Ahrensburg/Stapelfeld. Initiativen fordern neben dem Stopp des S4-Ausbaus auch den Verzicht auf neue Müllverbrennung und ein Gewerbegebiet.

Gegner von drei großen Bauprojekten in Stormarn haben sich zusammengeschlossen und fordern ein radikales Umdenken: kein vierspuriger Ausbau der Bahnstrecke für die S 4 zwischen Hamburg und Ahrensburg, Schließung der Müllverbrennungsanlage Stapelfeld statt Neubau, Verzicht auf das Gewerbegebiet Minervapark in Stapelfeld. Auslöser ist die Sorge um die ineinander übergehenden Fauna-Flora-Habitat-Gebiete (FFH ) Höltigbaum-Stellmoor (605 Hektar, DE 2327-301) und Stellmoorer Tunneltal/Höltigbaum (480 Hektar, DE 2327-302).

987f60f2-7cd5-11eb-b30b-f6c309bc26aa

„Leider wird dieses länderübergreifende Naturschutzgebiet aktuell von drei Seiten in die Zange genommen“, sagt Svenja Furken, Initiatorin der Ahrensburger IG Tunneltal. Mit ihr haben Vertreter von acht weiteren Gruppen einen „Brandbrief“ an Politik und Verwaltung unterzeichnet: Mathias Vaagt (Verein Jordsand), Claus-Peter Schmidt (Bürgerinitiative an der Bahnstrecke Hamburg– Lübeck), Katrin Delfs (Bürger-Interessen-Gemeinschaft Stapelfeld), Klaus Koch („Das bessere Müllkonzept“), Jürgen Siemers (Bürger- und Grundeigentümerverein Waldgut Hagen), Susanne Winterfeldt (Bürgergemeinschaft Am Hagen), Jürgen Martens (Arbeitskreis Gartenhölzer) und Peter Körner (Dorfgemeinschaft Ahrensfelde).

Tunneltal ist gut dreimal so alt wie Stonehenge

FFH-Gebiete sind bei der Europäischen Union (EU) gemeldet. Laut der Initiativen weisen bundesweit 70 Prozent aller FFH-Gebiete einen schlechten Erhaltungszustand auf. Hinzu komme die Klage der EU-Kommission im Februar gegen Deutschland wegen mangelhafter Umsetzung von Richtlinien. Unter anderem seien eine „bedeutende Anzahl von Gebieten immer noch nicht als besondere Schutzgebiete ausgewiesen“.

Für die Stormarner Gruppen hat das zusammen knapp elf Quadratkilometer große Areal „zweifelsfrei das Potenzial für eine Unesco-Welterbestätte“. Dort lebten viele gefährdete Tiere wie Fischotter und Kammmolch sowie seltene Pflanzen wir der Sumpfquendel. Die von der letzten Eiszeit geprägte Landschaft sei besonders gut erhalten. Das Ahrensburger Tunneltal, in dem vor rund 15.000 Jahren Rentierjäger siedelten, zähle „zu den bedeutendsten Forschungsregionen der altsteinzeitlichen Archäologie des nördlichen Europas“. Die Kulturen seien gut dreimal so alt wie die Pyramiden von Gizeh oder Stonehenge.

Die Unterzeichner appellieren an Politik und Genehmigungsbehörden, die Bauprojekte wenn möglich zu verhindern und alle Alternativen gewissenhaft zu prüfen. Sie machen selbst Vorschläge.

1. Neubau der Bahnlinie S 4:

Der Ausbau von zwei auf vier Gleise zerstöre im Tunneltal mehrere Hektar Biotopfläche. Es sei zu befürchten, dass sich der Bau auf den Wasserstand der Feuchtgebiete auswirke. Nach Fertigstellung des Fehmarnbelttunnels sorgten bis zu 84 Güterzüge täglich für Erschütterungen, Lärm und Feinstaub. Die neue Brücke im Zuge der Straße Brauner Hirsch (statt Schranken) zerstöre den Charakter des Tunneltals und stehe auf bedeutenden Bodendenkmälern. Drei bis sechs Meter hohe Lärmschutzwände behinderten den Wildwechsel.

