Ahrensburg. Angeklagte erschien nicht zur Hauptverhandlung. Amtsgericht lehnt einen Haftbefehl ab. Grund dafür ist ein ärztliches Attest.
Der Prozess gegen die Inhaberin der inzwischen geschlossenen Reisebüros Langeloh in Ahrensburg und Schwarzenbek wird in absehbarer Zeit nicht fortgesetzt. Die Angeklagte hat beim Amtsgericht Ahrensburg ein Attest vorgelegt, in dem ein Arzt sie für verhandlungsunfähig erklärt. Das sagte Direktor Michael Burmeister auf Abendblatt-Anfrage. Der für die Hauptverhandlung zuständige Richter Said Evora habe aus diesem Grund entschieden, keinen Haftbefehl gegen die Geschäftsfrau zu erlassen. Ursprünglich sollte der Prozess gegen die Reisebüro-Chefin bereits im September beginnen.
Gerichte habe keine andere Möglichkeit als abzuwarten
Die Staatsanwaltschaft wirft ihr gewerbsmäßige Untreue in zehn Fällen und Computerbetrug in 19 Fällen vor. Von Juni 2015 bis Februar 2018 soll sie auf diese Weise mehr als 71.000 Euro unrechtmäßig erlangt haben. Doch der Prozessauftakt platzte, weil die Frau nicht vor Gericht erschien. Der Richter ordnete damals an, die Angeklagte durch die Polizei vorführen zu lassen. Doch die Beamten konnten sie an ihrer Wohnanschrift und einer zweiten Adresse nicht finden. Die Staatsanwaltschaft beantragte daraufhin, einen Haftbefehl nach Paragraf 230, Absatz zwei, der Strafprozessordnung zu erlassen. Den Antrag hat das Gericht nun mit Verweis auf das Attest abgelehnt. Wann das Strafverfahren wieder aufgenommen wird, ist unklar.
„Solange die Angeklagte verhandlungsunfähig ist, kann kein Prozess durchgeführt werden“, sagt Amtsgerichtsdirektor Burmeister. Das Gericht habe keine andere Möglichkeit als abzuwarten. Die Richter überprüften aber „in kurzen Intervallen von zwei bis drei Wochen“, ob sich an der Verhandlungsunfähigkeit etwas geändert habe.
Das Gericht kann einen eigenen Arzt beauftragen
Zum konkreten Fall will Michael Burmeister mit Verweis auf das laufende Verfahren nichts sagen. Allgemein gelte aber, dass die Hürden für eine Verhandlungsunfähigkeit sehr hoch seien. „Ein Schnupfen oder eine Grippe reichen dafür nicht aus“, sagt er. Es müsse sich schon um „massive gesundheitliche Einschränkungen“ handeln. Generell könne jeder Hausarzt ein solches Attest ausstellen – wie bei einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.
„Das Gericht prüft das Attest aber sorgfältig“, sagt Burmeister. „Es gibt bestimmte Kriterien, die zwingend nachgewiesen werden müssen. Wir schauen, ob der ausstellende Arzt die Diagnose hinreichend belegt.“ In einigen Fällen sei die Erkrankung detailliert und nachvollziehbar begründet, manchmal reichten die Unterlagen überhaupt nicht aus. Der zuständige Richter könne Rücksprache mit dem Mediziner halten, im Zweifelsfall aber auch einen anderen Arzt beauftragen, der den Angeklagten noch einmal selbst untersucht.
Abendblatt berichtete 2018 erstmals über die Vorwürfe
Es handele sich immer um Einzelfall-Entscheidungen, sagt Burmeister und nennt als Beispiel, dass ein Angeklagter im Koma liegt. „Das ist eine klare Form der Verhandlungsunfähigkeit. Da brauchen wir keine weitere Begründung.“ Darunter gebe es „viele Abstufungen“, so der Jurist. Er betont: „Wir haben natürlich ein Interesse daran, ein Strafverfahren auch abzuschließen.“
Das Abendblatt hatte erstmals im Sommer 2018 über Vorwürfe gegen das Reisebüro berichtet. Der Ahrensburger Alfried Haase hatte sich damals an die Zeitung gewandt und von Flügen, Mietwagen und Hotelübernachtungen für eine Asien-Reise erzählt, die er zum Teil doppelt oder dreifach bezahlt hatte. Er fordert rund 12.000 Euro von dem Geschäft zurück – bislang vergebens. „Ich habe keine Reue erwartet, aber wenigstens, dass sie sich der Justiz stellt“, sagte der Ahrensburger nach dem geplatzten Prozess im September enttäuscht. „Stattdessen sucht die Frau immer wieder einen Fluchtweg.“
Der Geschäftsfrau droht eine mehrjährige Haftstrafe
Laut Anklageschrift der Staatsanwaltschaft (Az.: 54 Ls 779 Js 24792/18) soll die Reisebüro-Inhaberin Geld, mit dem Kunden gebuchte Reisen bezahlt hatten, nicht an den jeweiligen Reiseveranstalter beziehungsweise die Fluggesellschaft weitergegeben haben. „Stattdessen soll sie das Geld zweckwidrig zur Begleichung anderer Verbindlichkeiten verwendet haben“, sagte Oberstaatsanwältin Ulla Hingst dem Abendblatt. Ein weiterer Vorwurf: Die Geschäftsfrau soll Konto- und Kreditkartendaten ihrer Kunden verwendet haben, um Flüge, Reisen und Hotelzimmer anderer Kunden zu bezahlen. Auf diese Weise soll sie verschleiert haben, dass sie deren Geld bereits zweckfremd verwendet hatte.
Mehr als ein Dutzend weiterer Kunden haben sich seit dem ersten Bericht beim Abendblatt gemeldet und von ähnlichen Erfahrungen berichtet. Viele erhoffen sich vom Prozess Antworten auf die Frage nach dem Warum. Einige sind auch unter den 25 Zeugen, die das Gericht ursprünglich geladen hatte. Bisher kam keiner von ihnen vor dem Richter und seinen beiden Schöffen zu Wort.
Da nicht alle Fälle angeklagt wurden, dürfte der Gesamtschaden deutlich über den 71.000 Euro liegen. Inzwischen ist das Reisebüro in Ahrensburg seit mehr als einem Jahr geschlossen, auch die Filiale in Schwarzenbek ist dicht. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft droht der Geschäftsfrau im Falle einer Verurteilung eine mehrjährige Haftstrafe. Demnach liegt das gesetzliche Strafmaß für Untreue und Computerbetrug in einem besonders schweren Fall bei einer Freiheitsstrafe von sechs bis zehn Jahren.