Glinde. Sie sollen für den Bau einer Lärmschutzwand Grundstücksanteile für maximal zehn Euro pro Quadratmeter verkaufen.
Gern würde sich Stefan Flint in seinem Garten an der Straße Stübenkoppel in Glinde erholen und ruhige Momente genießen. Das ist jedoch nicht möglich. Der selbstständige Unternehmensberater blickt direkt auf die Kreisstraße 80 und Fundamente mit Stahlträgern. Elemente des Lärmschutzzauns fehlen.
An anderen Stellen ist zwar eine Holzkonstruktion vorhanden, Autos und Lastwagen sind trotzdem zu hören – und zwar viel zu laut. Seit Jahren fordern Anlieger eine Verbesserung der Situation mit der Installation einer entsprechenden Wand, die den Schall zurückhält. Allerdings müssten sie 90 Prozent der Kosten tragen, hieß es bislang.
„100 Euro müssen es mindestens sein“
Jetzt hat die Verwaltung einen Lösungsvorschlag gemacht, der für große Verärgerung sorgt. Sie regt einen Bau ohne Anliegerbeteiligung an sowie den Kauf von Grundstücksanteilen der Bürger. Die Fläche deklariert sie jedoch als Ackerland mit 3,80 Euro pro Quadratmeter. Den maximalen Verhandlungspreis hat das Rathaus auf zehn Euro beziffert.
Nur wenn alle Betroffenen mitziehen, soll den Menschen an der Stübenkoppel geholfen werden. „Wir fühlen uns erpresst“, sagt Christel Boller, die seit mehr als 40 Jahren an der Stadtgrenze zu Reinbek lebt. Als sie diese Worte spricht, nicken ihr Mann sowie die Nachbarn Heike und Erwin Schulz. „100 Euro müssen es mindestens sein“, ergänzt die Rentnerin. Außerdem berichtet sie von „Setzrissen im Badezimmer wegen der Erschütterungen“. Der Bodenrichtwert für Bauland liegt laut Gutachterausschuss des Kreises bei 350 Euro pro Quadratmeter. Zuletzt wurde die Statistik 2018 veröffentlicht. Neue Zahlen gibt es alle zwei Jahre.
Das Projekt kostet rund 1,4 Millionen Euro
Bereits im Mai 2009 hatte sich eine Bürgerinitiative gegründet mit dem Namen „Lärmschutz K 80“. Sprecherin Dagmar Coordts sagt: „Unsere Grundstücke gehören in eine andere Kategorie als die erwähnte Grün- und Ackerfläche.“ Das Angebot sei eine Lachnummer. „Ich erwarte, dass Glinde uns nicht mit solchen Preisen unter Druck setzt und uns ein faires Angebot macht.“ Coordts hat auf diversen Ausschusssitzungen ihr Anliegen kommuniziert und immer wieder die Dringlichkeit betont. Sie lebt seit 1976 an der Stübenkoppel – und damit länger, als es die Kreisstraße gibt.
Initiative und die Stadt hatten bereits vor vielen Jahren ein Gutachten erstellen lassen. Wer für den Bau eines neuen Lärmschutzes zahlen muss, konnte damals nicht geklärt werden. Eigentümer der maroden Wand ist Glinde, finanziert wurde sie vom Kreis und der Stadt. Auf der einen Seite gab es einen Bebauungsplan, der einen fünf Meter hohen Lärmschutzwall vorsieht. Auf privatrechtlicher Basis zwischen Kreis und Stadt wurde jedoch eine Holzwand mit einer dünnen Dämmplatte erstellt. Ein zweites Gutachten, für das die Stadt rund 28.000 Euro zahlte, brachte Klarheit: Der Bebauungsplan ist nichtig, demnach haben Anlieger keinen Anspruch auf Lärmschutz.
Bürgermeister präsentierte eine Beschlussvorlage
Es ist einiges schief gelaufen bei den Abmachungen zwischen Kreis und Stadt: zum Nachteil der Bürger. Jedenfalls besteht für sie nicht mehr die Pflicht, bei einem Neubau Erschließungsbeiträge zu leisten. Das ist seit Juli diesen Jahres klar und durch eine rechtsgutachterliche Stellungnahme abgesichert. Ein solches Projekt kostet rund 1,4 Millionen Euro.
Im jüngsten Bauausschuss präsentierte Bürgermeister Rainhard Zug eine Beschlussvorlage, um das Vorhaben auf den Weg zu bringen. Darin sind viele Zahlen aufgeführt, zum Beispiel bis zu 30.000 Euro, die im Haushalt für den Grundstückskauf mit Sperrvermerk verankert werden sollen, und 200.000 Euro für Ingenieurleistung. Für die Konstruktion und einen Unterhaltungsweg ist der Erwerb eines Zehn-Meter-Streifens, der sich über 15 Grundstücke erstreckt, erforderlich, heißt es in dem Dokument. Von besserem Lärmschutz würden 31 Parteien profitieren. Außerdem sieht das gerade erstellte Radwegekonzept dort eine neue Strecke vor.
Dagmar Coordts zweifelt daran, dass die Anlieger zusammen 3000 Quadratmeter abgeben müssen. Sie sagt: „Zwischen dem Zaun und unseren Grundstücken liegt ein bis zu vier Meter breiter Geländestreifen, der dem Kreis gehört. Wenn die Stadt diesen für einen neuen Lärmschutz einbezieht, muss sie uns nicht mehr so viel Grund abkaufen.“
Stefan Flint schwankt zwischen Wut und Trauer
Die Politiker wollten noch nicht entscheiden, sich stattdessen in den Fraktionen beraten. Für Ende September oder Anfang Oktober plant Bürgermeister Zug eine Sondersitzung des Bauausschusses, will im Fall einer Zustimmung die Verhandlungen mit den Anliegern starten. Er sagt über das Kaufangebot: „Wir müssen das Geld der Glinder Bürger im Auge behalten. Die Möglichkeiten wachsen ja nicht in den Himmel.“ Er erwarte ein Entgegenkommen der Grundstückseigentümer.
Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Marlies Kröpke hat Verständnis für die Sicht der Anlieger, sagt aber auch: „Wir müssen verantwortungsvoll mit Steuergeld umgehen.“ Grünen-Fraktionschefin Petra Grüner hält Zugs Vorschlag für „einen gangbaren Weg“, beide Seiten müssten sich bewegen, die Stadt habe den ersten Schritt gemacht. Thomas Kopsch (FDP) sagt: „Wir sind im Gespräch mit Anwohnern, das Angebot der Stadt ist womöglich ein bisschen zu niedrig angesetzt.“ Das findet auch der CDU-Fraktionsvorsitzende Rainer Neumann: „Beide Seiten müssen aufeinander zugehen. Vielleicht ist es auch eine Lösung, wenn die Stadt lediglich ein Zugangsrecht erhält.“
Für Stefan Flint hat sich die Situation übrigens noch verschlimmert. Marode Zaunelemente wurden zwischenzeitlich ersetzt und bestehende verrückt. Wo noch vor wenigen Monaten zumindest ein Sichtschutz war, klaffen große Lücken. Sein Grundstück liegt genau in diesem Bereich. Der 41-Jährige sagt: „Wir haben hier tagsüber eine Dauerbeschallung von 71 Dezibel.“ Er schwanke zwischen Wut und Trauer.