Ahrensburg. Ermittlungsgruppe „Recall“ jagt Telefonbetrüger, die Stormarner hereinlegen. Digitale Forensikerin eingestellt.
Mit der Gesellschaft verändert sich auch die Kriminalität. Hatten es Polizisten früher häufig mit Autoaufbrüchen oder Gewalt unter Jugendlichen zu tun, so sind jetzt Fahnder mit Internetkenntnissen gefragt. Im Kreis Stormarn zählten Cybercrime-Delikte (plus 19,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr) und die Verbreitung pornografischer Schriften (plus 160 Prozent) zu den Anzeige-Bereichen mit den größten Steigerungsraten.
Mehr Hausdurchsuchungen bei Tipps zu Kinderpornografie
Die Zahlen weist die Kriminalstatistik 2019 der Polizeiinspektion Ratzeburg für das vergangene Jahr aus. Auf der anderen Seite gab es unter anderem viel weniger Fahrraddiebstähle: Die Zahl ging um 24,6 Prozent von 882 auf 665 zurück. Auch Autoteile wie Navis oder Airbags wurden deutlich weniger entwendet: Die Zahl der Taten sank um 12,7 Prozent von 1020 auf 890. „Die Serien, in denen über Nacht ganze Straßenzüge heimgesucht wurden, sind weniger geworden“, sagt Hans-Jürgen Köhnke, Leiter der Polizeidirektion Ratzeburg.
Die Kripo reagiert auf die veränderten Herausforderungen der Internetkriminalität. Landesweit wurden vier Zentralstellen mit IT-Beweissicherungseinheiten eingerichtet, für den Kreis Stormarn in Lübeck. „Vor allem im Bereich der Kinderpornografie gibt es sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene große Anstrengungen, das Dunkelfeld zu erhellen“, sagt Köhnke. Zum einen wirke sich die fortschreitende gesetzliche Meldeverpflichtung der Internetdienstleister aus, zum anderen sei die Zusammenarbeit über Kontinente verbessert worden.
Neueste Enkeltrick-Masche: Geld für Corona-Behandlung
„Wenn beispielsweise in Amerika festgestellt wird, dass Daten von Rechnern in Deutschland abgerufen werden, bekommen wir jetzt häufiger die genauen Hinweise“, sagt Hans-Jürgen Köhnke. Dann stehen die Fahnder morgens bei den Verdächtigen vor der Haustür, durchsuchen Wohnungen und beschlagnahmen Beweismaterial. Wurden im Jahr 2018 in Stormarn erst 20 Fälle der Verbreitung pornografischer Schriften verfolgt, so waren es im Vorjahr bereits 52. Die Aufklärungsquote ist mit 90,4 Prozent sehr hoch.
Die Landespolizei hat für die Bekämpfung der Kinderpornografie eine Zentralstelle im Landeskriminalamt (LKA) und je eine Ermittlungseinheit in jedem Landgerichtsbezirk. Die Spezialisten forschten auch bereits mit Künstlicher Intelligenz, um die äußerst belastende Auswertung von Bildern überhaupt zu ermöglichen oder zumindest enorm zu verkürzen.
Cybercrime ist im Zeitalter der Digitalisierung ein weiterer stark wachsender Bereich. Dahinter stecken häufig gut organisierte Banden, die vom Ausland aus agieren. So führten etliche Spuren in türkische Callcenter. Die Bandbreite der erfundenen Geschichten, mit denen vor allem ältere Menschen hereingelegt werden sollen, ist groß. Sie reicht vom „falschen Polizisten“, der vermeintlich Geld in Sicherheit bringen will, bis zum bekannten Enkeltrick.
Kriminelle erlangen teils hohe Geldbeträge
„Die Anrufer sind sehr gut geschult, gehen psychologisch geschickt vor“, sagt Bernd Koop, stellvertretender Leiter der Polizeidirektion. Am Anfang des Telefonats seien sie noch nicht auf eine bestimmte Richtung festgelegt, sondern entschieden sich erst im Gesprächsverlauf für eine Betrugsmasche. Sein eindeutiger Rat: „Ältere Menschen sollten niemals darauf eingehen, Geld irgendwo zu deponieren oder fremden Menschen zu geben.“
Trotz aller Warnungen erlangen die Kriminellen an PC und Smartphone offenbar immer noch hohe Geldbeträge. So zählte die Polizei in Schleswig-Holstein im Vorjahr mehr als 14.000 Straftaten, bei denen Bürger Opfer von Betrügern aus dem Ausland wurden. „Und es gibt ein hohes Dunkelfeld, weil etliche Betrogene die Taten aus Scham, darauf hereingefallen zu sein, überhaupt nicht anzeigen“, sagt Polizeichef Köhnke.
Internetkriminalität wird Polizei künftig mehr beschäftigen
Die für die Kreise Stormarn und Herzogtum Lauenburg zuständige Polizeidirektion Ratzeburg hat die Ermittlungsgruppe „Recall“ gegründet. Außerdem wurde eine digitale Forensikerin eingestellt. Das Kompetenzteam arbeite auch mit externen Wissenschaftlern und Informatikern zusammen. Eine große Herausforderung sei bei der Masse an Daten die Auswertung aller digitalen Spuren.
„Internetkriminalität wird uns in Zukunft immer mehr beschäftigen“, sagt Bernd Koop. So werde die Meldepflicht für Anbieter wie Facebook, Twitter und Youtube, auch Beleidigungen schärfer zu verfolgen, zu deutlich mehr Fällen führen. Unterdessen beweisen Telefonbetrüger, wie flexibel sie sind: Anrufer geben sich als Verwandte aus, die mit dem Coronavirus infiziert seien und Geld für die Behandlung bräuchten ...