Trittau/Hamfelde. Für ältere und vorerkrankte Menschen kann das Coronavirus tödlich sein. Das Abendblatt hat mit Risikogruppen-Angehörigen gesprochen.
Die meisten, die sich mit dem Coronavirus infizieren, sterben nicht. Wer gesund und jung ist, für den läuft die Infektion in der Regel ab wie eine Erkältung. Doch da gibt es noch die anderen. Ältere Menschen mit geschwächtem Immunsystem und Menschen mit Vorerkrankungen. Sie gehören zur Risikogruppe. Ihretwegen sollten alle, denen es möglich ist, Haus und Wohnung nur im Ausnahmefall verlassen. Wer nicht unmittelbar betroffen ist, mag sich mit der Isolation schwertun, ignoriert sie sogar. Deshalb hat das Abendblatt mit Risikogruppen-Angehörigen gesprochen. „Wir wollen zeigen, dass hinter diesem Begriff reale Menschen stecken“, sagen sie. „Vielleicht tragen unsere Geschichten dazu bei, dass bei dem ein oder anderen die Bereitschaft steigt, sich selbst und damit uns vor einer Ansteckung schützen.“
Finn Zielsdorf hat seinen Lebensmut nie verloren
Finn ist einer der Interviewpartner. Er sagt: „Wer weiß, ob ich jetzt tatsächlich so vernünftig sein und konsequent zu Hause bleiben würde, hätte ich diesen Unfall nicht gehabt.“ Der Unfall, von dem er spricht, passierte im Juni 2019. Finn Zielsdorf, damals 17, springt kopfüber in den Großensee. Das Wasser an der Stelle am Ostufer ist flach, Finn prallt auf den Grund. Die Folge: Bruch des sechsten Halswirbels, Zerstörung großer Teile seines Rückenmarks. Dank sofortiger Hilfe überlebt der junge Trittauer das Unglück. Doch er wird brustabwärts gelähmt bleiben. Finn kämpft, behält trotz der Diagnose seinen Lebensmut und meistert mit Hilfe seiner Familie und vielen Freunden und Unterstützern die neuen Herausforderungen, die sich ihm stellen. Nach den Sommerferien wollte Finn endlich wieder seine Schule besuchen, in die elfte Klasse starten. „Der Schulleiter und ich wollten uns in diesen Tagen zu einem Gespräch zusammensetzen“, sagt Finn. Doch der Termin fiel aus.
Der 18-Jährige hält sich auf eigene Faust so fit wie möglich
Wie so vieles in dieser Zeit. Der 18-Jährige, der im Haus seiner Eltern in Trittau lebt, hat sich zurückgezogen, verzichtet auf alle sozialen Kontakte. Er will sich auf keinen Fall anstecken. Wegen der Querschnittlähmung ist Finns Lunge geschwächt. Eine Entzündung des Organs könnte für ihn lebensgefährlich sein. „Ich wurde kurz nach dem Unfall schon einmal künstlich beatmet. Das muss ich nicht mehr haben“, sagt der junge Mann. Selbst den sonst enge Kontakt zu seiner Schwester Lena, die in Hamburg eine Ausbildung macht, hält Finn nur telefonisch aufrecht. „So viel telefoniert wie in den letzten Tagen hab’ ich noch nie“, sagt er. Auch die Termine mit seiner Physiotherapeutin und dem Pflegedienst hat er abgesagt. Die Gefahr sei zu groß. „Ich bedaure, dass denen dadurch eventuell Nachteile entstehen“, sagt er. Jetzt hält er sich auf eigene Faust so fit wie möglich. Finn spielt Rollstuhl-Rugby, trainiert statt mit der Mannschaft allein daheim. Außerdem zeichnet und liest er viel. Er sagt: „Ich kann mich ganz gut beschäftigen, mir ist nie langweilig.“
Laut Experten ist bei Allergikern ein „Etagenwechsel“ gefährlich
Finn schafft, was vielen in diesen Zeiten schwerfällt: Die soziale Isolation. „Mein Mitbewohner ist ständig in der Wohnung rumgetigert und wusste überhaupt nichts mit sich anzufangen“, erzählt Alina Hoeser. Die 24-jährige Trittauerin studiert derzeit in der Nähe von Uelzen Soziale Arbeit. Der Mitbewohner ist wieder zu seinen Eltern gezogen. Alina wohnt nun allein und findet das momentan auch gut so. Denn auch sie gehört zur Risikogruppe. Seit ihrer Kindheit leidet sie an diversen Allergien, die ihre Atemwege belasten. „Das Gefühl, nicht ausreichend Luft holen zu können, ist furchtbar“, sagt Alina, die stets ihr Asthmaspray griffbereit hat.
