Bad Oldesloe. „Unsere Grundwerte verteidigen!“ FDP-Politiker sieht Handlungsbedarf, weil Hetze und Verleumdungen in sozialen Netzwerken zunehmen.

Bürgermeister, die mit unverhohlenen Drohungen aus dem Amt gemobbt werden, antisemitische und fremdenfeindliche Übergriffe, das Erstarken der AfD am rechten Rand des politischen Spektrums, Hetze und Verleumdungen gegen Andersdenkende in den sozialen Netzwerken – die Angriffe auf die freiheitlich, demokratische Grundordnung sind vielfältig. Und sie nehmen zu.

Bürger sollen „hart erkämpfte“ Grundwerte verteidigen

„Das können wir nicht hinnehmen, nirgends“, sagt Thomas Bellizzi, Mitglied der FDP-Kreistagsfraktion und Stadtverordneter in Ahrensburg. Spätestens seit dem Einzug der AfD in den Kreistag sehen die Freien Demokraten erhöhten Handlungsbedarf, die Demokratiebildung nachhaltig zu stärken. Und zwar durch ein Projekt für Kinder und Jugendliche, finanziert aus dem Kreishaushalt. „Das Thema hat in den Lebenswelten dieser Altersgruppen offenbar an Bedeutung verloren. Dem müssen wir etwas Substanzielles entgegensetzen. Damit aus den Jugendlichen reflektierte und selbstbewusste Bürger werden, die sich aktiv einbringen und die hart erkämpften Grundwerte verteidigen“, so Bellizzi.

Populismus bei Jugendlichen beunruhigt FDP-Politiker

Thomas Bellizzi (r.), hier bei einem Abendblatt-Redaktionsbesuch in Ahrensburg mit Schleswig-Holsteins Sozialminister Heiner Garg, ist Mitglied der FDP-Kreistagsfraktion und Stadtverordneter in der Schlossstadt. Er zeigt sich besorgt über zunehmenden Populismus bei Heranwachsenden.
Thomas Bellizzi (r.), hier bei einem Abendblatt-Redaktionsbesuch in Ahrensburg mit Schleswig-Holsteins Sozialminister Heiner Garg, ist Mitglied der FDP-Kreistagsfraktion und Stadtverordneter in der Schlossstadt. Er zeigt sich besorgt über zunehmenden Populismus bei Heranwachsenden. © Elvira Nickmann | Elvira Nickmann

Aus seiner Sicht sei die Demokratie für viele offenbar längst zu selbstverständlich. „Das ist eine fataler Irrtum, so werden wir der Lebensleistung voriger Generationen nicht gerecht“, sagt Bellizzi. Alarmiert hätten ihn nicht zuletzt die Ergebnisse mehrerer aktueller Jugendstudien. Danach waren ein Drittel der Befragten anfällig für populistische Positionen, mehr als zwei Drittel stimmten der Aussage zu, dass man nichts Negatives über Ausländer sagen dürfe, ohne gleich als Rassist zu gelten.

Um solchen Tendenzen und Auffassungen auch im Kreis Stormarn entgegenzutreten, regte Bellizzi bereits Anfang November 2018 ein Demokratieprojekt an, für das der Kreis in den folgenden fünf Jahren je 30.000 Euro plus 5000 Euro für die Erstellung eines tragfähigen Konzepts bereitstellen sollte. „Es geht um niedrigschwellige Angebote, die über das hinaus gehen, was in den Schulen geleistet wird“, sagt FDP-Fraktionschef Karl-Reinhold Wurch. Doch selbst dort wird längst nicht mehr genug getan, weiß Uwe Sommer, Geschäftsführer des Kreisjugendrings. Die Schulen hätten sich seiner Ansicht nach aus der politischen Bildung weitgehend zurückgezogen. „Das Fach Wirtschaft und Politik etwa gibt es verbindlich erst in der Oberstufe. Und zum Abitur kommt man in Schleswig-Holstein sogar ganz ohne WiPo“, berichtet er. Immerhin gebe es inzwischen Bestrebungen, das zu ändern und das Fach schon ab Klasse 9 zu unterrichten.

Der Kreis investiert 5000 Euro pro Jahr in Mikroprojekte

Inzwischen hat der Kreisjugendring ein Konzept für ein Demokratieprojekt erstellt und erste konkrete Vorschläge zu seiner Umsetzung unterbreitet. Es ist das Ergebnis eingehender Beratungen mit Vertretern der Jugendpflege, benachbarter Kreise, der Landesstelle Demokratiebildung und eines wissenschaftlichen Mitarbeiters der Leuphana Universität Lüneburg und steht unter dem Motto „Mehr Demokratie wagen“, das auf ein berühmtes Zitat von Willy Brandt zurückgeht.

Kreistag genehmigt Fachstelle Jugenddemokratiebildung

Um alle Aktivitäten und Initiativen an Schulen, durch Stiftungen und in diversen Organisationen zu bündeln und zu koordinieren, wurde in einem ersten Schritt die Einrichtung einer Fachstelle Jugenddemokratiebildung beantragt. Dafür genehmigte der Kreistag in seiner letzten Sitzung des Vorjahres eine befristete Vollzeitstelle, die nach einem Sichtungsverfahren am 1. März besetzt wird. Zusätzlich soll ein Beirat, bestehend aus Mitgliedern des Jugendhilfeausschusses, der Kreisverwaltung, des Jugendhilferings und weiterer Institutionen eingerichtet werden, um das Projekt fachlich zu begleiten. Zudem wird der Beirat über die Vergabe von Mikroprojekten entscheiden, für die pro Jahr bis zu 5000 Euro bereitgestellt werden. So soll es bereits im Herbst den ersten Stormarner Demokratiekongress geben.

Von 1100 Kommunen haben nur 70 einen Jugendbeirat

Drei Schwerpunkte haben sich im Zuge der Beratungen über das Projekt-Konzept herauskristallisiert. So gehe es zum einen um die Vermittlung von Wissen, etwa über historische Zusammenhänge beim Erstarken des Nationalsozialismus und die Entstehung des Grundgesetzes. Zum anderen soll über das Erleben der Vielfalt im Alltag mehr Toleranz und Anerkennung für Menschen aus anderen Kulturen und mit anderen Lebensweisen entwickelt werden. Und schließlich bedeute Demokratiebildung vor allem mehr Partizipation, um durch echte Gestaltungs- und Handlungsspielräume für Kinder und Jugendliche deren Engagement zu fördern. Positiv sei sicher, dass sich Ende 2019 in Bargteheide und Reinfeld weitere Kinder- und Jugendbeiräte gebildet hätten. „Von rund 1100 Städten und Gemeinden in Schleswig-Holstein haben aber erst 70 solch ein Gremium“, sagt Uwe Sommer zum Abendblatt.

Über die Dauer des Projektes gab es Kontroversen im Kreistag

Obwohl die Stormarner Kreistagsfraktionen den FDP-Vorstoß weitgehend befürwortet haben, gab es Kontroversen zur Dauer des Projekts. „Offenbar scheint es notwendig, Jugendlichen den Wert der Demokratie näher zu bringen. Ob das jetzt der richtige Weg ist, muss sich aber erst noch erweisen“, sagte CDU-Fraktionschef Joachim Wagner dem Abendblatt. Im Hauptausschuss wurde schließlich entschieden, dass es schon nach zwei Jahren eine Evaluation zur Fortsetzung des Projekts geben soll.