Lübeck. Sporttrainer aus Stormarn soll sich an Mädchen vergangen haben. Verteidiger wollten Verfahren wegen Coronavirus aussetzen lassen.
Im Verfahren gegen einen Sporttrainer aus Stormarn wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Mädchens vor dem Landgericht Lübeck gibt es weiterhin keinen Fortschritt. Stattdessen musste die Vorsitzende Richterin der Großen Strafkammer, Helga von Lukowicz, weitere Vorwürfe der Verteidigung über sich ergehen lassen.
Bei der ersten Tat war Emily S. acht Jahre alt
Eigentlich soll am fünften Verhandlungstag erneut das Opfer des 73 Jahre alten Ullrich K. (Namen geändert), die heute 16 Jahre alte Emily S., vernommen werden. K.s Verteidiger, die Rechtsanwälte Christian Albrecht und Franziska Mayer, hatten beantragt, das Mädchen noch einmal vorzuladen, um sie zu einem Handychat zu befragen. Das Protokoll des Schriftverkehrs, das die Anwälte am vergangenen Verhandlungstag vorgelegt hatten, soll belegen, dass zwischen Angeklagtem und Opfer auch nach dem vermeintlichen Tatzeitraum ein gutes Verhältnis bestanden hat.
Die Staatsanwaltschaft wirft Ullrich K. vor, Emily S. während seiner Tätigkeit in einem Stormarner Verein zwischen 2012 und 2015 mindestens sechsmal schwer sexuell missbraucht zu haben, mindestens einmal soll es zum Geschlechtsverkehr gekommen sein. Bei der ersten Tat war S. acht Jahre alt.
Verteidiger stellen Antrag auf Aussetzung des Verfahrenes
Emily S. erscheint mit ihrem Zeugenbeistand und ihrer Rechtsanwältin, die sie als Nebenklägerin in dem Verfahren vertritt, im Gerichtssaal. Die Plätze des Angeklagten sowie seiner beiden Verteidiger bleiben hingegen am Dienstagmorgen leer. Während K.s Ehefrau im Zuschauerraum Platz nimmt, bleibt der 73-Jährige in seinem Auto vor dem Gerichtsgebäude sitzen. „Der Angeklagte weigert sich, ohne einen Anwalt an der Verhandlung teilzunehmen“, sagt die Vorsitzende von Lukowicz.
Dann verliest sie ein Schreiben der Verteidiger. „Auf Bitten meines Mandanten lege ich mein Mandat mit sofortiger Wirkung nieder“, schreibt Rechtsanwältin Franziska Mayer darin. Auch ihr Kollege Christian Albrecht könne nicht vor Gericht erscheinen. Er zeige Symptome, die auf eine Erkrankung mit Covid-19 hindeuteten und befinde sich in selbstauferlegter Quarantäne. Und weiter: „Außerdem muss Herr Albrecht seine beiden Töchter betreuen, die derzeit wegen der bekannten Lage die Kita nicht besuchen können.“ Dann folgt ein Antrag auf Aussetzung des Verfahrenes, ergänzt mit Vorwürfen gegen die Vorsitzende. „Unser Mandant gehört mit 73 Jahren und einer akuten Herzerkrankung zur Risikogruppe, eine Infektion mit dem Coronavirus könnte seinen Tod bedeuten“, schreibt Mayer.
Staatsanwältin empfindet Verhalten der Anwälte als fragwürdig
„Das Verhalten der Vorsitzenden ist unverantwortlich, die Kammer überschreitet die Grenzen der Absurdität“, heißt es weiter. Mayer hatte am vergangenen Prozesstag geäußert, bereits Strafanzeige gegen die Vorsitzende gestellt zu haben. Bereits damals war die Verteidigung mit einem Antrag auf Verfahrensaussetzung gescheitert. Eine Amtsärztin hatte K. mit Mundschutz und Handschuhen ausgestattet und dessen Platz desinfiziert, aber keine Bedenken geäußert. Auch sechs Befangenheitsanträge gegen die Vorsitzende wies die Kammer ab.
Bei Staatsanwältin Uta Haage ruft der neuerliche Aussetzungsantrag Empörung hervor. Sie sagt: „Es ist offensichtlich, dass die Verteidigung unter Berufung auf die aktuelle Krise versucht, das Verfahren kaputt zu machen.“ Das Verhalten der Anwälte sei moralisch höchst fragwürdig. Die Kammer weist den Antrag erneut zurück. Stattdessen ordnet sie K. Franziska Mayer als Pflichtverteidigerin bei. Damit könnte sie das Mandat nicht ablehnen. „Ein Verteidiger reicht, um das Verfahren fortzsetzen zu können“, sagt von Lukowicz. Die Vorsitzende drängt auch deshalb auf einen Abschluss des Verfahrens, weil bei einer Aussetzung alle elf Zeugen erneut vernommen werden müssten.
16-Jährige muss erneut vor Gericht erscheinen
Telefonisch setzt die Vorsitzende die Kanzlei der Verteidiger in Kenntnis. Am Apparat habe sich Dr. Jonas Hennig, der Kanzleigründer, gemeldet. Von Lukowicz gibt zu Protokoll: „Herr Dr. Hennig teilte mit, er habe Frau Mayer für zwei Wochen in den Urlaub geschickt, sie stehe daher nicht zur Verfügung.“ Außerdem habe Hennig ihr gegenüber erklärt, dass das Gespräch aufgezeichnet werde, weil er befürchte, von der Vorsitzenden beleidigt zu werden. „Herr Dr. Hennig verwies darauf, in Juristenkreisen, die er nicht nährer benennen wolle, hieße es, ich sei ,bösartig’“, führt von Lukowicz trocken aus.
Aufgrund der Abwesenheit des Angeklagten kann Emily S. nicht vernommen werden. Die 16-Jährige muss jetzt zum nächsten Verhandlungstermin am Montag, 30. März, erneut vor Gericht erscheinen.