Ahrensburg. Daniel Pacher, Kreisvorsitzender des Fahrlehrer-Verbands: „Regelmäßige Tests sind überfällig.“ Politik und ADAC sind skeptisch.
„Eine regelmäßige Überprüfung der Fahrtauglichkeit im Alter gesetzlich festzuschreiben, ist meiner Meinung nach längst überfällig.“ Das sagt Daniel Pacher, Vorsitzender des Fahrlehrer-Verbands Stormarn. Immer wieder kommt es zu schweren Verkehrsunfällen, verursacht von Autofahrern im Alter von über 65 Jahren. Erst Anfang Juli hatte eine 75-Jährige in Tangstedt einen Radfahrer übersehen, gerammt und schwer verletzt. In Lütjensee war eine 70 Jahre alte Fahrerin im Juni mit ihrem Auto in die Fassade eines Supermarktes gerast. Vermutlich hatte sie Gas- und Bremspedal verwechselt. Politiker und Allgemeiner Deutscher Automobil-Club (ADAC) stehen Pflicht-Tests ablehnend gegenüber.
„Freiwillige Angebote werden leider nur sehr sporadisch angenommen“, weiß Fahrlehrer Pacher. Autofahrer ließen sich nicht gern kontrollieren. „Es muss erst Schlimmes passieren“, beklagt Pacher, der auch Inhaber der Ahrensburger Fahrschule ist. „Dabei muss jedes andere Dokument regelmäßig erneuert werden, nur der Führerschein nicht“. Das sei für ihn nicht nachvollziehbar. Der Fahrlehrer wurde vor zwei Jahren selbst Zeuge eines tragischen Unfalls in der Tiefgarage des CCA-Einkaufszentrums in Ahrensburg. Dort parkten zu jenem Zeitpunkt seine Fahrschulwagen.
Damals hatte ein 90-Jähriger beim Einfahren in die Garage Gas- und Bremspedal verwechselt und war gegen eine Betonwand gerast. „Ich war als Ersthelfer zur Stelle, habe seine 87 Jahre alte Frau aus dem Auto gezogen und reanimiert“, erzählt Pacher. Dennoch konnte er die Frau nicht retten. „Die Seniorin erlag wenig später im Krankenhaus ihren schweren Verletzungen.“
Senioren verursachen mehr Unfälle als Fahranfänger
Doch ist das Unfallrisiko, das von älteren Autofahrern ausgeht, wirklich überdurchschnittlich hoch? Die Unfallstatistik der Polizeidirektion Ratzeburg zeigt: Im ersten Halbjahr 2019 haben Autofahrer im Alter über 65 Jahren 172 Verkehrsunfälle in Stormarn verursacht – mehr als doppelt so viele wie die eigentlich als Risikogruppe geführten 18- bis 24-Jährigen. Die Fahranfänger hatten nur an 75 Unfällen im Kreis Schuld. Am Ende dieses Jahres dürfte damit ein ähnliches Ergebnis stehen, wie bereits in den vergangenen fünf Jahren.
2018 verursachten Senioren 216 Verkehrsunfälle, Fahranfänger nur 152. Im Schnitt verschuldeten Senioren über 65 Jahre jedes Jahr im Kreis Stormarn 200 Unfälle, bei den jungen Fahrern sind es rund 150. Seit 2017 starben fünf Menschen durch von Senioren verursachte Unfälle. Junge Fahrer waren im selben Zeitraum für keinen Verkehrstoten verantwortlich.
Allerdings: Wenn sie an Unfällen beteiligt sind, tragen 18- bis 24-Jährige meist auch die Schuld. Zwei Drittel der Zusammenstöße mit Beteiligung junger Fahrer gingen auch auf deren Konto. Waren Senioren in einen Unfall involviert, trugen sie im Durchschnitt in weniger als der Hälfe der Fälle die Verantwortung. Auffällig: Innerhalb der Altersgruppe der Senioren nimmt die Anzahl der verschuldeten Unfälle mit dem Alter zu. Während die 65- bis 69 Jährigen in den vergangenen fünf Jahren nur etwa ein Fünftel der Seniorenunfälle verursachten, sind es bei den über 75-Jährigen fast zwei Drittel.
