Mönkhagen/Lübeck. 43-Jähriger soll sein Opfer vergewaltigt und gefesselt in der Feldmark abgelegt haben. Staatsanwalt wertet Tat als versuchten Mord.

Als der Angeklagte mit 15 Minuten Verspätung den Gerichtssaal betritt, sind mehrere Fernsehkameras und Fotoapparate auf ihn gerichtet. Das Medieninteresse an dem aufsehenerregenden Fall ist groß. Aziz G. hält sich einen grünen Aktenordner vor das Gesicht, während ihn zwei Justizvollzugsbeamte zu seinem Platz auf der Anklagebank führen, ihm die Handschellen abnehmen. Es ist der Prozessauftakt vor dem Landgericht Lübeck.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem 43-Jährigen versuchten Mord, Vergewaltigung, Freiheitsberaubung und Körperverletzung vor. Der Mann soll eine 20 Jahre alte Stormarnerin nach einer Party verschleppt, vergewaltigt und dann gefesselt und geknebelt an einem einsamen Feldweg in Mönkhagen im Norden des Kreises Stormarn ausgesetzt haben. Nur durch einen glücklichen Zufall wurde sie rechtzeitig von einem Autofahrer entdeckt und befreit. Die Ermittler gehen davon aus, dass sie sonst hätte erfrieren können.

Aziz G. soll die 20-Jährige nach einer Feier vergewaltigt haben

Die Studentin hatte in der Nacht vom 11. auf den 12. Oktober 2019 in der Gollan-Werft in Lübeck gefeiert. Das Veranstaltungsgelände befindet sich abseits der Innenstadt in einem Industriegebiet. Gegen 5 Uhr verließ sie nach Angaben der Anklagebehörde die Party. „Die Geschädigte hatte im Laufe des Abends erhebliche Mengen Alkohol getrunken“, sagt Staatsanwalt Niels-Broder Greve bei der Anklageverlesung. „Sie war nicht mehr in der Lage, sich sicher zu bewegen.“ In diesem Zustand sei sie dem Angeklagten an der nächsten Kreuzung aufgefallen, die nur wenige Meter vom Veranstaltungsort entfernt liegt.

„Er zerrte sie auf die Ladefläche seines Transporters“, sagt Greve. „Da die Frau nicht einsteigen wollte, hat er sie geschlagen.“ Anschließend habe er sie in dem Wagen zu seiner Kleingartenparzelle in Lübeck gebracht, sei dort bis etwa 6 Uhr mit ihr geblieben. Dann habe er sie zu einem Feld nahe der Autobahn 20 in Mönkhagen gebracht, so der Staatsanwalt. Entweder in der Kleingartenparzelle oder auf dem Feld habe er sie vergewaltigt.

Staatsanwalt: "Der Angeklagte wusste, dass das Opfer sterben würde"

Um sie gefügig zu machen, habe er „mit massiver körperlicher Gewalt auf sie eingewirkt“, sagt Greve. Die Studentin habe mehrere Hämatome erlitten, unter anderem an den Oberarmen sowie im Gesicht. Das linke Auge habe geblutet. Der erzwungene Geschlechtsverkehr sei ungeschützt gewesen.

Nach der Tat habe Aziz G. die Hände der jungen Frau hinter ihrem Rücken gefesselt, sie geknebelt und an einem Knick festgebunden, so dass sie weder fliehen noch um Hilfe rufen konnte. Die Stelle, an der sie ausgesetzt wurde, liegt etwa 80 Meter von der ehemaligen Bundesstraße 206 entfernt. „Der Angeklagte wusste, dass das Opfer sterben würde“, sagt der Staatsanwalt. „Und das war auch seine Absicht, um zu verhindern, dass seine Tat aufgedeckt wird.“ Doch ein Autofahrer, der für eine Toilettenpause anhielt, rettete der Frau das Leben.

Aziz G. soll eine weitere junge Frau verschleppt haben

Neben den Medienvertretern haben auch viele Besucher versucht, für den Prozessbeginn einen der wenigen Plätze im Gerichtssaal zu ergattern. Wegen der Coronapandemie sind nur 15 Zuschauer erlaubt. Darunter war zunächst auch die Ehefrau des Angeklagten. Da sie im späteren Verfahren noch als Zeugin aussagen soll, muss sie den Saal aber auf Anweisung des Richters wieder verlassen.

Die Staatsanwaltschaft wirft Aziz G. noch eine zweite Tat vor. Bereits zweieinhalb Wochen vor der Vergewaltigung der Studentin soll er am 26. September 2019 eine 25-Jährige in seine Gewalt gebracht haben. Die junge Lübeckerin war in den frühen Morgenstunden auf dem Heimweg von einer Feier auf der Wallhalbinsel in Lübeck gewesen. An einem Fußgängerweg habe sie sich hingehockt, um zu urinieren, sei dabei gestürzt. Auch sie war stark alkoholisiert.

Auch der Richter am Lübecker Landgericht trägt während des Prozesses einen Mundschutz.
Auch der Richter am Lübecker Landgericht trägt während des Prozesses einen Mundschutz. © dpa | Georg Wendt

Diese Hilflosigkeit soll der Angeklagte ausgenutzt, sie überwältigt und in seine Kleingartenparzelle gebracht haben. Dort habe er sie zunächst zum Schlafen abgelegt, dann die Gartentür verschlossen. „Als die Frau aufwachte, konnte sie das Gelände nicht mehr verlassen. Das war von dem Angeklagten beabsichtigt“, sagt Staatsanwalt Niels-Broder Greve. Die 25-Jährige sei zunächst durch den Garten geirrt, habe sich dann an einer Mauer hochgezogen, um zu fliehen. Aziz G. sei der Frau anschließend bis zu ihrer Wohnung gefolgt, habe sie unterwegs mehrfach am Arm festgehalten. Erst als ein Zeuge vor ihrer Wohnung eingegriffen habe, habe der Angeklagte von ihr abgelassen und sei geflüchtet, so Greve.

DNA-Abgleich führte auf die Spur des Angeklagten

Aziz G. lebt den Ermittlern zufolge seit 2009 in Lübeck, spricht nur gebrochen Deutsch. Der Türke war drei Wochen nach der zweiten Tat festgenommen worden, sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Ein Zeuge hatte vor dem Veranstaltungsgelände in Lübeck einen weißen Transporter gesehen, die Ermittler so auf die Spur des Angeklagten gebracht. Ein DNA-Abgleich mit an der Kleidung der Studentin und dem Knebel gefundenen Spuren habe zudem eine Übereinstimmung gebracht.

Die Anklage wird für den stämmigen Mann mit dem dunklen Bart und den schwarzen Haaren von einem Dolmetscher übersetzt. Wegen der Coronapandemie muss er Mund- und Nasenmaske sowie eine Schutzbrille tragen. Zu den Vorwürfen will er sich auf Nachfrage des Richters nicht äußern, auch nicht zu seinen persönlichen Verhältnissen. „Mein Mandant macht keine Angaben“, sagt seine Verteidigerin Kerstin Raber.

Der erste Verhandlungstag endet nach einer knappen halben Stunde. Der Prozess wird am Montag, 27. April, fortgesetzt. Die Schwurgerichtskammer am Landgericht Lübeck hat zehn Verhandlungstage angesetzt, 30 Zeugen sowie vier Sachverständige geladen. Das Urteil soll Mitte Juni verkündet werden. Die Studentin tritt vor Gericht als Nebenklägerin auf. Sie soll am dritten Verhandlungstag (15. Mai) aussagen.