Glinde. Entwicklungskonzept der Stadtverwaltung verzögert sich. Bürgermeister Rainhard Zug plant Präsentation vor Bauausschuss im November.
Das Urteil ist vernichtend. „Ich kenne viele Friedhöfe in der Region, aber keiner ist so schlecht wie der Glinder“, sagt Annemarie Theel, deren Mann dort bestattet wurde. Genauso wie die 83-Jährige sind auch die Witwen Ingeborg Stoller (69) und Anke Neumann (74) empört über den Zustand der Ruhestätte. Beide berichten von negativen Erfahrungen, die sie gemacht haben. Dass auf dem Areal am Willinghusener Weg einiges geändert werden muss, ist seit Langem klar. Dafür steht im Haushalt auch Geld zur Verfügung, doch die Politik will zuerst ein schlüssiges Entwicklungskonzept. Jenes erarbeitet die Stadtverwaltung, sollte es eigentlich im Juni vorlegen. Dieser Termin war nicht zu halten. Auch im August wurde es nichts. Jetzt plant Bürgermeister Rainhard Zug die Präsentation im Bauausschuss für November.
An vielen Stellen bestehe Sturzgefahr
Anke Neumann ist so verärgert, dass sie dem Verwaltungschef bereits vor zehn Monaten einen Brief geschrieben hat inklusive Fotos. Auf einem ist ein durch Regen aufgeweichter Sandweg zu sehen. Sie könne das Grab ihres Mannes nur erreichen, indem sie durch Schmutz, Schlamm und über alte Gräber gehe. „Optisch und und auch in Sachen Pflege ist das hier eine Katastrophe“, sagt die Witwe und verweist auf ein weiteres Bild. Es zeigt eine heruntergefallene Baumkrone, die den Plattenweg zum Grab vollständig bedeckt. Die Friedhofsverwaltung habe trotz Bitte auch nach Wochen keine Abhilfe geschaffen. Ausläufer der Äste brach sie selbst ab.
„Es ist eine Respektlosigkeit gegenüber den trauernden Angehörigen. Die Würde des Ortes gebietet es, dass ein solcher Baum fachgerecht gefällt und dann zeitnah entsorgt wird“, so die Glinderin. Sie sei zweimal über Äste gestürzt, die Folge seien blaue Flecken gewesen. Gefahr besteht auch auf dem Steinweg nahe der Kapelle, über den Friedhofsbesucher die Gräber erreichen. Die Platten sind nicht mehr auf einer Höhe, der Druck der Baumwurzeln war zu groß. Annemarie Theel, die auf einen Rollator angewiesen ist, spricht von einer „Stolperfalle“ und lässt sich hier besonders viel Zeit, um voranzukommen.
Kein Vorwurf an Glinder Mitarbeiter
Die Probleme von Ingeborg Stoller waren anderer Natur. Sie hatte eine Ein-Quadratmeter-Grabstelle erworben. „Dann habe ich nachgemessen, der Bereich war 25 Zentimeter kleiner“, sagt die Seniorin. Daraufhin beschwerte sie sich und machte der Friedhofsverwaltung mehrere Vorschläge zwecks Lösung, unter anderem eine Umbettung auf Kosten der Stadt. Letztlich willigte der Nachbar ein und gab Stoller den fehlenden Teil ab. „Ich habe das Gefühl, dass die Gräber nach Augenmaß verkauft werden“, klagt die Rentnerin.
Marlies Kröpke, stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende, beschäftigt sich viel mit der Zukunft des Friedhofs. Sie arbeitete mehrere Jahre als Raumpflegerin auf jenem in Reinbek, war zudem Betriebsratsvorsitzende des Kirchenkreises Hamburg-Ost. Die 69-Jährige macht den Mitarbeitern in Glinde keinen Vorwurf, sagt: Sie werden von der Verwaltung allein gelassen, weil zum Beispiel Maschinen fehlen.“ Ein sogenannter Gießwagen werde zwar jetzt angeschafft, allerdings viel zu spät. Die Sozialdemokratin kenne viele Glinder, die den Zustand der Ruhestätte in der nahezu 19.000 Einwohner zählenden Stadt bemängelten. „Wenn ich auf dem Markt am Parteistand bin, werde ich oft darauf angesprochen.“
Friedhofsentwicklungsplan soll Situation verbessern
Glinde beschäftigt sich schon seit 2014 mit Entwicklungsperspektiven des fünf Hektar großen Friedhofareals. Die Sozialdemokraten hatten zwischenzeitlich beantragt, die letzte Ruhestätte samt aller Rechte und Pflichten in einem Treuhandverhältnis an die kirchliche Reinbeker Friedhofsverwaltung zu übergeben. Der Nachbar wollte diesen Schritt auch wegen der dort vorhandenen Kapazitäten nicht machen. Also entschloss sich die Politik, den Friedhof weiterhin in Eigenregie zu betreiben. Wirtschaftlich ist das nicht. Die Einrichtung macht jährlich rund 50.000 Euro Verlust. Laut Kröpke schiebe man inzwischen 300.000 Euro vor sich her.
Mit dem Friedhofsentwicklungsplan soll alles besser werden. In einer Vorstufe investierte die Stadt 35.000 Euro und beauftragte das Büro Cemterra, Ideen zu entwickeln. Bei einer Bürgerinformationsveranstaltung zur Umgestaltung der Fläche im April 2018 war die Kapelle hoch frequentiert. Glinde ist zum Handeln gezwungen, weil sich die Nachfrage bei den Bestattungsformen stark verändert hat. 2008 wurden 60 Menschen in Särgen beigesetzt, im vergangenen Jahr 33. Bei den Urnenbestattungen stieg die Zahl von 88 vor zwölf Jahren auf 144 in 2019. Eine entsprechende Grabstätte für 25 Jahre inklusive Beisetzung kostet in Glinde 1450 Euro, bei der Erdbestattung sind es immerhin 3500 Euro.
128.000 Euro im Haushalt haben einen Sperrvermerk
„Wir benötigen dringend neue Urnenstellen, die Nachfrage ist groß“, berichtet Bürgermeister Zug. Deshalb möchte er lieber heute als morgen die im Haushalt mit einem Sperrvermerk versehenen 128.000 Euro ausgeben, doch da macht die Politik nicht mit. Der Verwaltungschef präferiert 92.000 Euro für 40 Stelen, in denen Platz für 212 Urnen ist. „Damit verdient man kein Geld. Wir müssen etwas Hübsches schaffen und die Sachen dementsprechend anlegen“, sagt Kröpke. Im jüngsten Bauausschuss äußerte sie ihren Unmut über die Stehlen-Variante und kritisierte den Verwaltungschef scharf für die Verzögerung beim Entwicklungskonzept. Rainhard Zug begründet das schleppende Vorankommen mit Corona: „Wir mussten Prioritäten setzen und hatten nur begrenzte Ressourcen.“