Laut Experten ist bei Allergikern vor allem ein sogenannter „Etagenwechsel“ gefährlich. Hierbei gehen die entzündlichen Prozesse von den oberen auf die unteren Atemwege über, die Auswirkungen verschlimmern sich. Trotzdem ist Alina noch relativ entspannt. Sie weiß, dass eine mögliche Covid-19-Infektion für schwerer vorerkrankte Menschen bedrohlicher ist.
„Sind um jeden Tag dankbar, an dem wir gesund aufwachen“
Doch durch die Erfahrungen als Allergikerin ist Alina sensibilisiert. „Ich gehe kein Risiko ein und verlasse das Haus nur im Notfall“, sagt sie. Mit ihrer Familie frühstückt die Studentin jeden Morgen gemeinsam – per Videochat. „Das ist ein richtiges Ritual geworden.“ Normalerweise ist Alina als leidenschaftliche Pfadfinderin sonst ständig mit vielen anderen jungen Leuten in Kontakt. „Aber wir haben ziemlich früh all unsere Treffen abgesagt. Auch wenn anfangs noch viele sagten ,Wir sind doch jung und gesund, uns kann nichts passieren’.“ Doch darauf komme es längst nicht mehr an. Alina sagt: „Es geht darum, andere nicht in Gefahr zu bringen. Nicht jedem ist anzusehen, ob er zur Risikogruppe gehört.“
Mit zusammen 167 Lebensjahren gehört das Ehepaar Schulz aus Hamfelde zur wohl typischsten Corona-Risikogruppe. Hilde ist 81, Gerhard 86 Jahre alt. „Wir sind um jeden Tag dankbar, an dem wir fröhlich und gesund aufwachen“, sagen die beiden. Glücklicherweise sei dies in diesen außergewöhnlichen Zeiten nach wie vor der Fall. Sie achten darauf, niemandem zu nahe zu kommen. „Das fällt uns natürlich gerade bei unserer Tochter und lieben Freunden sehr schwer“, sagt Hilde, die normalerweise gern unter vielen Menschen ist.
Sie singt im Hamfelder Chor, gemeinsam mit Gerhard ist sie Teil der Großhansdorfer ‘Plattdüütsch-Runn’. „Fällt natürlich alles auf unbestimmte Zeit aus“, bedauert Hilde. „Nützt ja nix“, fügt sie sofort hinzu und erzählt lieber von den „supertollen Nachbarn, die sich täglich nach unserem Wohlergehen erkundigen“. Der Zusammenhalt sei auch für die Psyche wichtig. „Ein kurzer Schnack über’n Zaun ist wie Balsam für die Seele.“ Das Ehepaar ist dankbar für seinen Garten und die verglaste Veranda, wo es gemeinsam die Frühlingssonne genießt. Hilde und Gerhard wissen, dass nicht jeder so ein Glück hat. Aber vielleicht habe diese Krise wenigstens einen Nutzen: Dass mehr Leute aufeinander Acht geben, sich unterstützen und umsorgen. Mit der nötigen Distanz, dafür aber mit offenen Herzen.