Es kann ein hausärztliches Attest gefordert werden
„Nicht jeder Senior, der einen Unfall verschuldet, verliert automatisch seine Fahrerlaubnis“, sagt Holger Meier, Sprecher der Polizeidirektion Ratzeburg. „Voraussetzung für ein polizeiliches Eingreifen ist, dass der Fahrer eine Gefahr für die Verkehrssicherheit darstellt.“ Allerdings könnten die Beamten bei Anzeichen offensichtlicher körperlicher Einschränkungen, die die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen, der Führerscheinstelle des Kreises Meldung erstatten.
„Wir prüfen , wie schwerwiegend die Auffälligkeit ist und fordern von den Betroffenen gegebenenfalls ein hausärztliches Attest an, das die Fahrtüchtigkeit bescheinigt“, sagt Elke Koop, Leiterin der Führerscheinstelle. In der Folge könne auch ein fachärztliches Gutachten eingefordert werden. Bei wie vielen Senioren das zu einer Entziehung der Fahrerlaubnis geführt hat, darüber konnte die Behörde keine Auskunft geben. Eine Überprüfung ist also nur in Einzelfällen vorgesehen, die Hürden für einen Führerscheinentzug hoch. Und dabei soll es auch bleiben, sind sich Stormarner Politiker parteiübergreifend einig. Der CDU-Bundestagsabgeordnete und Verkehrsexperte Gero Storjohann sagt: „Wenn man die Unfallzahlen ins Verhältnis zu der Anzahl der Verkehrsteilnehmer in der jeweiligen Altersgruppe setzt, ist der Unfallanteil bei den Senioren nicht signifikant höher, als bei Jüngeren.“ Kurz: Die höhere Unfallzahl sei schlicht darin begründet, dass mehr alte Autofahrer auf Deutschlands Straßen unterwegs seien.
In anderen Ländern gibt es schon Pflicht-Fahrtests
Pflicht-Fahrtests seien in anderen Ländern, darunter Italien, Dänemark, Spanien, Großbritannien und der Schweiz eingeführt worden und hätten zu keinen Verbesserungen geführt. „Der organisatorische Aufwand steht in keinem Verhältnis.“ Vielmehr sollten Familien und Ärzte auf mögliche Mängel aufmerksam machen. Der Ahrensburger Christdemokrat und Landtagsabgeordnete Tobias Koch setzt auf die Kooperationsbereitschaft der älteren Autofahrer. „Ich appelliere da an die Vernunft“, sagt er. Tobias Koch schlägt vor, Autofahrer, die altersbedingt freiwillig ihren Führerschein abgeben, mit einer Jahreskarte für den öffentlichen Nahverkehr zu belohnen. „So bleiben sie mobil“, sagt Koch im Gespräch mit dem Abendblatt.
Bruno Hollnagel, der für die AfD für den Wahlkreis Herzogtum Lauenburg und Stormarn-Süd im Bundestag sitzt, kritisiert ebenfalls, dass die Statistik der Polizeidirektion die Anteile der Altersgruppen am Straßenverkehr nicht berücksichtigt. Er sagt: „Ohne fundierte statistische Erhebungen, ob Senioren wirklich schlechter fahren als jüngere Fahrer, Pflicht-Überprüfungen einzuführen, würde die Diffamierung einer ganzen Bevölkerungsgruppe bedeuten.“ Olaf Kriewald, Kreisvorsitzender der AfD in Stormarn, fügt hinzu: „Es sollten mehr Anreize für Senioren geschaffen werden, ihren Führerschein freiwillig abzugeben.“
Das Auto ist für viele die einzige Möglichkeit mobil zu bleiben
Anita Klahn aus Bad Oldesloe, Landtagsabgeordnete der Liberalen, sieht fehlende Alternativen zum Auto als Grund dafür, dass viele Senioren nicht auf ihr Fahrzeug verzichten wollen. „Gerade in ländlichen Gebieten, von denen wir in Stormarn nicht wenige haben, ist das Auto leider die einzige Möglichkeit für ältere Menschen, mobil zu bleiben“, gibt die FDP-Politikerin zu bedenken. „Um das zu ändern, müsste der öffentliche Personennahverkehr massiv ausgebaut werden“, fordert Anita Klahn. Bei den Fahrtests plädiert sie für die Beibehaltung der freiwilligen Angebote. „Sie müssen aber besser kommuniziert werden“, so die Liberale. „Es gibt auch 50-Jährige, die krankheitsbedingt keine sicheren Fahrer sind“, sagt die FDP-Politikerin.
