Ahrensburg. Kreis Stormarn steht laut Zahnreport der Barmer Krankenkasse aber deutlich besser da als das benachbarte Herzogtum Lauenburg.

Ein Drittel aller zwölf Jahre alten Kinder in Schleswig-Holstein hat beim Zahnarzt schon Erfahrungen mit Bohrer und Zange gemacht, weil Karies das bleibende Gebiss befallen hat. Das geht aus dem jüngsten Zahnreport der Barmer Krankenkasse hervor. „Zahnpflege darf nicht erst im bleibenden Gebiss beginnen, sondern sollte schon bei den Milchzähnen zur täglichen Routine gehören“, sagt Dr. Bernd Hillebrandt, Landesgeschäftsführer der Barmer in Schleswig-Holstein.

Mehr Kariesfälle durch ungenügende Vorsorge

Während von der gefürchteten Zahnerkrankung landesweit rund 26.000 Mädchen und Jungen und damit 32,4 Prozent aller Zwölfjährigen betroffen ist, sind es in Stormarn 32,9 Prozent und im benachbarten Herzogtum Lauenburg sogar 34,4 Prozent. Damit steht es an der Spitze aller 15 Kreise und kreisfreien Städte des Landes. Da in den Statistiken aber nur jene Kinder erfasst sind, die tatsächlich einem Zahnarzt vorgestellt worden sind, dürfte die Dunkelziffer vermutlich deutlich höher liegen.

Als entscheidender Faktor gilt aus Sicht der Experten eine ungenügende Vorsorge. Dabei sind seit 2016 im Rahmen der verpflichtenden U-Untersuchungen beim Kinderarzt deutliche Aufforderungen zur Notwendigkeit eines Zahnarztbesuchs vorgesehen. Laut Barmer-Report werden zur Vorsorge landesweit dann aber nur 36 Prozent aller Kleinkinder unter 2,5 Jahren vorgestellt. Und selbst bei den Sechsjährigen liege der Anteil jener, die noch nie beim Zahnarzt waren, noch immer bei 15 Prozent.

Oldesloer Zahnarzt zweifelt Schätzung der Kasse an

Nach Schätzungen der Barmer nehmen in Stormarn 26,7 Prozent aller Kinder und Jugendlichen bis 18 Jahren weder Früherkennungs- noch Prophylaxeangebote wahr. Nur der Kreis Plön schneide hier mit 25,9 Prozent besser ab. Das Herzogtum Lauenburg hingegen ist mit einer sogenannten „No-Show-Rate“ von 30,7 Prozent sogar Schlusslicht in Schleswig-Holstein, gemeinsam mit dem Kreis Flensburg.

Dr. Hans-Hartwig Cleve, Vorsitzender der Zahnärzte-Vereinigung des Kreises Stormarn und niedergelassener Zahnarzt in Bad Oldesloe, sieht den Kreis hier allerdings deutlich besser aufgestellt, als es der Report besagt. „Nach unseren Erfahrungen liegt die Quote jener Kinder bis sechs Jahren, die wir nicht erreichen, höchstens bei zehn Prozent“, sagt Cleve. Natürlich gebe es immer wieder beratungsresistente Eltern, die nicht mal mit Kinogutscheinen in die Praxen gelockt werden könnten. Sie seien aber klar in der Minderheit.

Kita-Gruppen besuchen Praxen zum Angstabbau

Für Ursula Wagner, Zahnärztin aus dem Bergedorfer Ortsteil Nettelnburg, steigt die Zahl verantwortungsbewusster Eltern mit jedem Jahr. „Sie sind heute deutlich aufgeklärter als früher. Viele sorgen sich sehr um die Zahngesundheit ihrer Kinder“, sagt sie. Gerade in der Wechselphase, in der es im Gebiss zugleich Milch- und bleibende Zähne gebe, sei eine engmaschige Überwachung wichtig. „Da sehen wir immer mehr Kinder bis zu viermal im Jahr“, so Wagner. Dass Zwölfjährige in der Praxis auftauchen würden, die nie zuvor auf einem Behandlungsstuhl gesessen haben, sei hingegen die absolute Ausnahme.

