Trittau. Keine “weißen Flecken“ mehr im Zusammenhang mit Drogenkonsum. Zwei Insider berichten, wie und wo die Geschäfte laufen.
Der 12. Februar dieses Jahres gilt als historisches Datum im Kampf gegen die organisierte Drogenkriminalität. An diesem Tag konnten Zollfahnder im Hamburger Hafen 16 Tonnen hochreines Kokain mit einem Straßenverkaufswert von bis zu vier Milliarden Euro sicherstellen. Es war die größte Menge, die in Europa jemals konfisziert wurde. Ein Frachter aus Paraguay hatte die brisante Fracht in drei Containern nach Deutschland gebracht. Deklariert waren die 1700 Blechdosen als Spachtelmasse.
Drogenschmuggel ist „gigantisches Sicherheitsproblem“
Man sei in Hamburg ja einiges gewohnt, sagte René Matschke, Leiter des Zollfahndungsamtes Hamburg, seinerzeit dem NDR. Der Fund stelle aber alles bislang Dagewesene in den Schatten und sei deshalb ein außergewöhnlicher Ermittlungserfolg.
Als „großen Weckruf“ bezeichnete den Coup hingegen Sebastian Fiedler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter. Der Drogenschmuggel bedeute vor allem ein „gigantisches Sicherheitsproblem“, weil die enormen Gewinne in neue Straftaten und nicht zuletzt die legale Wirtschaft flössen. Es müsse jetzt breit diskutiert werden, ob man mit der aktuellen Drogenpolitik gut aufgestellt sei und was man der Drogenkriminalität entgegenstellen könne, so Fiedler.
2020 wurden in Stormarn 729 Drogendelikte aktenkundig
Seit Jahren steigt landesweit die Zahl der Konsumenten, auch in Stormarn. Die Hintermänner aus der Metropole Hamburg haben ihr feinmaschiges Netz bis weit in die angrenzenden Kreise geworfen. Wurden 2016 von Reinfeld bis Reinbek noch 624 Betäubungsmittel-Delikte aktenkundig, so stieg die Zahl 2020 auf den neuen Höchststand von 729. Wobei diese Zahl nicht annähernd den tatsächlichen Konsum widerspiegelt. Die Dunkelziffer liegt um ein Vielfaches darüber, sind sich alle Fachleute einig.
„In die Statistik fließen nur jene Fälle ein, in denen Konsum und Handel unmittelbar wahrgenommen und zur Anzeige gebracht werden“, sagt Ralf Lorenzen, Leiter der Kriminalpolizei in Ahrensburg. Das erklärt wohl auch die trügerische Aufklärungsrate von nachgerade schmeichelhaften 94,8 Prozent im vergangenen Jahr.
Drogenkonsum: Im Kreis gibt es keine „weißen Flecken“ mehr
Inzwischen gibt es laut Lorenzen in Sachen Drogenkonsum de facto keine „weißen Flecken“ im Kreis mehr. „Er findet flächendeckend statt und immer öfter auch in der Öffentlichkeit“, so der Kripo-Chef. Als Schwerpunkte gelten nach wie vor die beiden Städte Bad Oldesloe und Ahrensburg, in denen im Vorjahr mit 139 und 107 die meisten Fälle registriert worden sind. Die höchsten Zuwächse entfielen derweil auf Bargteheide (81) und Glinde (43) mit einem Plus von je 20 Fällen.
Dass die Ahndung des weit verbreiteten Drogenmissbrauchs vergleichsweise gering ausfällt, mag auch an den personellen Ressourcen liegen. An den fünf Standorten der Direktion Ratzeburg mit kriminalpolizeilichen Abteilungen, von denen mit Bad Oldesloe, Ahrensburg und Reinbek drei im Kreis Stormarn liegen, ist jeweils nur ein Drogensachbearbeiter tätig. Und viel mehr als Kontrollen im Rahmen ihrer Streifentätigkeit vermögen die Beamten in den einzelnen Revieren vor Ort kaum zu leisten.
Mangelnde soziale Kontrolle und fehlende Zivilcourage
So bleiben große Erfolge, wie etwa das Aufspüren von Marihuana-Plantagen oder das Unterbinden des Handels, eher die Ausnahme. „Das hängt aber auch mit mangelnder sozialer Kontrolle und fehlender Zivilcourage zusammen“, moniert Lorenzen. „Würden die Bürger ihre Beobachtungen mit unseren Kollegen öfter teilen, könnten sie mit Sicherheit erfolgreicher operieren und mehr bewirken.“
Zu einem Hotspot beim Drogenhandel hat sich über die Jahre Trittau entwickelt. Die Kommune lag lange Zeit unter dem Radar und kommt wegen ihrer Größe und ihren knapp 9000 Einwohnern in der jährlichen Kriminalstatistik nicht einmal vor. Angesichts von nicht einmal 30 Fällen pro Jahr gilt die Hauptgemeinde des gleichnamigen Amtes laut zuständiger Polizeidirektion als „kein bekannter Treffpunkt der Drogenszene“.