„Es muss nach einer Alternativstrecke für die transeuropäische Güterverkehrstrasse gesucht werden, sodass die S 4 und Regionalbahnen auf der Bestandsstrecke fahren können“, sagt Svenja Furken. Alternativen seien die Umgehung Lübeck–Büchen–Lüneburg oder eine Neubaustrecke parallel zur A 1.

Die Deutsche Bahn AG verweist darauf, dass vom Nahverkehrsprojekt S 4 rund 250.000 Menschen in der Region profitierten. Ein Zug nehme 1200 Autos von der Straße und trage somit zur Mobilitätswende und CO2-Reduzierung bei. Die zwei neuen S-Bahngleise werden auf der nördlichen, dem Tunneltal abgewandten Seite gebaut. „Lärmschutzwände sind nur in den Bereichen vorgesehen, in denen Menschen wohnen und in denen das schalltechnische Gutachten das vorsieht“, so eine Bahnsprecherin.

2. Neubau der Müll- und Klärschlammverbrennung Stapelfeld:

„Wir plädieren für die Aufgabe des Standorts“, so die Initiativen. Der Neubau setze 15 Prozent mehr Schadstoffe frei als der Altbau von 1979. Der niedrigere Schornstein habe 3,5-mal so viel Einträge im Drei-Kilometer-Radius zur Folge wie jetzt. Die Klärschlammanlage lasse den Lkw-Verkehr auf jährlich rund 12.600 Fahrzeuge steigen. Bei der Anlieferung und Bearbeitung bestehe das Risiko, dass Schadstoffe einschließlich pathogener Keime ins FFH-Gebiet gelangten.

Der MVA-Betreiber EEW Energy from Waste verweist auf die FFH-Verträglichkeitsprüfung im Genehmigungsverfahren. Die Gutachter hätten erhebliche Beeinträchtigungen ausgeschlossen. Das Vorhaben sei im Sinne der Richtlinie für die Umwelt verträglich und damit zulässig. Morten Holpert, Technischer Geschäftsführer von EEW Stapelfeld, sagt: „In direkter Nachbarschaft zum Höltigbaum sind wir uns in jeder Hinsicht der Wahrung des europäischen ökologischen Schutzgebietssystems Natura 2000 bewusst. Und wir sind fest davon überzeugt, dass beide Vorhaben weder den Höltigbaum noch weitere vergleichbare Schutzgebiete beeinträchtigen.“

3. Länderübergreifendes Gewerbegebiet Victoria- und Minervapark:

Zum bestehenden Merkurpark (30 Hektar) in Hamburg-Rahlstedt kommen rund 57 Hektar Gewerbegebiet hinzu. „Die neuen Gewerbeflächen werden den Verbindungskorridor zwischen Höltigbaum und dem Naturschutzgebiet Stapelfelder Moor erheblich einengen, was an dieser Stelle die europaweiten Bemühungen zur Biotopvernetzung zunichtemachen wird“, so die Kritiker. Mehr Verkehr bedeute mehr Lärm, Licht und Schadstoffe für das FFH-Gebiet. Der Victoriapark, in dem die ersten Firmen bauen, sei nicht mehr zu verhindern. „Die Planungen für den Minervapark müssen gestoppt werden“, so die Umweltschützer.

S-4-Kläger protestieren nun auch mit Film

Die Bürgerinitiative an der Bahnstrecke Hamburg-Lübeck hat jetzt auch einen Protestfilm gegen den Ausbau gedreht. Der Verein, der Mitglieder von Hamburg-Wandsbek über Ahrensburg, Bargteheide und Bad Oldesloe bis nach Reinfeld vertritt, fordert, dass die neue S 4 auf den bestehenden Gleisen fährt. Um das zu ermöglichen, sollte der Güterverkehr komplett auf eine Neubaustrecke entlang der Autobahn 1 verlegt werden.

Zur Bundestags- und Landtagswahl in Schleswig-Holstein werde Stormarn stärker beleuchtet. Interessant sei der Abriss des Bahnsteigs Ahrensburg-Gartenholz sowie der schlechtere Takt (60 statt 30 Minuten) für Bad Oldesloe.

„Wir haben Klage beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eingereicht, denn nur ein juristisches Urteil kann diesen Bauwahnsinn noch stoppen“, sagt der Vorsitzende Claus-Peter Schmidt. Der sechsminütige Film steht auf www.buergerinitiative-bahnstrecke-hh-hl.de.