Oststeinbek. Am 30. Oktober 1944 zerschellt ein US-Bomber in der Oststeinbeker Feldmark. Hobby-Historiker kennen jetzt Details des Unglücks.

Es müssen dramatische Szenen gewesen sein, die sich am 30. Oktober 1944 an Bord eines amerikanischen B-24-Bombers über Oststeinbek abgespielt haben, dessen Pilot bis zuletzt versuchte, die Maschine wieder unter Kontrolle zu bringen. Was allerdings misslang. Das Flugzeug zerschellte in der Feldmark. Alle acht Insassen kamen ums Leben. Bislang waren Nationalität, Auftrag und die Umstände des Unglücks unbekannt. Der frühere ehrenamtliche Gemeindearchivar Karlheinz Schmidt (83) und Julián Péter (31) haben jetzt die Wahrheit herausgefunden und das Rätsel gelöst. Dafür haben die Hobby-Historiker mit Zeitzeugen gesprochen und zahlreiche Dokumente studiert.

Es war wie ein Puzzle, um Gewissheit über das Geschehene zu erlangen. In den Jahren 2001 bis 2004 sprach Schmidt bereits mit Menschen, die während des Zweiten Weltkriegs in Oststeinbek gelebt hatten. „Die Aussagen stimmten nicht ganz überein, dennoch standen sie im logischen Zusammenhang“, sagt der Rentner. Unter anderem wurde ihm von dem Versuch einer Notlandung erzählt, mehrere Tote seien mit Wolldecken zugedeckt gewesen, wobei die Stiefel herausgeragt hätten – und es soll während der Mittagszeit passiert sein. Das genaue Datum konnte nicht übermittelt werden, allerdings waren die Felder bereits abgeerntet.

Forscher aus den USA lieferten Dokumente

Die B-24 Liberator war das meistgebaute US-Flugzeug im Zweiten Weltkrieg.
Die B-24 Liberator war das meistgebaute US-Flugzeug im Zweiten Weltkrieg. © Morrison

Im vergangenen Jahr kam Schmidt in Kontakt mit Julián Péter, ein Slowake, der seit 2014 in Hamburg lebt und Angestellter in der Schifffahrtsbranche ist. Dessen Vater war früher Pilot bei der Luftwaffe. „Er hatte Bücher über Kampfflugzeuge, die ich schon als Kind gelesen habe. Das hat mein Interesse für Kriegsgeschichte geweckt.“

Als Basiswissen hatte er die Gesprächsprotokolle von Schmidt mit den Zeitzeugen, konnte daraus wichtige Erkenntnisse ziehen. So war klar, wo er ansetzen musste bei der Recherche. Laut Péter sind die Einsätze der amerikanischen Bomber tagsüber gewesen, jene der britischen nachts. Der junge Mann suchte nach Listen von abgestürzten Flugzeugen im Internet. Er sagt: „Heute ist alles protokolliert und öffentlich zugänglich.“ Der Hobby-Historiker hielt sich in Foren auf, steuerte spezielle Webseiten an, für die er zahlen musste. Darüber lernte er Forscher aus den USA kennen, die ihn mit Dokumenten versorgten. Nach und nach fügten sich die Mosaikteile zusammen. Der Aufwand war enorm. Nach sechs Wochen intensiver Arbeit konnte Péter lückenlos rekonstruieren, was sich damals ereignet hatte.

Der B-24-Bomber mit dem Namen BAR’T und der Seriennummer 44-10523 ist Teil der 693. Mission der achten US-Luftwaffe über Europa. Ein Angriff mit Dutzenden solcher Maschinen hat Ölwerke in Hamburg als Ziel. Start der Flotte an jenem Tag ist in der Grafschaft Norfolk im Osten Englands. Die Bomben werden gegen 13 Uhr abgeworfen. Danach gerät das Flugzeug in eine dichte Wetterfront, die Sicht für den Piloten Clifford J. Bentcliff aus Chicago ist gleich Null. In einer Wolke kann er den Abstand zu einem anderen Bomber nicht halten und verliert die Kontrolle.

Drei der elf Besatzungsmitglieder springen mit dem Fallschirm ab, können sich retten. Einer von ihnen ist Sergeant Clint Fuller aus Arkansas. Er gibt später zu Protokoll: „Die Suppe war so dick, dass wir mit den Instrumenten fliegen mussten. Irgendwer flog quer vor uns. Das Flugzeug wurde erst mal auf den Rücken gedreht und sank der Erde entgegen aus annähernd 28.000 Fuß.“ Das Schriftstück mit den genauen Angaben liegt Péter vor.

Tote Soldaten wurden auch in Belgien beigesetzt

Daraus geht auch hervor, dass der Funker in Schockstarre gewesen ist und nicht abspringen wollte. Der Mann hieß Gene E. Maschmeyer. „Ich musste über ihn klettern, um zum Laufsteg im Bombenschacht zu gelangen“, so ein Überlebender. Bentcliff und sein Co-Pilot Charles L. Gempel werfen die restlichen Bomben ab, als sich ihr Flugzeug in der sogenannten Todesspirale befindet. „Aber nur, um uns von ihnen zu befreien. Wir sahen keine Kampfflugzeuge oder Flak“, schildert ein Besatzungsmitglied seine Erinnerungen.

Die letzten Momente müssen sich so abgespielt haben: Die Piloten steuern das Flugzeug tief über Dächer von Häusern, haben noch Hoffnung auf eine Bruchlandung. Doch es fehlt an Höhe, die Maschine ist zu schnell. Dann der Aufprall in der Nähe von Gut Domhorst. So schilderten es mehrere Oststeinbeker. An der Absturzstelle stehen heute Häuser.

Laut Schmidt wurden einige Tote nach dem Krieg in die USA überführt, andere auf dem amerikanischen Ardennen-Friedhof bei Lüttich in Belgien beigesetzt. Er sagt: „Die Piloten haben das Flugzeug noch über die Häuser gelenkt und somit eine Katastrophe verhindert. Oststeinbek hat Grund, sich an diese Flieger in Dankbarkeit zu erinnern.“ Ihre Geschichte gehöre in das Totenbuch der beiden Weltkriege für Oststeinbek und Havighorst. Dieses befindet sich in der Kirche an der Stormarnstraße und ist für alle einsehbar. Schmidt selbst hat es angelegt.

Der Volljurist lebt seit 1973 in der 9000-Einwohner-Gemeinde und war von 2000 bis 2006 deren Archivar. Die Vergangenheit Oststeinbeks arbeitet er aber weiterhin auf. Im vergangenen Jahr hat er eine Zeittafel auf Vordermann gebracht – ein chronologisch geordnetes Gerüst von historischen Daten und Geschehnissen, die ortprägend waren. Einen Aufsatz über den Bomber-Absturz will er im Jahrbuch des Heimatbunds Stormarn veröffentlichen.