Das bestätigt auch ihr Kollege Cleve aus Bad Oldesloe. In den vergangenen Jahren hätten die freien Zahnärzte und das Kreisgesundheitsamt über die Kreisarbeitsgemeinschaft zur Förderung der Jugendzahnpflege ein engmaschiges Netz geknüpft, in dem Vorsorge, Früherkennung und Prophylaxe vorbildlich organisiert würden. „Zum Angstabbau haben wir sogar ein Angebot für Kitas ­etabliert, um Zahnarztpraxen in Gruppen von bis zu 20 Kindern besuchen zu können“, berichtet Cleve. In 14 teilnehmenden Praxen könnten sich die Kinder in einem 45-minütigen Programm an drei Stationen mit der Technik und dem Alltag der Zahnärzte vertraut machen.

Untersuchungen an Schulen wirken sich positiv aus

Laut Dr. Claudia Stange, Vorstandsmitglied der Landeszahnärztekammer, werden die Erfolge der Präventionsmaßnahmen durch den Barmer-Report nur unzureichend abgebildet. So habe die jüngste Langzeitstudie des Instituts der Deutschen Zahnärzte (IDZ) konstatiert, dass bundesweit bereits 81 Prozent aller Zwölfjährigen kariesfrei gewesen seien.

Dr. Claudia Stange, Vorstandsmitglied der Zahnärztekammer Schleswig-Holstein.
Dr. Claudia Stange, Vorstandsmitglied der Zahnärztekammer Schleswig-Holstein. © ZÄK Schleswig-Holstein

„Natürlich ist der Anteil betroffener Kinder mit rund 20 Prozent noch immer zu hoch. Aber frühkindliche Karies wird heute definitiv viel wirksamer bekämpft“, so Stange. Dazu beigetragen habe, dass seit 2019 drei zusätzliche Früherkennungsuntersuchungen von den gesetzlichen Kassen übernommen würden. Positiv hätten sich zudem die regelmäßigen zahnärztlichen Untersuchungen an Schulen ausgewirkt.

Vorbildliche Klassen erhalten eine Prämie von 40 Euro

Auch hier gilt Stormarn als vorbildlich. „An den Grundschulen finden sie einmal im Jahr statt, an den weiterführenden Schulen alle zwei Jahre“, sagt Christiane Clobes, Leiterin des Kreisgesundheitsamtes in Bad Oldesloe. Dabei würden im Schnitt etwa 12.500 Schüler begutachtet. „Schüler, die offensichtliche Zahndefekte und Defizite haben, bekommen dann eine schriftliche Aufforderung zum Besuch einer Praxis und einen Rückmeldeschein, den der Zahnarzt nach erfolgter Behandlung unterschreiben muss“, erklärt Clobes.

Einen Motivationsanreiz setzt das Gesundheitsamt, in dem es Klassen ohne behandlungsbedürftige Schüler mit 40 Euro belohnt. Im Vorjahr wurde die Prämie an 141 von insgesamt rund 500 Klassen ausgezahlt. 2018 waren es sogar 201 und 2016 immerhin 181 Klassen. Hinzu kommen mindestens einmal pro Schuljahr spezielle Prophylaxe-Schulungen.

Dabei wird den Schülern demonstriert, wie Zähne richtig geputzt werden. Sie erhalten zudem ausführliche Informationen darüber, welche Folgen mangelnde Mundhygiene nach sich ziehen können. Ob das auch im kommenden Schuljahr so sein wird, steht indes noch nicht fest. „Coronabedingt werden wir den Start des Kontrollzyklus erst einmal auf unbestimmte Zeit verschieben“, sagt Christiane Clobes. Wann mit den Untersuchungen tatsächlich begonnen werden könne, komme entscheidend auf die Entwicklung der Pandemie an.