Glinde. Glindes Verwaltung plant Armutsbericht mit vielen Daten. Diese sollen Grundlage für Aktionen sein. Es gibt bereits Ideen.
„Kleinteilig in die Sozialräume schauen, also einen gezielten Überblick in den Quartieren erhalten und dann Maßnahmen ableiten.“ Das sagt Glindes Bürgermeister Rainhard Zug und drückt damit zugleich aus, was er sich von einem Armutsbericht für seine Stadt erhofft. Den möchte die Verwaltung auf Initiative der Gleichstellungsbeauftragten Kerstin Schoneboom anfertigen. Und die Chancen stehen nicht schlecht. Der Rathauschef prüft jetzt, wie und zu welchen Kosten das geschehen kann. Den Auftrag erteilte ihm der Sozialausschuss auf seiner jüngsten Sitzung. Mitglieder von Parteien bekräftigten gegenüber dieser Redaktion, dass die stärkere Bekämpfung der Armut zwingend nötig ist.
Dazu gehört zum Beispiel Barbara Bednarz. Die FDP-Politikerin sagt: „Ein Armutsbericht ist sehr wichtig. Aber eine umfassende Statistik macht nur Sinn, wenn wir daraus unsere Schlüsse ziehen und eingreifen.“ Der 71-Jährigen liegt das Thema besonders am Herzen. Sie engagiert sich vielfältig in der rund 19.000 Einwohner zählenden Kommune, hat zahlreiche Ehrenämter. Mit ihrem Mann organisiert sie ein Leihoma-Projekt, ist Initiatorin der Suppenküche, die an jedem letzten Freitag eines Monats im Bürgerhaus Gratis-Essen an Menschen mit finanziell beschränkten Möglichkeiten jeglichen Alters ausgibt. Zudem ist die Liberale im Sozialverband und im Frauenforum aktiv.
230 Personen stehen auf Liste für eine Sozialwohnung
Durch ihre Tätigkeiten habe sie Kontakt zu vielen Menschen, die mit wenig Geld auskommen müssten. Ihre Wahrnehmung beschreibt sie so: „Die Armut wird mehr, gerade bei den Älteren.“ In der Stadt leben auch viele hilfsbedürftige Jungen und Mädchen. Dazu veröffentlicht der Kinderschutzbund Stormarn jedes Jahr eine Statistik. Zuletzt erschien sie im September 2020: Traurige Spitzenreiter unter den Kommunen im Kreis sind demnach Bad Oldesloe und Glinde, wo jeweils 41 Prozent der Kinder von Hartz-IV-Leistungen leben.
Der Bedarf an Unterstützung ist groß, was sich auch im Wohnungssegment widerspiegelt. Im Rathaus gibt es eine Liste mit rund 230 Personen, die eine öffentlich geförderte Bleibe suchen. Bis vor Kurzem waren es sogar 300. Das bedeutet nicht, dass inzwischen 70 Menschen in Glinde fündig geworden sind. Die Mehrzahl hat sich aus Verzweiflung wohl streichen lassen oder anderenorts eine bezahlbare Wohnung gemietet. Nicht zu vergessen die beliebte Tafel. In Spitzenzeiten stehen dort bis zu 150 Menschen.
Dass die Verwaltung Armut nicht in ihrer ganzen Komplexität mit Zahlen abbilden kann, hat mehrere Gründe. Im Rathaus sind lediglich solche Personen erfasst, die Grundsicherung bekommen. Bürger, die beim Jobcenter registriert und vermittlungsfähig sind, bleiben außen vor. Zug will auch jene in den Bericht aufführen, die keine Transferleistungen beziehen, aber von Armut bedroht sind oder bereits darin leben. Gerade bei der älteren Generation ist die Hemmschwelle, zum Amt zu gehen, hoch.
Bürgermeister würde gerne Stiftung mit einbinden
„Das ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Es geht um eine langfristige Strategie“, sagt der Bürgermeister über seine Ziele. Vereine, Verbände und Politik – alle müssten eingebunden werden. Zug: „Womöglich kommt man dann zum Schluss, einen Quartiersmanager einzustellen.“ Zusätzliches Personal könnte sich auch die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Marlies Kröpke vorstellen und nennt als Beispiel einen Streetworker. Die 69-Jährige ist Mitglied im Gemeinderat der evangelischen Kirche, hat während der Corona-Pandemie Gutscheine verteilt. „Ich kenne Familien, wo beide Elternteile ihren Job verloren haben. Ein Kind hat mich an der Bluse gezupft und erzählt, ihr Hund müsse auch noch satt werden.“ Das habe sie berührt und traurig gemacht. „Wir müssen uns besser aufstellen, können mehr Hilfe anbieten“, so die Sozialdemokratin.
Zug würde die Anfertigung des Armutsberichts gerne auf mehrere Schultern verteilen, Schoneboom, die Stadtjugendpflege sowie die Sönke-Nissen-Park-Stiftung einbinden. Eine externe Firma damit zu beauftragen, ist eine weitere Option.
Nachbar Reinbek ist einen Schritt weiter. Die Stadt präsentierte 2020 einen Armutsbericht. Das Ergebnis: 31 Prozent der Haushalte liegen unter der Einkommensgrenze von 25.000 Euro pro Jahr, gelten somit als arm. Fraktionen, Wohlfahrtsverbände und zahlreiche Ehrenamtler waren involviert. Die Leitung hatte eine Politologin. Die wissenschaftliche Arbeit finanzierte das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Die Weltgesundheitsorganisation WHO bezeichnet denjenigen als arm, der monatlich weniger als die Hälfte des Durchschnittseinkommens seines Landes zur Verfügung hat.