Lübeck. Sachverständige erkennt bei dem Stormarner keine Hinweise auf eine psychische Erkrankung und schließt auch Tat im Affekt aus.

Im Mordfall Ivonne Runge sieht die psychiatrische Sachverständige beim Angeklagten „keine Hinweise auf eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit“. Bei der Tat handele es sich um einen klassischen „Intimizid“, sagt Gutachterin Dr. Christine Heisterkamp vor dem Landgericht Lübeck. Mit dem Fachbegriff wird das Töten eines Liebespartners bezeichnet. Eine psychische Erkrankung könne sie nicht erkennen.

Leiche wurde erst eineinhalb Jahre nach der Tat entdeckt

Stefan B. hat gestanden, seine Ex-Freundin am späten Abend des 25. Oktober 2017 an einer Bushaltestelle in ihrem Heimatort Schlamersdorf erwürgt zu haben. Bei einem Streit seien ihm „die Sicherungen durchgebrannt“, hatte der 40-Jährige in seinem umfassenden Geständnis zu Prozessbeginn ausgesagt. Die Leiche hatte er in einem Waldstück bei Hammoor versteckt, sie war erst eineinhalb Jahre später zufällig von einem Landwirt entdeckt worden.

Gutachterin: „Tat ist nicht aus dem Nichts passiert“

Die psychiatrische Sachverständige Dr. Christine Heisterkamp hat Stefan B. begutachtet.
Die psychiatrische Sachverständige Dr. Christine Heisterkamp hat Stefan B. begutachtet. © Janina Dietrich

Die psychiatrische Sachverständige schließt in ihrem Gutachten aus, dass die Tat im Affekt wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung geschah. „Die Tat ist nicht aus dem Nichts passiert“, betont die Fachärztin. „Es gab eine Vorgeschichte.“ Bereits in den Monaten davor, als die Beziehung der beiden zerbrach, habe der Angeklagte ein eifer- und kontrollsüchtiges Verhalten gezeigt. So platzierte Stefan B. zum Beispiel ein Handy im Auto von Ivonne Runge, um sie überwachen zu können. Einmal verfolgte er sie bis nach Berlin, wo die 39-Jährige ihren neuen Freund treffen wollte. Zudem kaufte er eine Spionage-Software, die er dann aber doch nicht einsetzte.

Der Angeklagte verhielt sich nach der Tat unauffällig

Auch das Verhalten des Angeklagten nach der Tat spreche gegen eine Bewusstseinsstörung, so die Gutachterin weiter. Stefan B. sei sehr geordnet vorgegangen. Zunächst habe er darüber nachgedacht, die Polizei zu alarmieren oder in ein Krankenhaus zu fahren. Diesen Plan habe er aber wieder verworfen, weil er seinen Angaben zufolge an seine Familie und Freunde sowie die Verantwortung gegenüber seinen Mitarbeitern gedacht habe. Stefan B. war Pächter einer Tankstelle in Schwarzenbek. „Das ist die vernünftige Abwägung eines Menschen, der bei Sinnen ist“, sagt Heisterkamp.

Stefan B. wollte Verdacht von sich ablenken

Zudem habe Stefan B. relativ schnell nach der Tötung seiner Ex-Freundin mit einer „Legendenbildung“ begonnen, um den Verdacht von sich abzulenken. Er schickte Freunden besorgte Handynachrichten, fragte, ob jemand etwas von Ivonne Runge gehört habe. Dann erzählte er allen Nachfragenden seine ausgedachte Version, wie der Abend des 25. Oktober 2017 abgelaufen sei. „Freunde haben ihn am Tag nach der Tat als vollkommen unauffällig beschrieben“, sagt Heisterkamp. Auch einen Banktermin habe er am nächsten Morgen wahrnehmen können, ohne sich auffällig zu verhalten. „Dazu wäre er sonst nicht so schnell in der Lage gewesen“, sagt sie.

Verteidigerin will neuen Gutachter beantragen

Auch könne sich Stefan B. relativ gut an die Tötung von Ivonne Runge erinnern. „Wenn jemand bei einer Tat einen Tunnelblick hatte, ist das Erinnerungsvermögen nicht so gut“, sagt Heisterkamp. Zudem seien diese Menschen oft so erschüttert über ihr Handeln, dass sie selbst die Polizei riefen. Verteidigerin Astrid Denecke ist mit dem Fazit der Gutachterin unzufrieden. „Mich überzeugt das nicht“, sagt die Anwältin aus Hamburg, stellt mehrfach Nachfragen zum Thema Affekt. Am Ende des Prozesstages kündigt sie an, in der kommenden Woche einen neuen psychiatrischen Sachverständigen beantragen zu wollen. „Das Gutachten ist eine echte Überraschung. Ich habe etwas ganz anderes erwartet“, sagt sie.

Das Urteil soll am 21. Februar verkündet werden

Folgt die Erste Große Strafkammer ihrem Ansinnen, würde sich das Ende des Prozesses verschieben. Eigentlich sollen beim nächsten Verhandlungstag am Mittwoch, 12. Februar, bereits die Plädoyers gehalten werden. Das Urteil wollen die Richter nach derzeitigem Stand am 21. Februar verkünden.

Gutachterin Dr. Christine Heisterkamp hatte den Angeklagten nahezu während des gesamten bisherigen Prozesses beobachtet und ihn für zwei Gespräche getroffen. „Erst wollte er das nicht“, sagt sie. Dann habe er sich aber doch geöffnet. Die Fachärztin bescheinigt ihm eine „mindestens durchschnittliche Intelligenz“. Sein bisheriger Lebenslauf sei „völlig unauffällig“ gewesen, ohne jegliche Brüche. Laut Gericht ist der Angeklagte auch nicht vorbestraft.

Der Angeklagte hatte viele Affären

Aus dem Rahmen fielen nur einige seiner Partnerschaften, so die Gutachterin weiter. „Vor allem, wenn eine Beziehung am Kriseln war, zeigte er ein Kontrollverhalten.“ In einem Fall kam es nach Angaben einer Zeugin auch zu Gewalt. Eine krankhafte Eifersucht könne sie bei dem Angeklagten aber nicht feststellen, sagt Heisterkamp. Sie zeichnet in ihrem Gutachten das Bild eines Mannes, der an der Oberfläche sehr selbstbewusst war. „Aber darunter brauchte sein Selbstwert eine Stütze. Die hat er sich über Affären geholt“, sagt sie.

Ivonne Runge hatte im Sommer 2017 herausgefunden, dass ihr Freund sie mehrfach betrogen hatte. Sie ging daraufhin auf Distanz, lernte einen neuen Mann kennen, mit dem sie ihr Leben verbringen wollte. Das wollte Stefan B. nach Ansicht der Staatsanwaltschaft nicht akzeptieren, tötete sie deshalb.