Ahrensburg. Ahrensburg signiert Resolution an Bildungsministerin. Kosten für Schulsozialarbeit haben sich seit 2011 mehr als verdoppelt.

Leistungsdruck, Mobbing, Streit mit den Eltern – die Probleme, mit denen Jungen und Mädchen zu Anna Lincoln kommen, sind vielfältig. „Oft benötigen sie jemanden außerhalb der Familie und des Freundeskreises, mit dem sie ihre Sorgen besprechen können“, sagt sie. Die Sozialpädagogin ist Schulsozialarbeiterin am Schulzentrum Am Heimgarten in Ahrensburg. Gemeinsam mit zwei Kolleginnen ist sie an fünf Tagen in der Woche für die Schüler in ihrem Büro vor Ort, per E-Mail oder Telefon erreichbar. „Unsere Arbeit ist vor allem Bindungsarbeit. Es geht darum, ein Vertrauensverhältnis herzustellen“, sagt Lincoln.

Nicht nur für die Schüler sind die Schulsozialarbeiter Bezugsperson, auch Eltern und Lehrer werden beraten. „Häufig melden sich Mütter oder Väter, wenn sie vermuten, dass ihr Kind in der Schule Probleme hat, Ängste auffallen“, sagt die Sozialpädagogin. Lehrkräfte träten an sie heran, wenn sie bei Schülern auffälliges Verhalten bemerkten, es plötzliche Leistungsabfälle gebe. „In diesen Fällen nehmen wir Kontakt mit den Betroffenen auf und bieten unsere Hilfe an“, sagt Lincoln. Unterstützt werden die Drei von Schulhund Kuddel. Der drei Jahre alte Schäferhund-Husky-Mischling ist ausgebildeter Therapiehund. „Die Anwesenheit eines Tieres hilft vielen Jugendlichen, sich zu öffnen“, sagt Lincoln.

Rektor: Schulalltag ist ohne die Experten nicht zu bewältigen

Meiste gehe es erst einmal darum, zuzuhören. „Zu wissen, dass jemand zuhört, sorgt für Entlastung“, so Lincoln. Oft könnten die Eltern das nicht leisten. „Es ist ein Vorurteil, dass nur Kinder mit sozial schwachem Familienhintergrund unsere Hilfe in Anspruch nehmen“, betont sie. Lincoln und ihre Kolleginnen betreuen beide Bildungseinrichtungen im Schulzentrum, sowohl die Gemeinschaftsschule Am Heimgarten, als auch das Eric-Kandel-Gymnasium. „In jeder Familie, an jeder Schule gibt es Probleme“, sagt Lincoln.

Dass der Bedarf steigt, bemerkt auch Thomas Gehrke, Leiter der Gemeinschaftsschule Am Heimgarten. „Wir als Schulzentrum waren 1999 die ersten in Ahrensburg, die eine Stelle für Schulsozialarbeit bekommen haben, inzwischen ist sie an allen Schulen der Stadt vertreten“, sagt er. Ohne sei der Schulalltag schon lang nicht mehr zu bewältigen. „Immer mehr Schüler kommen mit individuellen Problematiken“, so Gehrke. Dabei müsse es nicht immer gleich um Mobbing oder psychische Probleme gehen, oft seien es die Scheidung der Eltern, Konflikte mit Mitschülern oder schwache schulische Leistungen.

An der Grundschule am Schloss teilen sich zwei Sozialpädagogen eine Stelle

Abgesehen davon, dass die soziale Arbeit in diesem Umfang neben dem Unterricht schlicht nicht leistbar sei, seien Schulsozialarbeiter durch ihr sozialpädagogisches Studium im Umgang mit den Problemen der Jugendlichen noch einmal spezieller geschult als die Lehrkräfte. „Schulsozialarbeit leistet auch Präventions- und Netzwerkarbeit“, sagt Gehrke. So besuchten die Sozialpädagogen regelmäßig die Klassen für Projekttage zu gesellschaftlichen Themen wie Mobbing oder Rechtsextremismus. „Und sie stellen für Schüler und Eltern auf Nachfrage Kontakt zu spezialisierten Hilfsangeboten her.“

Nicht nur an den weiterführenden, auch an den Grundschulen nimmt die Bedeutung der Schulsozialarbeit zu. „Der Familienalltag hat sich in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt“, sagt Jens Lehmann, Leiter der Grundschule am Schloss in Ahrensburg. Inzwischen sei es die Regel, dass beide Elternteile berufstätig sind. „Viele Kinder werden auch nachmittags in der Schule betreut, der Anteil an Erziehungsarbeit in der Schule ist gestiegen“, sagt er.

