Bad Oldesloe. Warum das Unternehmen plötzlich doch Lärmschutzwände im „Niemandsland“ plant. Bund will 43,6 Millionen Euro investieren.
„Ja, is‘ denn heut’ schon Weihnachten?“, fragte Deutschlands Fußball-Kaiser Franz Beckenbauer dereinst in einem bekannten Werbespot. Das dürften auch etliche Kreistagsabgeordnete und Vertreter von Städten und Gemeinden an der Bahntrasse Hamburg – Lübeck in der jüngsten Sitzung des Verkehrsausschusses gedacht haben. Denn dort verkündeten zwei Vertreter der Deutschen Bahn, dass es nun doch zusätzlichen Lärmschutz auf dem 28 Kilometer langen Abschnitt zwischen Delingsdorf und Reinfeld geben wird. „Das hätte ich im Traum nicht gedacht, ich bin unglaublich froh und erleichtert“, sagte die Ausschussvorsitzende Gesa Dunkelgut (CDU) sichtbar ergriffen.
Die überraschende Mitteilung der Deutschen Bahn kommt tatsächlich einer Kehrtwende gleich. Jahrelang hatte das Unternehmen erweitertem Lärmschutz an der Haupttrasse von der Festen Fehmarnbeltquerung gen Süden eine klare Absage erteilt. Zu übergesetzlichem Lärmschutz sei man nicht bereit, weil es zwischen 2013 und 2017 bereits freiwillige Maßnahmen auf dem Streckenabschnitt gegeben habe.
Auf 4,7 Kilometern stehen bereits Schallschutzwände
Tatsächlich waren in den Städten Ahrensburg, Bargteheide, Bad Oldesloe und Reinfeld 2013 und 2014 insgesamt 4,7 Kilometer Schallschutzwände von zwei bis drei Metern Höhe errichtet worden. Zwischen 2015 und 2017 wurden zudem 433 Wohneinheiten mit speziellen Schallschutzfenstern ausgestattet (passive Maßnahmen).
„Damit galten wir aus Sicht der Bahn als saniert, was aber in der Kreispolitik, in der Kreisverwaltung und in den Kommunen als völlig unzureichend bewertet wurde“, so Dunkelgut. In einem gemeinsamen Schulterschluss sei es dann gelungen, den Druck auf die Bahn zu erhöhen, um sie zu einem Umdenken und -lenken zu veranlassen.
Jetzt gelten die gleichen Grenzwerte wie für Straßen
Laut Bahn-Sprecher Peter Mantik habe der besagte Streckenabschnitt in Stormarn gewissermaßen im „Niemandsland“ zwischen den beiden Großprojekten Erweiterung der S 4 bis Ahrensburg-Gartenholz im Süden und des Ausbaus der Fehmarnbelt-Trasse nördlich von Lübeck gelegen. Da es in diesem Abschnitt aber zu keiner Gleiserweiterung komme, habe es für ihn auch keine erhöhte Handlungspriorität gegeben.
Dass dies inzwischen gänzlich anders bewertet wird, dürfte vor allem der Tatsache geschuldet sein, dass der Bund Anfang dieses Jahres die Auslösewerte für die Notwendigkeit von Schallschutzmaßnahmen an Bahntrassen abgesenkt hat. „Jahrzehntelang lagen deren Anhaltswerte deutlich über denen an Straßen und Einflugschneisen“, erklärt die Schallschutzexpertin der Bahn, Janine Korczak. Dabei sei längst erwiesen, dass Bahnlärm für Anrainer deutlich belastender ist, als Straßenlärm für Stadtbewohner.
Überschreitungen an 1221 Gebäuden gemessen
Dennoch genoss die Bahn noch bis Anfang 2015 den sogenannten Schienenbonus von fünf Dezibel und durfte diesen Wert von den tatsächlich gemessenen Lärmpegeln abziehen, bevor Schutzmaßnahmen fällig wurden. Mit der Senkung um weitere drei Dezibel gelten für Bahntrassen inzwischen die gleichen Anhaltswerte, wie für Straßen: 64 Dezibel am Tag und 54 in der Nacht.