Sogar das Tiernarkosemittel Ketamin wird geliefert
Das sieht Timo K. (Name geändert) gänzlich anders. „Wenn es an jeder zweiten Ecke nach Gras riecht, kann man wohl schon von einer offenen Drogenszene sprechen, sagt der junge Mann, der viele Jahre selbst Betäubungsmittel aller Art konsumiert hat. Schlimmer noch sei aber die Tatsache, dass in Trittau faktisch alles geordert werden könne, das der Markt hergebe: „Marihuana, Kokain, Heroin, LSD, Partydrogen wie Angel Dust, Crystal Meth, Speed und Ecstasy. Ja sogar Ketamin, das eigentlich als Narkosemittel für die Tiermedizin entwickelt worden ist“, so Timo K.
Als Zwölfjähriger sei er erstmals mit Drogen in Kontakt gekommen. Im Alter von 15 Jahren habe er dann regelmäßig gekifft, mit 16 erstmals zu härteren Sachen gegriffen. Von da bis zur Beschaffungskriminalität sei es nur ein kleiner Schritt gewesen. „Ich habe in Geschäften Dinge mitgehen lassen, die sich leicht zu Geld machen ließen, habe anderen Jugendlichen Handys und Lautsprecher abgenommen. Und irgendwann habe ich sogar angefangen, meine Eltern zu bestehlen“, erinnert er sich.
Mehr als 80.000 Euro in Drogen investiert
Angesichts seines regelmäßigen Drogenkonsums war das Abrutschen in die Abhängigkeit geradezu folgerichtig. Es sei ein Teufelskreis gewesen, in dem er über die Jahre mehr als 80.000 Euro in Betäubungsmittel aller Art investierte. Bis sein Körper zunehmend gestreikt habe. Und ihn sich verstärkende Depressionen fast in den Suizid getrieben hätten. Dann holte er sich Hilfe und überwand seine Drogensucht.
In Trittau an Drogen zu kommen, sei schon vor zehn Jahren überhaupt kein Problem gewesen. Das bestätigt auch Frank Z. (Name geändert) „Zeitweise liefen die Deals sogar in der Schule ab“, berichtet er. Längst gebe es einschlägig bekannte Orte für den Handel wie den kleinen Park vor dem Friedhof, den Mühlenteich, den Schützenplatz oder die Waldstraße unweit des Bahnhofs.
Drei Dealer teilen sich das lokale Drogengeschäft
Inzwischen hätten mindestens drei Dealer das lokale Drogengeschäft weitgehend unter sich aufgeteilt. Sie würden regelmäßig kleinere Chargen an Unterhändler, so genannte Läufer, weitergeben, die die Bestellungen dann ausliefern. Geordert werde in der Regel per Smartphone und unter Verwendung bestimmter Codes. „Etwa von ganz gewöhnlichen Imbissbegriffen: Ein Döner sind ein Gramm für zehn Euro, Pomdöner fünf Gramm, und ein Dönerteller zehn Gramm“, erzählt Frank Z.
Vor allem in der Altersgruppe der 18- bis 25-Jährigen hat der Drogenkonsum deutlich zugenommen, sagt die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig (CSU). In jedem Fall ist der Beratungs- und Betreuungsbedarf von Betroffenen in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen, so die leitenden Suchtberater Jörg Rönnau von der Therapiehilfe in Ahrensburg und Jan Oelkers, Bereichsleiter bei der Sucht- und Drogenberatung Südstormarn.
„Drogentaxis“ bringen den Stoff bis ins letzte Dorf
„Trotz vielfältiger Präventionsmaßnahmen an den Schulen gibt es in Trittau, aber auch in Reinbek und Glinde, einen florierenden Handel mit Cannabis, Kokain und Amphetaminen. Die Drogentaxis liefern die Drogen bis zur letzten Haustür in den Dörfern“, weiß Oelkers, der seit 25 Jahren in der Suchtberatung unterwegs ist. In diesem Jahr rechnet er coronabedingt sogar noch mit einem weiteren Anstieg der Zahlen.
Trittaus Bürgermeister Oliver Mesch sieht im steigenden Drogenkonsum ein gesellschaftliches Problem, vor dem selbst eine kleine Gemeinde wie Trittau nicht gefeit sei. „Wir können unsere Jugend aber nur schützen, wenn wir nicht wegschauen“, ist er überzeugt.
Hier bekommen Suchtgefährdete Hilfe
Nach Informationen der Therapiehilfe-Beratungsstelle in Ahrensburg ist die Zahl der Hilfesuchenden seit 2000 von 499 auf 799 im Vorjahr gestiegen. Die Beratungsstelle mit Sitz in der Großen Straße 14 betreut vorrangig Betroffene in der Mitte und im Norden Stormarns.
Mit 57 Prozent entfiel das Gros der Beratenen auf den Missbrauchsbereich Alkohol. Etwa 28 Prozent nahmen Angebote im Bereich der Drogenhilfe in Anspruch. „Jede Ratsuchende und jeder Ratsuchender erhält zeitnah ein Beratungsgespräch“, sagt Suchttherapeut Jörg Rönnau. Telefonkontakt in Ahrensburg und Bargteheide: 04102/302 51. In Oldesloe: 04531/18 90 60.
Für die Suchtberatung im Süden Stormarns, Telefon 040/72738450, zeichnet die Südstormarner Vereinigung für Sozialarbeit (SVS) verantwortlich. Sie beriet im Vorjahr rund 330 Betroffene. Im ersten Halbjahr dieses Jahres waren es bereits 220. Das Büro in Trittau befindet sich in der Heinrich-Hertz-Straße 10a.