„Ob jemand risikoreich fährt, hängt nicht vom Alter ab“, sagt auch Heidi Beutin, Kreissprecherin der Linken in Stormarn. Da es oft schwer falle, sich selbst und das eigene Reaktionsvermögen einzuschätzen, sei es wünschenswert, wenn auch jüngere Fahrer die freiwilligen Tests nutzten. „Wir brauchen aber von Seiten der Fahrschulen im Kreis mehr entsprechende Angebote“, betont die Kommunalpolitikerin.
Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionschef der Grünen im Bundestag und Abgeordneter für den Wahlkreis Herzogtum Lauenburg - Stormarn-Süd sieht andere Möglichkeiten, die Verkehrssicherheit zu erhöhen. „Die Kommunen benötigen mehr Möglichkeiten, die Entwicklung einer neuen Mobilitätskultur zu unterstützen, etwa durch die Erleichterung der Einführung von innerörtlichen Tempo-30-Zonen oder der Umwidmung von Fahrbahnen in Fuß- und Fahrradwege.“ Nina Scheer, Bundestagsabgeordnete der SPD für den Wahlkreis Herzogtum Lauenburg und Stormarn-Süd befürwortet Pflicht-Tests, allerdings unabhängig vom Alter. „Sehschwächen können auch bei jungen Erwachsenen eintreten“, sagt die Sozialdemokratin. „Insofern plädiere ich für regelmäßige altersunabhängige Tests zur Bestätigung der Fahrerlaubnis – etwa im Abstand von 10 bis 15 Jahren.“
Der ADAC bietet freiwillige Tests zur Fahrfitness an
Der Kreisvorsitzende der Sozialdemokraten und Landtagsabgeordnete der SPD, Tobias von Pein, sieht das anders. „Im besten Fall schätzen ältere Menschen selbst ein, ob sie noch sicher fahren können“, sagt er. Freiwillige Tests könnten dabei helfen.
Der Allgemeine Deutsche Automobil-Club lehnt verpflichtende Fahrtauglichkeitsüberprüfungen ab. „Der Test ist immer eine Momentaufnahme, dabei kann sich der Zustand eines Fahrers schnell rapide verändern“, betont Hans Pieper vom ADAC Hansa. Pieper beklagt, dass die Debatte durch die Medien künstlich befeuert werde. „Von älteren Menschen verursachte Unfälle stehen mehr im Mittelpunkt des medialen Interesses“, sagt Hans Pieper. „Wenn ein 40-Jähriger auf den Bahngleisen liegenbleibt, ist das eine Randnotiz, wenn es ein 85-Jähriger ist, ist die Empörung groß“, beklagt er.
Der ADAC setzt auf freiwillige Tests. „Seit einigen Jahren bieten wir den Fahrfitnesscheck an Fahrschulen an“, sagt Pieper. Im vergangenen Jahr habe an jedem dritten Tag ein Senior den Fahrfitnesscheck, der 59 Euro für ADAC-Mitglieder und 79 Euro für alle anderen kostet, freiwillig genutzt.
Fahrlehrerin bietet einen Fahrfitnesscheck an
Die Ahrensburger Fahrlehrerin Tina Behrend bietet den Fahrfitnesscheck an. Die speziell dafür geschulte Fahrlehrerin ist eine von nur zwei Anbietern des Test im Kreis Stormarn. „Bei den Tests dauern die Fahrten im eigenen Wagen mit Vor- und Nachbesprechung anderthalb Stunden. Es drohen keine Konsequenzen für den Führerschein“, sagt Tina Behrend.
Regelmäßig lassen Senioren ihre Fahrfähigkeit bei ihr überprüfen, erhalten Tipps und werden auf Fehlerquellen hingewiesen. Behrend betont: „Sinnvoller als Pflichttests wäre es, wenn alle Fahrer, auch diejenigen, die keiner vermeintlichen Risikogruppe angehören, den Mut haben, in regelmäßigen Abständen Fahrtipps von Experten einzuholen.“ Behrend: „Gerade Menschen mittleren Alters lassen oft eine verantwortungsbewusste Fahrweise vermissen.“
Die Fahrlehrerin appelliert an die Vernunft jedes einzelnen Autofahrers, wenn sie sagt: „Jeder sollte sich seiner Verantwortung bewusst sein, schließlich ist es für niemanden erstrebenswert, sich vor Gericht seinen Führerschein abnehmen zu lassen, und vielleicht sogar jemanden verletzt zu haben.“