik sagt: „Wir werden bei dieser Serie auf insgesamt sechs oder sieben Teile kommen.“ Die ausgewählten Kriminalfälle müssten bestimmte Kriterien erfüllen. „Sie zeigen einen gesellschaftlichen Wandel auf, sind spektakulär und thematisch breit gestreut. Beim Material achten wir darauf, dass es Bilder dazu gibt.“
Hexenbeschwörung auf Friedhof soll Krebserkrankte heilen
Beim Trittauer Hexenprozess stammen die Informationen aus verschiedenen Zeitungsartikeln der damaligen Zeit. Der Fall der selbst ernannten Heilerin Martha Demuth, der im April 1956 vor dem Amtsgericht Trittau verhandelt wurde, sorgte für besonderes Aufsehen. Nicht zuletzt deshalb, weil etliche Zeugen von der Heilkunst der „weisen Frau“ überzeugt waren. Die Anklage lautete auf unerlaubte Ausübung des Heilgewerbes in mehreren Fällen.
So hatte die 62 Jahre alte Rentnerin Demuth eine unheilbar an Krebs erkrankte Frau aus Kuddewörde nachts auf den Friedhof gelotst, um sie dort mit einem magischen Ritual von einem angeblichen Hexenbann zu befreien. Das Prozedere, bei dem die Kranke einen Nagel in eine Eiche schlagen sollte, soll sie nach Angaben eines Gerichtsreporters mit dem Zauberspruch: „Wenn man Böses dir getan, nagele es an die Eiche an!“ begleitet haben. Die Krebskranke konnte nicht als Zeugin vor Gericht aussagen, denn zum Zeitpunkt der Gerichtsverhandlung war sie bereits tot. Offensichtlich hatte der Zauber nicht die erwünschte Wirkung gebracht.
Aberglaube an übersinnliche Kräfte war weit verbreitet
Doch in anderen Fällen sollen Demuths Praktiken geholfen haben. Zumindest nach Angaben einiger Zeugen. Vor allem durch das sogenannte Besprechen, ein Ritual, das auf die suggestive Wirkung von Sprüchen setzt, die für ein Verschwinden der Beschwerden sorgen sollen.
Vor Gericht berichtete ein Tischlermeister, dass seine Gürtelrose nach dem Besprechen abgeklungen sei. „Ich bin nur durch die Kunst dieser Frau geheilt“, wird er von einem Reporter zitiert. Ein Bauer zeigte sich überzeugt, dass Demuth im das Leben durch Besprechen seiner Koliken gerettet habe. Ein anderer Landwirt sagte aus, dass sie ihm „Schweinsbeulen“, gemeint waren vermutlich Furunkel, entfernt habe. Dazu habe sie am offenen Herdfeuer folgende Worte gesprochen: „Hier nehme ich sie weg und werfe sie hin, wo keine Sonne und kein Mond hinkommt.“ Laut Archivmaterial war nur ein Zeuge dabei, bei dem die Behandlung nicht anschlagen hat. Ihn soll sie zuvor allerdings auch als Hexer bezeichnet haben. Sie selbst gab zu Protokoll: „Mir ist kein Fall bekannt, dass meine Kunst versagt hat.“
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Es war Teil des Aberglaubens jener Zeit, dass man für die Konsultation und die Dienste eines Wunderheilers kein Geld bezahlen durfte, weil die Heilung sonst nicht wirke. So erfolgte die Bezahlung meist derart, dass die Kundschaft hernach unbeobachtet Geldstücke oder Naturalien auf Demuths Küchentisch deponierte.
Verzögerung wichtiger ärztlicher Behandlungen befürchtet
Der deutsche Hexenforscher Johann Kruse, der dem unter der Landbevölkerung weit verbreiteten Hexenglauben ein Ende bereiten wollte, verfolgte den Prozess vor Ort. Er beobachtete zur damaligen Zeit viele Verhandlungen gegen so genannte „Hexenbanner“, „weise Frauen“ und Heiler und in denen Menschen gegen ihre Diffamierung als Hexen klagten. Der Leiter des Hamburger Archivs zur Bekämpfung des neuzeitlichen Hexenwahns übergab sein Archiv 1978 dem Hamburger Museum für Völkerkunde.
Für die Angeklagte endete das Verfahren mit einem Schuldspruch und einer empfindlichen Geldstrafe von 36 Mark. Der Richter belehrte Demuth, dass sie noch Glück gehabt habe, weil sie der Krebskranken nicht von einem Arztbesuch abgeraten hätte. Denn sonst hätte sie wegen eines Tötungsdelikts angeklagt werden können.
In seiner Urteilsbegründung betonte er nach Angaben des Zeitungschronisten die Gefahr, die von einem Besprechen von Krankheiten ausgehe, weil es dadurch zur Verzögerung einer ärztlichen Behandlung schwerer Krankheiten kommen könne, „bis es zu spät ist“.