„Wegen der neuen Vorgaben durch den Bund muss das Schallgutachten aus dem Vorjahr nun überarbeitet und angepasst werden“, sagt Korczak. Ersten Schätzungen zufolge komme es zwischen Delingsdorf und Reinfeld an 1221 Gebäuden zu einer Überschreitung der neuen Anhaltswerte, weil hier vielfach Pegel zwischen 70 und 75 Dezibel gemessen worden sind.
186 bis 326 Züge innerhalb eines Tages prognostiziert
Deshalb ist die Bahn nunmehr verpflichtet, weitergehende Lärmschutzmaßnahmen umzusetzen. Und zwar nicht erst in 20 oder 30 Jahren, sondern noch in dieser Dekade. „Der Bund hat anerkannt, dass durch die Hinterlandanbindung der Festen Fehmarnbeltquerung die Belastung auf der gesamten Strecke Hamburg – Lübeck erheblich zunehmen wird“, so Mantik. Und Stormarn liege nun mal im Herzen eines Korridors, in dem es absehbar deutlich höher frequentierte Verkehrsströme im Vergleich zu heute geben werde.
Jüngsten Prognosen der Bahn zufolge werden bis 2030 je nach Streckenabschnitt zwischen 186 und 326 Züge innerhalb von 24 Stunden verkehren. Davon entfallen bis zu 94 Züge auf den Güterverkehr mit einer maximalen Zuglänge von 835 Metern. Für Ahrensburg-Gartenholz bedeutet das aufgesplittet und beispielhaft 94 Güterzüge, 24 Fernverkehrszüge, 74 Nahverkehrszüge und 134 S-Bahnen pro Tag.
Schutzmaßnahmen auf einer Länge von zwölf Kilometern
Aus diesem Grund wird es auf einer Länge von zwölf Kilometern zwischen Delingsdorf und Reinfeld voraussichtlich Schutzmaßnahmen wie etwa zwei bis vier Meter hohe Lärmschutzwände und passiven Schallschutz an besonders von Lärm betroffenen Gebäuden geben. Insbesondere in Abschnitten mit einer hohen Siedlungsdichte wie in Bargteheide, Bad Oldesloe und Reinfeld, die von der Bahntrasse durchschnitten werden.
„Die gute Nachricht ist, dass der aktive Lärmschutz komplett vom Bund übernommen wird“, so Bahn-Sprecher Peter Mantik. Beim passiven seien es immerhin noch 75 Prozent. Hier bedürfe es Co-Finanzierungen durch das Land. Ersten Prognosen zufolge rechnet die Bahn mit Investitionskosten zwischen 43,6 Millionen Euro. Bei Umsetzung eines Maximalschutzes müssten voraussichtlich 63,1 Millionen Euro aufgebracht werden.
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Reinfelds Bürgermeister Roald Wramp sieht den Lärmschutz an der Bahntrasse Hamburg – Lübeck jetzt auf einem guten Weg. „Wir stehen mit der Bahn wegen unserer problematischen Übergänge ohnehin in engem Austausch und werden unsere Projekte im Umfeld der Trasse mit den Planungen der Bahn abstimmen und koordinieren“, so Wramp.
Nicole Burmeister, die Bürgermeisterin von Delingsdorf, hofft, dass nun auch die zweite Hälfte des Dorfes und insbesondere das hier befindliche Abstellgleis kritisch betrachtet wird. „Da herrscht ab früh um vier Uhr Rangierbetrieb, deshalb muss es auch dort Lärmschutzmaßnahmen geben“, fordert Burmeister. Es sei schon kurios, dass die Planungen der Bahn bislang auf halber Strecke durchs Dorf endeten.