Travenbrück/Lübeck. Der Angeklagte aus Rümpel überrascht beim Prozessauftakt vor dem Landgericht in Lübeck mit einer Ankündigung.
In Handschellen wird Stefan B. in Saal 315 am Landgericht Lübeck gebracht. Mehrere TV-Kameras und Fotoapparate sowie die Blicke zahlreicher Prozessbeobachter sind auf den Mann gerichtet, der sein Gesicht zunächst hinter einem gelben Ordner verbirgt. Das öffentliche Interesse ist groß, denn das mysteriöse Verschwinden von Ivonne Runge aus dem Travenbrücker Ortsteil Schlamersdorf hat viele Menschen rätseln lassen. Auch die ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY… ungelöst“ hatte den Fall aufgegriffen.
18 Monate lang hatten Polizei, Freunde und Verwandte vergeblich nach der 39-Jährigen gesucht. Erst am 25. April 2019 entdeckte ein Landwirt ihre sterblichen Überreste an einem Feld bei Hammoor, nahe dem Autobahnkreuz Bargteheide. Wenige Tage später wurde ihr Ex-Freund festgenommen, sitzt seitdem in Untersuchungshaft.
Stefan B. soll Ivonne Runge getötet haben
Die Staatsanwaltschaft Lübeck wirft ihm Mord aus niedrigen Beweggründen vor. Er soll Ivonne Runge am späten Abend des 25. Oktober 2017 auf bislang unbekannte Weise getötet haben, „weil er die Trennung nicht akzeptieren wollte und auch nicht, dass sie einen neuen Partner hatte“, sagt Staatsanwalt Niels-Broder Greve bei der Anklageverlesung am Donnerstagmorgen. Darin geht er vor allem auf die Lebensumstände der Frau in den letzten Monaten vor ihrem Tod ein. Demnach waren Stefan B. und die 39-Jährige seit Anfang 2012 ein Paar gewesen, hatte zusammen in einer Doppelhaushälfte in Rümpel gewohnt. Der Angeklagte soll während der Beziehung viele Affären gehabt haben. „Das hat Ivonne Runge im Juli 2017 herausgefunden“, sagt Greve. Im August sei die vorläufige Trennung erfolgt.
Spätestens mit einer WhatsApp-Nachricht am 9. September 2017 habe die Stormarnerin ihrem Ex-Freund klar gemacht, dass es endgültig aus sei. In der Zwischenzeit hatte sie laut Staatsanwaltschaft bei einem Campingurlaub einen anderen Mann kennengelernt, mit dem sie eine Beziehung führen wollte. Doch Stefan B. habe das nicht akzeptiert. Mehrmals sei er bei ihrer Arbeitsstelle in Bad Oldesloe aufgetaucht oder habe dort angerufen. Zudem habe er sie morgens vor dem Haus in Rümpel abgefangen, aus dem er zwischenzeitlich ausgezogen war. Er habe ihr Handy kontrolliert und ein Mobiltelefon in ihr Auto gelegt, um eine Fahrt nach Berlin zu überwachen.
Stefan B. terrorisierte Ex-Freundin Ivonne Runge
Bei Facebook habe er mit gefakten Nutzerprofilen und Nachrichten versucht, ihre neue Beziehung zu zerstören. Auch ein angebliches Sex-Video soll er zu diesem Zweck verschickt haben. „Aber es gelang ihm nicht, Ivonne Runge und ihren neuen Freund auseinanderzubringen“, sagt Staatsanwalt Niels-Broder Greve. Am 30. September sei die Frau aus dem ehemals gemeinsamen Haus in Rümpel ausgezogen, habe sich eine Wohnung im Travenbrücker Ortsteil Schlamersdorf gemietet.
Wenige Monate vor der Trennung, am 26. April 2017, hatte das Paar noch einen Kaufvertrag über 250.000 Euro für ein neues Haus abgeschlossen. „Ivonne Runge forderte den Angeklagten mehrmals auf, eine Regelung zu finden, damit sie aus dem Vertrag herauskommt“, sagt Greve. Stefan B. habe so getan, als kümmere er sich darum, in Wahrheit aber nichts getan. Am Tatabend besuchte die 39-Jährige ihn, um die Details zu klären.
Laut Staatsanwaltschaft hat Stefan B. spätestens im Laufe dieses 25. Oktober dann den Entschluss gefasst, seine Ex-Freundin zu töten. Auf dem Rückweg von seiner Arbeitsstelle in Schwarzenbek – er betrieb dort eine Tankstelle – habe er den späteren Ablageort der Leiche ausgekundschaftet. Das sollen Standortdaten seines Mobiltelefons belegen. „Um 21.26 Uhr war er zu Hause und hat Kontakt zu Ivonne Runge aufgenommen“, so Greve weiter. Um 22.15 Uhr erreichte die Frau das Haus in Rümpel, soll dann auf bislang unbekannte Weise ermordet worden sein. Die Todesursache konnte bei der Obduktion nicht mehr geklärt werden. Anschließend soll Stefan B. mit der Leiche im Auto zunächst nach Schlamersdorf gefahren sein, um dort ihr Handy zu deponieren.
Gericht will Angeklagten Stefan B. am 6. November anhören
Diesen Vorgehen sollte nach Ansicht der Staatsanwaltschaft seine spätere Aussage bei der Polizei stützen, er habe Ivonne Runge an der dortigen Bushaltestelle abgesetzt. Danach habe er die Leiche an dem ausgekundschafteten Ort abgelegt. Stefan B. verfolgt die Ausführungen der Staatsanwaltschaft mit gesenktem Blick. Danach überrascht seine Verteidigerin das Gericht mit der Ankündigung, ihr Mandant wolle sich umfassend zu dem Tatvorwurf äußern. Mehrmals fragt der Vorsitzende Richter Christian Singelmann beim Angeklagten nach, ob das tatsächlich der Fall sei und er auch Nachfragen zulasse. „Ja“, lautet die knappe Antwort, seine Stimme klingt ruhig.
Nach einer zehnminütigen Beratungsphase beschließt die Erste Große Strafkammer schließlich, die Aussage auf Mittwoch, 6. November, den zweiten Verhandlungstag, zu verschieben. Ein Grund: Die psychiatrische Sachverständige ist beim Prozessauftakt nicht im Gerichtssaal. „Für uns ist das eine neue Situation“, sagt Singelmann. In polizeilichen Vernehmungen hatte Stefan B. bislang immer bestritten, etwas mit dem Verschwinden von Ivonne Runge zu tun gehabt zu haben.