Mehr als 150 Kommunen in Schleswig-Holstein unterzeichnen Resolution

An der Grundschule Am Schloss teilen sich zurzeit zwei Sozialpädagogen eine Stelle. Neben der individuellen Betreuung der Schüler organisieren sie alle zwei bis drei Monate einen Schülerrat. „In diesem Forum diskutieren sie gemeinsam mit den Kindern darüber, was ihnen im Schulalltag wichtig ist und wie sie an Entscheidungen mitwirken können“, sagt Lehmann. Der Schulleiter sieht einen großen Vorteil der Schulsozialarbeit in ihrer Unabhängigkeit von Lehrern und Unterricht. „Es ist ein System im System, die Gespräche zwischen Schülern und Sozialarbeitern sind vertraulich.“ Dies schaffe eine andere Basis des Vertrauens als sich einem Lehrer zu öffnen.

Ahrensburgs Stadtverordnete erhoffen sich angesichts der steigenden Bedeutung der Schulsozialarbeit mehr Unterstützung vom Land. Jüngst haben die Kommunalpolitiker deshalb fraktionsübergreifend dafür gestimmt, eine Resolution an Bildungsministerin Karin Prien (CDU) zu unterzeichnen, mit der Aufforderung, die Landesregierung solle einen größeren Teil der Kosten übernehmen. Die Resolution hatte zuerst das Amt Mitteldithmarschen im Kreis Dithmarschen verfasst, inzwischen haben sich ihr mehr als 150 Gemeinden in Schleswig-Holstein angeschlossen.

Elf Stellen kosten die Stadt rund 467.000 Euro pro Jahr

„Wir haben das Budget für die Schulsozialarbeit in den vergangenen Jahren stetig erhöht und weitere zusätzliche Stellen geschaffen“, sagt Christian Schubbert-von Hobe (Grüne), Vorsitzender des Bildungs-, Kultur- und Sportausschusses der Schlossstadt. „Schulsozialarbeit ist längst nicht mehr eine Sache für soziale Brennpunkte, sondern integraler Bestandteil des pädagogischen Konzeptes an allen Ahrensburger Schulen.“ Aktuell gibt es an den vier Grund- und vier weiterführenden Schulen in Ahrensburg laut Verwaltung elf Stellen für Schulsozialarbeit mit insgesamt 257,1 Wochenstunden. In diesem Jahr soll eine weitere Stelle an der Selma-Lagerlöf-Gemeinschaftsschule (SLG) hinzukommen. Im vergangenen Jahr kostete die Schulsozialarbeit Ahrensburg rund 467.000 Euro, 127.000 Euro davon bekam die Stadt als Zuschuss vom Land. Zum Vergleich: Vor zehn Jahren, 2011, lagen die Kosten noch bei nur rund 159.000 Euro, 89.000 davon zahlte Kiel.

„Die Landesregierung hat die Schulsozialarbeit als Teil der freiwilligen kommunalen Jugendarbeit deklariert und möchte deshalb nicht für die vollen Kosten aufkommen, obwohl das Personal an Schulen eigentlich unter die Finanzierung des Landes fällt“, sagt Doris Brandt (CDU), Vorsitzende des Sozialausschusses. Deshalb hätten sich die Stadtverordneten der Resolution angeschlossen. „Wir wissen jetzt noch gar nicht, welche Probleme sich nach dem Lockdown auftun werden, die Lehrer werden das allein nicht auffangen können.“

Ähnlich sieht das auch Schulsozialarbeiterin Anna Lincoln. Sie sagt: „Über die vergangenen Monate hat sich die Situation in vielen Familien durch die viele gemeinsame Zeit zu Hause noch verschärft.“ Doch auch unabhängig von der Corona-Pandemie rechnet sie mit einem weiter steigenden Bedarf an Sozialarbeit an den Schulen. „Die Probleme werden in unserer heutigen Gesellschaft leider nicht weniger.“