Bad Oldesloe. Rücknahme des neuen Strafkatalogs erfordert enormen Verwaltungsaufwand. Bis zum Jahresende könnten 40.000 Strafmandate fällig werden.
Der Aufruhr um den deutlich verschärften Bußgeldkatalog hält auch die Kreisverwaltung in Bad Oldesloe weiter in Atem. Aktuellen Informationen aus dem Fachdienst Öffentliche Sicherheit zufolge müssen rund 6500 Bescheide überarbeitet werden. „Das ist ein enormer Mehraufwand, da ja parallel permanent neue Vorgänge eingehen“, sagte Fachdienstleiter Ingo Lange in der jüngsten Sitzung des Stormarner Verkehrsausschusses.
Viele Betroffene reagierten überrascht und verärgert
Wie bereits berichtet, ist der umstrittene Katalog nach einer Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO) am 28. April dieses Jahres in Kraft getreten. Er sieht unter anderem härtere Strafen für zu schnelles Fahren vor. Ein einmonatiges Fahrverbot sollte bereits bei einer Geschwindigkeitsübertretung von 21 km/h innerorts respektive 26 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften greifen. Zuvor hatten die Grenzen bei 31 und 41 Stundenkilometern gelegen.
Das hatte landauf, landab zu Protesten geführt, auch bei der Bußgeldstelle des Kreises. „Etliche Betroffene waren überrascht und verärgert über das verschärfte Strafmaß. Es ist so manchem offenbar erst durch den Bescheid richtig bewusst geworden“, sagt Lange.
Bundesverkehrsminister nannte Strafen „unverhältnismäßig“
Dann aber monierten Experten Formfehler bei der Formulierung zu den Fahrverbotsregeln. Die in letzter Konsequenz zu einer Flut von Klagen hätten führen können. Daher setzte der Bund den Vollzug der neuen Sanktionen Anfang Juli aus. Die Länder sollten vorerst wieder den alten Bußgeldkatalog anwenden, bis eine rechtlich abgestimmte Neufassung der Novelle vorliegt.
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hatte die vom Bundesrat ergänzten schärferen Strafen für Temposünder zuvor schon als „unverhältnismäßig“ kritisiert. Unklar blieb anschließend allerdings, wie mit den nach dem neuen Katalog bereits geahndeten Verstößen in den Monaten Mai und Juni umgegangen werden soll.
Die Verwaltungs-Mitarbeiter stehen nun unter Zeitdruck
Fast alle Bundesländer, darunter auch Schleswig-Holstein, sind zu den Regelungen des alten Bußgeldkatalogs zurückgekehrt. In Thüringen sollten Verstöße in der fraglichen Zeit erst später geahndet werden. In Bremen sind die Sanktionen so lange ausgesetzt, bis eine neue, bundeseinheitliche Vorgabe fixiert worden ist.
In der Bußgeldstelle des Kreises Stormarn werden nun alle im Mai und Juni angefallenen 6500 Strafmandate gemäß des alten Bußgeldkatalogs modifiziert. „Das sind deutlich mehr Fälle, als eine Fachkraft normalerweise im ganzen Jahr bearbeitet. Der gängige Schnitt liegt bei etwa 4900 Bescheiden“, skizziert Ingo Lange den zusätzlichen Verwaltungsaufwand.
Dabei stehen die fünf involvierten Kollegen zudem unter Zeitdruck. Ende Oktober müssen alle fraglichen Bescheide nachbearbeitet sein, da sie sonst nicht mehr vollstreckt werden dürfen. Das gestalte sich aber insbesondere in Fällen schwierig, in denen Fahrer und Fahrzeughalter nicht identisch seien. Was in der Regel zu aufwendigen Nachforschungen unter Einbindung der Polizei und entsprechendem Zeitverzug führe.
Doppelt so viele Temposünder hätten Fahrverbote erhalten
Deshalb sei jetzt schon klar, dass längst nicht alle Fälle mit Sanktionen enden werden. „Weshalb wir uns nun vorrangig mit jenen Bescheiden beschäftigen, in denen die Missachtung von Geschwindigkeitsbeschränkungen gravierend war“, sagt Lange. Nach groben Schätzungen hätten gemäß des inzwischen ausgesetzten Bußgeldkatalogs mindestens doppelt so viele Temposünder wie bisher mit Fahrverboten rechnen müssen.
Als äußerst ergiebiges Messfeld hat sich unter anderem die neue Tempo-30-Strecke in der Bargteheider Bahnhofstraße auf Höhe des Seniorendorfes erwiesen. Dort ist eine von rund 220 Messstellen, die die Kollegen der Verkehrsüberwachung mehrfach im Jahr anfahren. „Entschieden wird das nach den vorangegangenen Resultaten am jeweiligen Messpunkt“, erklärt Lange. An den wichtigsten würden jedes Mal zehn bis elf Prozent aller Fahrer mit überhöhter Geschwindigkeit geblitzt.
19.000 Verfehlungen in den ersten sechs Monaten dieses Jahres
Wurden im Jahr 2018 noch 20.000 Strafbescheide fällig, so waren es im Vorjahr bereits 30.000. Unter anderem durch die Schwerpunktmessung im Tempo-80-Bereich der Autobahn 1 Richtung Norden vor der Raststätte Buddikate. Dort waren allein am 11. Juli 2019 zwischen 9 und 19 Uhr 4600 von 28.000 gemessenen Fahrzeugen schneller als erlaubt unterwegs, eine Beanstandungsquote von 16 Prozent. Einen Tag später wurden am Barsbütteler Übergang zur A 24 innerhalb von vier Stunden weitere 3500 von 12.000 Fahrzeugen geblitzt, was sogar einer Bußgeldquote von 29 Prozent entsprach.
In den ersten sechs Monaten dieses Jahres registrierte die Bußgeldstelle des Kreises bereits 19.000 Verfehlungen. „Setzt sich die Entwicklung im zweiten Halbjahr so fort, müssen wir bis Dezember wohl mit 40.000 Bescheiden rechnen“, schätzt Ingo Lange.
Bußgelder für Raser sollen deutlich angehoben werden
Unterdessen hat Bundesverkehrsminister Scheuer im Streit um den neuen Bußgeldkatalog eine „klare, faire und zügige Lösung“ gefordert. Mitte vergangener Woche einigte sich der Verkehrsausschuss des Bundesrats auf einen Kompromiss. Danach sollen die vorgesehenen Geschwindigkeitsgrenzen des neuen Katalogs zwar umgesetzt werden, die Sanktionen für Raser aber weniger drastisch ausfallen.
Beim Fahrverbot soll es nun dann bleiben, wenn in „besonders sensiblen Zonen“, etwa vor Kindergärten oder an Baustellen, zu schnell gefahren wurde. Ansonsten wird es zumindest ein deutlich höheres Bußgeld – bislang 70 Euro ab 21 km/h Tempoüberschreitung und 80 Euro ab 26 km/h – geben. Sollte sich solch eine eklatante Geschwindigkeitsüberschreitung innerhalb eines Jahres jedoch wiederholen, wird der Fahrer mindestens für einen Monat aus dem Verkehr gezogen.
Neuer Blitzerwagen kostet 16.000 Euro
Nach acht Jahren ersetzt der Kreis Stormarn seine Einheit für mobile Geschwindigkeitskontrollen.
Der neue Mercedes Vito für rund 60.000 Euro ist bereits am 19. August eingetroffen.
Die Blitzeranlage selbst wird allerdings erst Mitte Oktober geliefert. Eine Spezialfirma mit Sitz am Bodensee wird die rund 100.000 Euro teure Einheit dann installieren und die zuständigen Kollegen der Verkehrsüberwachung in der fachgerechten Benutzung unterweisen.
Weil künftig keine Kabel mehr gezogen werden müssen, da alle Messdaten per Funkverbindung eingehen, ist die neue Anlage deutlich komfortabler und sicherer als ihre Vorgängerin. Ab Ende Oktober soll sie dann einsatzbereit sein.